Zu geheim, zu wenig Kontrollen
Verfassungsschutz steht vor Reform – FDP gegen unnötige Überwachung durch den Staat
BERLIN - Wie der Verfassungsschutz arbeitet? Die meisten Menschen interessieren sich dafür nur am Rande. Viele teilen die Einschätzung: Wer ein unbescholtener Bürger ist, hat nichts zu befürchten. Die Liberalen im Bundestag sehen das anders.
Die Nachrichtendienste des Bundes könnten derzeit zu unkontrolliert agieren, etwa beim Lauschangriff oder der privaten Handyortung, kritisiert Stephan Thomae, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und Abgeordneter für den Wahlkreis Oberallgäu. „Das führt dazu, dass auch harmlose Bürgerinnen und Bürger zu leicht ins Fadenkreuz der verdeckt und geheim agierenden Nachrichtendienste geraten können.“Er setzt sich deshalb dafür ein, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reform des Inlandsgeheimdienstes zügig angegangen wird.
Doch erst einmal einen Schritt zurück: Die Frage, wer die verdeckte Arbeit der Geheimdienste kontrolliert – und wie viel Kontrolle und Austausch sein muss, beschäftigt Politik und Gerichte seit Jahren. In größter Deutlichkeit hatten die Morde des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds allen vor Augen geführt, dass die Geheimdienste der Reform bedürfen. Als eine Konsequenz aus der NSU-Affäre wurde 2016 das bayerische Verfassungsschutzgesetz novelliert, auch um die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei zu verbessern. Doch zwischen gut gemeint und gut gemacht ist bekanntlich ein Unterschied: Im April entschied das
Bundesverfassungsgericht, dass dieses Gesetz teilweise verfassungswidrig ist.
Auch wenn sich dieses Urteil unmittelbar auf Bayern bezieht, können sich der Bund und die anderen Bundesländer nicht entspannt zurücklehnen. Denn in einem neuen Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, das der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, wird ausgeführt, dass die Bundesgesetze zu den Nachrichtendiensten ebenfalls an vielen Stellen nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügten. Konkret geht es um die Überwachung in der eigenen Wohnung, Handyortungen, den Einsatz verdeckter Ermittler und von V-Leuten sowie die Übermittlung und Weitergabe von Informationen, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnen wurden. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle spricht von „umfangreichen Hausaufgaben“, die der Bund zu erledigen habe. So müsse der Gesetzgeber für eine klare Aufgabentrennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei sorgen – gemäß dem in Deutschland geltenden Trennungsgebot.
Doch was heißt das für den Verfassungsschutz im Bund und in den Ländern? Sie müssen sich darauf einstellen, künftig besser kontrolliert zu werden. Denn die Karlsruher Richter hatten in ihrem Urteil im April an vielen Stellen moniert, dass „unabhängige
Vorabkontrollen“im Gesetz fehlten. Das heißt, ohne entsprechende Genehmigungen wird der Verfassungsschutz künftig bei bestimmten Vorhaben nicht mehr tätig werden können – bei der Polizei ist das schon so geregelt. „Nach unserer Vorstellung sollte bereits während der Vorabprüfung zwingend ein Betroffenenoder Bürgeranwalt eingebunden sein, der die Rechte und Interessen der Betroffenen wahrnimmt“, fordert Thomae.
Laut „Süddeutscher Zeitung“hat eine Arbeitsgruppe der Innenministerien von Bund und Ländern erste Reformvorschläge erarbeitet, die mehr Kontrollen für den Verfassungsschutz zur Folge hätten. Auch über eine Aufwertung des bislang kaum bekannten „Unabhängigen Kontrollrats“wird berichtet. Seit Anfang Januar sind sechs Juristen in diesem Gremium und ihre rund 60 Mitarbeiter für die Kontrolle des Bundesnachrichtendiensts zuständig. Künftig könnten sie möglicherweise auch über Überwachungen durch den Verfassungsschutz entscheiden.
Vom Bundesinnenministerium heißt es auf Anfrage, die Bundesregierung werte die „tragenden Erwägungen“des Bundesverfassungsgerichts sorgfältig aus und werde sie, soweit erforderlich, bei einer Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes berücksichtigen. Auch im Innenministerium in Baden-Württemberg wird derzeit geprüft, ob das Landesverfassungsschutzgesetz angepasst werden muss. „Derzeit stimmen wir unsere Schlussfolgerungen mit den anderen Länderministerien und dem Bundesinnenministerium ab“, teilt ein Sprecher am Dienstag mit.