Von bürokratischen Hürden, Neid und fehlendem Miteinander
Die Integrationsbeauftragte Beate Kast berichtet über die Situation von Geflüchteten und anderen Migranten in Munderkingen
MUNDERKINGEN - Etwa 20 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind derzeit in Munderkingen offiziell registriert. Die „Dunkelziffer“könnte aber höher sein, da nicht alle sofort den Weg über die Behörden gehen, sagt Beate Kast, Integrationsbeauftragte der Stadt. Sie berichtet von einer großen Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung, vor allem was Wohnraum betrifft, aber auch von manchen Hürden in der deutschen Bürokratie und anderen Problemen.
„Als ich vorhin bei der Stadtverwaltung war, habe ich zwei Menschen aus der Ukraine getroffen, die kannte ich bisher nicht“, erzählt Kast und macht damit klar, dass es nicht so einfach ist, den Überblick zu behalten, wie viele Flüchtlinge aus dem von Russland angegriffenen Land nun genau hier sind. Die ihr bekannten, rund 20 Menschen – darunter nur ein Mann, ansonsten Mütter mit Kindern – seien über Verwandte oder Freunde nach Munderkingen gekommen und teilweise in dem von Bürgern angebotenen Wohnraum untergekommen. „Die Bereitschaft, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, war erstaunlich groß“, sagt Beate Kast, wobei es außer seriösen Anbietern auch solche gegeben habe, „die eben mal ne schnell Mark verdienen wollen.“Unter den Ukraine-Flüchtlingen sei auch eine Großfamilie mit vier Erwachsenen und sechs Kindern, wovon die Hälfte in Emerkingen untergekommen sei. „Für zehn Leute eine passende Wohnung zu finden, ist kaum möglich“, sagt Kast.
Noch aufwändiger ist es, die hohen bürokratischen Hürden zu überwinden, denn die Anträge sind nicht etwa auch in ukrainischer Sprache verfasst. „Die Formulare mithilfe von Dolmetschern auszufüllen, braucht viel Zeit“, berichtet Beate Kast, die froh ist, dass sie beim Übersetzen Unterstützung von den ukrainischen Freunden und Verwandten aus Munderkingen erhält. „Das funktioniert ganz gut.“Allerdings müssen viele Anträge nun von neuem gestellt und neue Fragen beantwortet werden, denn seit 1. Juni greift der so genannte „Rechtskreiswechsel“. Das bedeutet, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine Sozialleistungen nicht mehr wie bisher nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, sondern nach dem Sozialgesetzbuch II, also Arbeitslosengeld, für das das Jobcenter zuständig ist. Außerdem besteht jetzt Anspruch auf Kindergeld, das bei der Familienkasse beantragt werden muss. „Ende Mai bin ich zwei Abende gesessen, um die entsprechenden Anträge für die zehnköpfige Familie auszufüllen“, erzählt Beate Kast. Dabei ist sie nur für fünf Wochenstunden als Integrationsbeauftragte angestellt.
Befürchtungen, wonach Geflüchtete nun wochenlang ohne Sozialleistungen auskommen müssen, weil das Ausfüllen und Bearbeiten der neuen Anträge viel Zeit in Anspruch nimmt, hält Kast entgegen: „Das Landratsamt hat zugesichert, dass die Leute in der Übergangsfrist weiterhin die Grundsicherung bekommen und die ausgezahlten Beträge dann mit den neuen Leistungen verrechnet werden. Es muss also niemand ohne Geld bleiben.“Allerdings habe es schon Fälle gegeben, dass Asylbewerberleistungen nicht geflossen seien, wegen eines Antragsstaus
oder aus anderen Gründen. „Das ist dann schon ärgerlich.“Ein Problem – und das gelte für alle Migranten – sei auch, dass viele gar nicht wüssten, welche Leistungen ihnen zustehen. „Die Leute wissen auch gar nicht, an wen sie sich wenden können, wenn sie Hilfe bei den Anträgen brauchen, vor allem in ländlichen Regionen wie hier, wo es keine Caritas oder Diakonie gibt.“Auch sie selbst habe erst durch ihre Tätigkeit als Integrationsbeauftragte herausbekommen, „woher man in einer Notlage Geld bekommen kann“.
Dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nun nicht mehr wie Asylbewerber behandelt werden, sondern wie heimische Sozialleistungsempfänger, stößt Asylbewerbern aus anderen Ländern teilweise durchaus sauer auf, sagt Beate Kast. „Es gibt schon Neid“, stellt sie fest und erzählt von einem Afghanen, der sich ihr gegenüber beklagt habe: Er könne es zwar verstehen, weil die Ukraine zu Europa gehört und die kulturellen Unterschiede zu Deutschland nicht so groß seien – aber es mache ihn traurig, er fühle sich wie ein Flüchtling zweiter Klasse. „Da müssen wir vor Ort umso mehr schauen, dass wir niemanden bevorzugen“, sagt Beate Kast. Das freilich sei gar nicht so leicht, denn die unterschiedliche Akzeptanz fange schon bei der Wohnungssuche an: „Ich habe genügend Angebote für Ukrainer, aber nicht für Syrer. Viele haben eben ein Problem mit fremden Kulturkreisen. Kopftuch, viele Kinder – solche Dinge sind bei den Leuten immer ein Thema.“
Auf die Frage, ob sich die Menschen aus der Ukraine auf einen längeren Aufenthalt in Deutschland einstellen, antwortet die Integrationsbeauftragte: „Das ist ganz unterschiedlich. Von einer Familie weiß ich, dass sie mittlerweile wieder in die Heimat zurück ist, weil sie überzeugt war, dass der Krieg nach dem viel zitierten 8. Mai weitgehend abflacht. Andere richten sich auf einen längerfristigen Verbleib ein.“Beate Kast glaubt: „Viele bleiben hier für ein paar Jahre, um sich etwas anzusparen, damit sie nach ihrer Rückkehr in die Heimat etwas Geld haben, um ihr zerstörtes Zuhause wieder aufzubauen.“
Das zeige sich auch daran, dass viele Ukrainer hier in Deutschland arbeiten wollen – und zwar in ihrem erlernten Beruf. „Ich kenne eine junge Frau, die ist Frisörin, eine andere Erzieherin. Das sind gefragte Berufe, in denen sie hier locker was kriegen müssten“, urteilt Beate Kast. Allerdings
sei es mitunter fraglich, ob die ukrainische Ausbildung hier anerkannt wird. Und natürlich ist da auch das Sprachproblem: Es fehlt an Lehrern und an Kursangeboten. „Wenn es mit der Sprache funktioniert, sind sie schnell im Arbeitsmarkt drin. Und ich glaube, dass sie die Sprache sehr schnell lernen“, meint Kast.
Mit bangem Blick schaut sie natürlich auf die weitere Entwicklung in der Ukraine, aber auch auf die weltweite Flüchtlingsbewegung. „Im Sommer 2019 lag der Migrantenanteil in Munderkingen bei fast 30 Prozent. Und es sind seither eher mehr geworden“, sagt Beate Kast. Sorge bereitet ihr dabei weniger die räumliche oder organisatorische Versorgung als die gesellschaftliche Akzeptanz. Auf der einen Seite seien die üblichen Vorbehalte („Neulich hat mich jemand auf dem Markt angesprochen und gesagt: ,Sie mit Ihren Flüchtlingen. Denen wird doch alles in den Hintern geschoben“), auf der anderen Seite sei die Integrationsbereitschaft vieler Migranten nicht sehr groß. „Bei den Kindern geht es ja noch, die schließen sich auch Vereinen an, aber viele Erwachsene halten sich schon sehr zurück“, sagt Beate Kast. Migranten und Einheimische lebten schon sehr nebeneinander her, bedauert sie. Daran habe auch Corona seinen Anteil. „Bis zum Jahr 2019 wurde schon das eine oder andere Integrationsprojekt aufgebaut, die Pandemie hat das alles aber wieder zerstört“, berichtet Kast. Zwar gebe es auch kaum Konflikte und es herrsche – anders als noch vor wenigen Jahren – Ruhe in Munderkingen, „aber es gibt auch wenig Miteinander.“
Dies zu verbessern, sei ihr großer Wunsch, aber auch eine große Herausforderung. Mit ihren fünf Stunden pro Woche als Integrationsbeauftragte habe sie selbst nur wenige Möglichkeiten, aktiv zu werden. Sie setzt daher auf Unterstützung aus der Bevölkerung und bedauert, dass sich der einst gegründete Helferkreis wieder aufgelöst habe.
„Es gibt noch Einzelne, die etwas machen und alte Kontakte zu Migranten pflegen“, sagt Beate Kast. Um etwas Neues aufzubauen, ist nun eine Veranstaltung für UkraineFlüchtlinge und sonstige Interessierte in Planung: Ein gemeinsames Picknick am Spielplatz, damit sich die Geflüchteten kennenlernen können. „Vielleicht entwickeln sich daraus ja auch ein neuer Helferkreis und regelmäßige Treffen“, so Beate Kasts Hoffnung.