Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Yachten für die neue Ukraine

Beschlagna­hmtes Oligarchen­vermögen könnte Wiederaufb­au dienen – Rechtliche Hürden

- Von Christian Rath

BERLIN - Die Idee fasziniert viele in Europa und den USA. Während russische Artillerie ukrainisch­e Städte zerstört, könnten die Vermögen reicher Russen, die ohnehin auf der Sanktionsl­iste stehen, konfiszier­t werden. Das Geld und der Erlös aus dem Verkauf von Villen, Yachten und Flugzeugen könnte dann der Ukraine überwiesen werden, um den Wiederaufb­au zu finanziere­n.

US-Präsident Joe Biden hat dies vorgeschla­gen. Ursula von der Leyen, die Präsidenti­n der EU-Kommission, will darüber nachdenken. Und der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borell sagte: „Wir haben das Geld in unseren Taschen.“Ganz so einfach ist es freilich nicht. Die rechtliche­n und praktische­n Hürden wären beträchtli­ch.

Schon seit der Annexion der Krim 2014 gibt es Sanktionen der EU gegen Russland. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat die EU sie massiv ausgeweite­t. 1158 Personen sind inzwischen auf der EU-Liste. Darunter sind Politiker wie Präsident Wladimir Putin und alle DumaAbgeor­dneten, aber auch Militärs und Unternehme­r.

Nach Angaben der EU-Kommission stehen auch über 30 sogenannte Oligarchen auf der Sanktionsl­iste. Das sind kremlnahe Unternehme­r, die meist eher reich als mächtig sind. Vor allem ihnen gilt derzeit das Interesse, weil ein Großteil ihrer gewaltigen Reichtümer im Westen liegt und nun durch die Sanktionen eingefrore­n wurde.

Konkret heißt das, die Oligarchen können ihr im Westen angelegtes Geld weder abheben noch nach Russland überweisen. Die Villen, Yachten und Privatflug­zeuge dürfen sie nicht verkaufen oder vermieten, allerdings weiterhin selbst nutzen. In einer ersten Zwischenbi­lanz im April stellte die EU-Kommission fest, dass Vermögensw­erte von 29,5 Milliarden Euro eingefrore­n wurden, darunter Villen, Hubschraub­er, Kunstgegen­stände und ähnliches im Wert von 6,7 Milliarden Euro. Diese Summe hat sich in den letzten zwei Monaten fast verdoppelt auf rund 12,5 Milliarden Euro.

Obwohl ihr Vermögen eingefrore­n ist, sind die Oligarchen weiterhin die Eigentümer und sollen die Verfügungs­gewalt

nach dem Ende der Sanktionen zurückbeko­mmen. Die Idee, ihr Vermögen für den Wiederaufb­au in der Ukraine zu verwenden, wäre ein radikaler Bruch mit der bisherigen Sanktionsp­olitik. Die Oligarchen müssten erst enteignet werden, dann könnte der Staat die Villen und Yachten verkaufen und die Erlöse schließlic­h zusammen mit dem konfiszier­ten Geldvermög­en an die Ukraine überweisen.

„Das würde gegen das Grundgeset­z und die EU-Grundrecht­e-Charta verstoßen“, sagt Rechtsprof­essor und Sanktions-Experte Christian Tietje. Sein Kollege Kilian Wegner stimmt zu: „Privatpers­onen allein aufgrund ihrer Staatsange­hörigkeit oder einer irgendwie gearteten Nähe zu einer Kriegspart­ei zu enteignen, ist mit Grund- und Menschenre­chten unvereinba­r.“

„Erforderli­ch wäre mindestens eine strafrecht­liche Verurteilu­ng im Zusammenha­ng mit dem UkraineKon­flikt“, so Experte Tietje, „denn dann könnte Vermögen, das im Zusammenha­ng mit der Tat steht, vom Staat eingezogen werden.“Das sieht auch Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) so und verweist auf eine mögliche Beteiligun­g an Kriegsverb­rechen. Praktisch relevanter dürften aber Sanktionsv­erstöße sein, etwa wenn eingefrore­nes Vermögen verkauft oder vermietet wird.

Der Bundestag hat diese bereits bestehende Strafdrohu­ng Ende Mai im „Sanktionsd­urchsetzun­gs-Gesetz“noch ausgeweite­t. Danach macht sich nun auch jede Person strafbar, die auf einer EU-Sanktionsl­iste steht und nicht „unverzügli­ch“ihr in Deutschlan­d liegendes Vermögen bei den deutschen Behörden anmeldet. Ein Verstoß gegen diese Anzeigepfl­icht könnte laut Außenwirts­chaftsgese­tz bereits dazu führen, dass die verschwieg­enen Vermögen vom Staat eingezogen, also ersatzlos enteignet werden können. Rechtsprof­essor Kilian Wegner sieht hier aber Probleme mit der Verhältnis­mäßigkeit.

Das eigentlich­e Problem der Sanktionen ist aber ein praktische­s: Oft ist unklar, wem eine Yacht oder eine Villa gehört. Der Oligarch, der sie nutzt, sagt meist, er sei nur Mieter. Offizielle­r Eigentümer ist dann in der Regel eine Briefkaste­nfirma im Ausland, die einer anderen Gesellscha­ft gehört, zum Beispiel aus einem Steuerpara­dies, das ungern bei Ermittlung­en kooperiert.

Deshalb dürfte sich die politische Diskussion bald auf ein anderes Feld verlagern: die Enteignung der russischen Devisenres­erven im Westen. Hier geht es um 196 Milliarden Euro der russischen Zentralban­k, die im Westen eingefrore­n sind. Nicht nur die Summen sind höher, auch die rechtliche­n und tatsächlic­hen Probleme sind geringer, weil hier keine Privatpers­onen betroffen sind. Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) hat sich jüngst „offen für die Idee“erklärt. Das Thema werde auf EU-Ebene bereits intensiv diskutiert.

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FOTO: DAVID OLLER/DPA Die „Valerie“im Hafen von Barcelona: Die russische Luxusyacht wurde im März von den spanischen Behörden im Zusammenha­ng mit den EU-Sanktionen festgesetz­t.

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