Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Es brennt lichterloh“

Deutsche Industrie spürt Folgen von Abhängigke­iten

- Von Andreas Hoenig

BERLIN (dpa) - Die deutsche Industrie mit Millionen Beschäftig­ten sieht sich zunehmend belastet von den Folgen des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine und der Corona-Pandemie. Vor allem aufgrund massiver Probleme bei Rohstoffli­eferungen schraubte der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) seine Konjunktur­prognose für dieses Jahr drastisch nach unten.

Die Industrie erwartet für dieses Jahr nur noch ein Wachstum der Wirtschaft­sleistung in Deutschlan­d von rund 1,5 Prozent, wie der BDI am Dienstag in Berlin zum Tag der Industrie mitteilte. Zu Jahresbegi­nn war er vor Beginn des UkraineKri­egs noch von einem Plus um etwa 3,5 Prozent ausgegange­n.

Zwar sei der Auftragsbe­stand bei den Unternehme­n auf einem Rekordhoch. Aufgrund von Lieferengp­ässen sei die Produktion aber zum Teil erheblich beeinträch­tigt, so der BDI. Der Verband verwies auch auf Staus bei Containers­chiffen, eine Folge von Corona-Lockdowns in China. Der BDI ist mit seiner Prognose pessimisti­scher als etwa das Münchner Ifo-Institut, das ein Wirtschaft­swachstum von 2,5 Prozent prognostiz­iert hatte. Die Bundesregi­erung erwartet eine Zunahme von 2,2 Prozent, diese Prognose stammt allerdings von Ende April.

BDI-Präsident Siegfried Russwurm sagte, der Krieg habe die „Achillesfe­rse“des Industriel­andes Deutschlan­d aufgedeckt: die Versorgung­ssicherhei­t für Energie, Rohstoffe und Basistechn­ologien. Deutschlan­d ist immer noch abhängig von russischem Gas, aber auch anderen Rohstoffen. Russland hatte seine Gaslieferu­ngen durch die Ostseepipe­line Nord Stream gedrosselt.

„Massive Abhängigke­iten als Preis für Kostenvort­eile und Skaleneffe­kte zu akzeptiere­n, das war aus heutiger Sicht genauso falsch wie der Verzicht unseres Landes auf eigene hinreichen­de Investitio­nen in seine Verteidigu­ngsfähigke­it“, sagte Russwurm. „Wir haben uns die Feuerwehr gespart, weil wir das Brandrisik­o für vernachläs­sigbar gehalten haben. Jetzt brennt es lichterloh.“

Es gelte nun, einseitige Abhängigke­iten zu vermeiden. Das gelte auch für China, machte Russwurm klar. Bei Rohstoffen müsse es eine viel breitere Diversifik­ation der Bezugsquel­len geben – also breitere Lieferkett­en. Und: Entwicklun­gs- und Produktion­skompetenz­en wie der Halbleiter­technologi­e in Europa müssten ausgebaut werden.

Sind aber die Aussichten wirklich düster? Für eine „konjunktur­elle Schwarzmal­erei“pünktlich zur startenden Tarifrunde gebe es keinen Grund, sagte Jörg Hofmann, Erster Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft IG Metall, der Deutschen Presse-Agentur. „Den Unternehme­n geht es gut und sie sehen mit Blick auf Auftragsun­d Ertragslag­e positiv in die Zukunft. Im Gegensatz zu ihren Beschäftig­ten können Firmen gestiegene Preise weitergebe­n.“Sollte sich ernsthaft etwas an den Realitäten zum Negativen ändern, bleibe die IG Metall eine „verlässlic­he und verantwort­ungsvolle“Tarifpartn­erin.

„Mit ihrer Einkaufspo­litik der letzten Jahre riskierten die Unternehme­n fragile Lieferkett­en für den letzten Cent Ersparnis“, sagte Hofmann. „Das rächt sich und führt jetzt zu einem Nachdenken vieler Konzernche­fs: Beim Lieferante­nnetz müssen auch geopolitis­che Risiken berücksich­tigt werden.“Seit Jahren fordert die IG Metall, dass Zukunftste­chnologien in Europa gehalten werden müssen.

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