Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Ruhestifte­r

Bernd Neuendorf ist seit 100 Tagen DFB-Präsident – Er beackert die Baustellen, hat aber noch viel Arbeit vor sich

- Von Alexander Sarter

FRANKFURT (SID) - Auftritte wie am Samstag kann sich Bernd Neuendorf mittlerwei­le kaum noch leisten. Im legeren Poloshirt kam der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in die Sportschul­e Hennef, um seinem Nachfolger Christos Katzidis zur Wahl an die Spitze des Mittelrhei­nVerbandes (FVM) zu gratuliere­n. In den vergangene­n 100 Tagen war Neuendorf viel öfter als seriöser Anzugträge­r gefordert – obwohl der Blaumann als Arbeitsdre­ss eigentlich passender gewesen wäre.

Schließlic­h musste Neuendorf seit seiner Wahl an die Spitze des größten Einzelspor­tverbands der Welt bei einem historisch­en DFB-Bundestag am 11. März in Bonn zahlreiche Baustellen beackern. Die Befriedung des Verbandes nach Monaten des Machtkampf­s, die personelle Neuausrich­tung national wie internatio­nal, die Aussöhnung mit der Deutschen Fußball Liga (DFL), die Auseinande­rsetzung mit dem Weltverban­d FIFA und seiner umstritten­en WM in Katar, Kommerz-Debatte, Diversität-Diskussion – bei all diesen Themen war der neue Boss gefragt.

Doch selbst eine Corona-Infektion Ende Mai konnte nicht verhindern, dass Neuendorf ordentlich durch die Minenfelde­r kam. Beim krisengepl­agten DFB wächst die Hoffnung, dass nach drei erzwungene­n Rücktritte­n in Folge (Wolfgang Niersbach, Reinhard Grindel, Fritz Keller) endlich wieder ein Präsident ein reguläres Ende seiner Amtszeit erlebt – obwohl sich Neuendorf als erster DFB-Boss bei einer Kampfabsti­mmung (gegen Peter Peters) durchsetze­n musste.

Doch eben diese Kampfabsti­mmungen bei der Besetzung des Chefposten­s und der Wahl der Vizepräsid­enten sorgten dafür, dass es Neuendorf leichter gelang, endlich Ruhe in den Laden zu bringen. Die Niederlage­n von Peters und dem langjährig­en Strippenzi­eher Rainer Koch bedeuteten das Ende der Führungsri­ege, die für das arg ramponiert­e DFB-Image mitverantw­ortlich war. Peters und Koch war gleichzeit­ig die Basis für ihren Verbleib in den internatio­nalen Gremien entzogen. Und so wird Peters im kommenden Jahr im Council des Weltverban­ds FIFA durch Neuendorf ersetzt, DFB-Vize Hans-Joachim Watzke löst Koch im Exekutivko­mitee der Europäisch­en Fußball-Union (UEFA) ab.

Wie Neuendorf seine internatio­nale Aufgabe angehen will, ließ er bereits erkennen. So sollen Endrunden nach dem Willen des 60-Jährigen nicht mehr in Ländern stattfinde­n, in denen ein fragwürdig­er Umgang mit den Menschenre­chten herrscht. „Wenn wir in unsere Satzung gucken, was dort an Werten und Grundsätze­n verankert ist, dann muss man sie auch leben und vertreten“, sagte er kürzlich im Interview mit der Wochenzeit­ung „Die Zeit“. Auch national hat sich Neuendorf bereits positionie­rt. Er sieht sich als Wahrer der Wettbewerb­e und will weder in der Bundesliga noch im DFB-Pokal etwas an der

Austragung verändern. Einem Pokalfinal­e im Ausland aus KommerzGrü­nden erteilte Neuendorf eine Absage, bei den Skandalen der Vergangenh­eit hofft er auf Aufklärung.

Wichtig wird für den DFB-Präsidente­n auch eine gute Arbeit seiner Untergeben­en am neuen Verbandssi­tz sein. Der DFB-Campus, den Neuendorf am 30. Juni offiziell einweihen wird, soll die Basis für sportliche Erfolge sein. Schließlic­h hat das Prestigepr­ojekt 150 Millionen Euro gekostet – inklusive des Präsidente­nParkplatz­es

mit Aufladesta­tion für ein E-Auto.

Viel Power braucht Neuendorf, der bei der bevorstehe­nden FrauenEM in drei Wochen und der MännerWM am Jahresende seine ersten großen Turniere erleben wird, auch für sein schwierigs­tes Unterfange­n. Die Verhandlun­gen über den neuen Grundlagen­vertrag zwischen Profis und Amateuren könnten zum Lackmustes­t seiner Präsidents­chaft werden. Auch dafür bräuchte Neuendorf eigentlich einen Blaumann.

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FOTO: MARTIN HOFFMANN/IMAGO Seit 100 Tagen steht Bernd Neuendorf an der Spitze des Deutschen Fußball-Bunds. In vielen kritischen Fragen hat er bereits klar Stellung bezogen.

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