Ein Weltstar beim kleinen Dorfclub
Weshalb Weltmeister Miroslav Klose den SCR Altach als erste Station seiner Cheftrainer-Karriere gewählt hat
ALTACH - Nein, der Betzenberg ist das wahrlich nicht. Doch auch die Cashpoint-Arena im beschaulichen Altach kann sich sehen lassen. Idyllisch liegt das im Volksmund noch immer „Schnabelholz“genannte Stadion am Fuß der Berge des Bregenzerwalds. „Ich bin begeistert“, sagt Miroslav Klose. Der Weltmeister von 2014 steht im Mittelkreis und lässt seinen Blick durch die 8500 Zuschauer fassende Arena schweifen. Hier also wird er seine ersten Schritte als Cheftrainer im Profifußball machen. Nicht bei seinem Heimatclub 1. FC Kaiserslautern, bei dem er vor wenigen Wochen noch als Nachfolger des kurz vor der Relegation zur 2. Liga entlassenen Marco Antwerpen gehandelt wurde. Nicht mal in Deutschland. Nein, hier beim SCR Altach, dem selbsternannten Dorfclub in Vorarlberg, will der 44-Jährige seine zweite Karriere so richtig in Schwung bringen.
„Ich setze mich sehr unter Druck. Ich habe klare Vorstellungen“, sagt Klose bei seiner Vorstellung im kurzerhand zum Pressesaal umfunktionierten Multimediaraum inklusive kleiner Teeküche. Die weiße Tischdecke mit etlichen Bügelfalten und der wacklige Stammtisch-Wimpel des österreichischen Erstligisten auf dem Tisch passten nicht so recht zum WMRekordtorschützen, der dort Platz genommen hatte. Das extrem große Medieninteresse hingegen schon. Die Mitteilung von der Verpflichtung des Ex-Bayern-Stars am Freitag hatte international für Furore gesorgt, die Club-Homepage war aufgrund der hohen Nachfrage über Stunden nicht zu erreichen, über das Wochenende gingen in der Pressestelle zig Anfragen ein – nicht nur aus Deutschland und Österreich, sondern auch aus der Schweiz, Italien und Frankreich. Klose versucht den Rummel um seine Person auszublenden: „Ich habe immer noch kein Instagram und Facebook und bekomme das gar nicht so mit. Aber natürlich habe ich ein paar Reaktionen mitbekommen und freue mich, dass ich hier so willkommen bin.“
Ein paar Meter von Klose entfernt steht Christoph Längle im Stadion und strahlt mit der Sonne um die Wette. Der Geschäftsführer des SCR Altach kann es noch immer nicht ganz fassen, welcher Coup seinem Club gelungen ist. Als sein Sportlicher Leiter, Werner Grabherr, das erste Mal mit der Idee auf ihn zugekommen sei, Klose als Trainer zu holen, sei das für ihn erst mal „gewöhnungsbedürftig“gewesen, gibt Längle im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“zu. Aber dann habe er schnell erkannt, dass der Ex-Weltklassestürmer und der österreichische Bundesligist aus der Provinz gut zusammenpassen könnten. „Auf den ersten Blick scheint das vielleicht für manch einen abstrus. Aber Miro ist ein ehrlicher und harter Arbeiter, und auch uns wurde auf dem Weg in die Bundesliga nichts geschenkt. Die Wertewelt, für die Miro steht, ist nahezu identisch mit der Wertewelt des SCR.“
Außerdem: „Wir sind bekannt dafür, dass wir auch mal ungewöhnliche Dinge machen.“So wie 2008, als die Altacher mit der Verpflichtung von Werder-Legende Ailton für Furore sorgten. Auch Ex-Nationalspieler Sidney Sam (2019 bis 2020) und Ex-BVBStar Neven Subotic (2021) kickten schon für die Vorarlberger. Mit dem ehemaligen VfB-Stuttgart-Profi Ludovic Magnin saß auch in der vergangenen Saison ein prominenter Name auf der Trainerbank. Aber Miroslav Klose ist dann doch noch mal ein anderes Kaliber – das weiß auch Längle. „Für uns beginnt eine neue Zeitrechnung.“
Gemeinsam mit Klose möchte der SCR den nächsten Schritt machen, wachsen und sich auch tabellarisch verbessern. Der 1929 gegründete Club spielt seit 2014 durchgängig in der Bundesliga, kämpft seitdem aber fast jedes Jahr um den Klassenerhalt. Diese Mission geriet in der vergangenen Spielzeit gehörig in Gefahr: Der Klassenerhalt konnte erst am letzten Spieltag gesichert werden. Der Geschäftsführer mahnt daher auch zur Besonnenheit: „Wir werden auch in der aktuellen Euphorie nicht beginnen, Luftschlösser zu bauen. Es wird keiner von Miro verlangen, dass wir jetzt unter die ersten Sechs müssen“, sagt Längle, der betont, dass Klose nicht des Geldes wegen nach Vorarlberg gekommen sei, „auch wenn er uns in den Verhandlungen einiges abverlangt hat“.
In der Tat hat sich der Rekordtorschütze der deutschen Nationalmannschaft, der nach Ende seiner Spielerkarriere im Jahr 2016 bereits als Assistent des ehemaligen Bundestrainers Joachim Löw, Coach der U17 des FC Bayern und als Mitglied im Trainerteam von Hansi Flick bei den BayernProfis Erfahrungen als Übungsleiter gesammelt hat, ganz bewusst für Altach als Start seiner Cheftrainer-Laufbahn entschieden. „Es hat nach den ersten Gesprächen sofort gepasst.“Mit seinem Vorgänger Magnin, mit dem er einst bei Werder Bremen zusammenspielte, habe er sich noch nicht ausgetauscht. „Ich will nicht fremdgesteuert sein, sondern mir grundsätzlich selbst ein Bild machen.“
Nach einem ersten Besuch am vergangenen Dienstag war für Klose klar: das passt! Abseits des großen Rampenlichts kann er sich zunächst ausprobieren, eine Spielphilosophie entwickeln. „Ich will den Jungs Spaß und Freude vermitteln“, sagt der 137-malige Nationalspieler, dessen Familie in München wohnen bleibt, während er selbst in regelmäßigen Abständen zwischen der bayerischen Millionenmetropole und der 7000-Seelen-Gemeinde unweit der deutschen Grenze pendeln wird. „Ich weiß, wo ich hinmöchte. Ich will die Mannschaft auf die nächste Stufe bringen. Aber manche Prozesse dauern lange. Da gebe ich mir absolut die Zeit.“
Dass er seine Ansprüche dabei herunterschrauben muss, ist Klose klar: „Ich muss mich anpassen. Ich muss wahrscheinlich ein bisschen von meinen Erwartungen runtergehen.“Eine Vorgabe sei aber unumgänglich: „Die Fans sollen nach den Spielen nach Hause gehen und gesehen haben, dass der SCR Altach alles gegeben hat.“Geht es nach Geschäftsführer Längle dürften künftig auch ein paar mehr Zuschauer aus Deutschland dabei sein. „Das war zwar keinesfalls einer unserer Beweggründe für die Verpflichtung“, sagt er der „Schwäbischen Zeitung“. „Aber in der Bodenseeregion gibt es ja nicht gerade viel hochklassigen Fußball.“
Apropos Bodenseeregion: Der kann Weltstar Miroslav Klose schon nach wenigen Eindrücken viel abgewinnen: „Ich darf da arbeiten, wo andere Urlaub machen.“Den Auftakt macht das erste Training mit der Mannschaft am Dienstagmorgen.