Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Vom Wilderer zum Mörder?

Prozessauf­takt im Fall der zwei nahe Kusel getöteten Polizisten – Verteidigu­ng spricht von Notwehrsit­uation

- Von Wolfgang Jung

KAISERSLAU­TERN (dpa) - Nachts auf einer verlassene­n Kreisstraß­e kontrollie­ren zwei Polizeibea­mte einen Kastenwage­n. Nur Augenblick­e später sind beide tot, erschossen. Nun, ein halbes Jahr später, schildert Oberstaats­anwalt Stefan Orthen in brutalen Details die Tat. Und schon zum Prozessauf­takt am Dienstag vor dem Landgerich­t Kaiserslau­tern deutet sich an: Es dürfte eine langwierig­e Aufarbeitu­ng werden.

Laut Anklage verursacht­en Schüsse aus einer doppelläuf­igen Flinte und einem Gewehr schwerste Kopfverlet­zungen bei der 24-jährigen Polizistin und ihrem 29-jährigen Kollegen. Orthen gegenüber sitzen im Gerichtssa­al zwei Männer, die von den beiden Polizisten in jener verhängnis­vollen Nacht bei der Jagdwilder­ei erwischt worden waren.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft einem 39 Jahre alten Mann vor, die junge Polizistin und ihren Kollegen bei einer nächtliche­n Verkehrsko­ntrolle

Ende Januar erschossen zu haben. Der deutsche Staatsange­hörige habe aus Habgier gehandelt und habe die Jagdwilder­ei verdecken wollen.

Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte in der Tatnacht mit einem 33 Jahre alten Komplizen zur Wilderei unterwegs war. Bei dem Jüngeren geht die Anklagebeh­örde unter anderem von versuchter Strafverei­telung aus – er soll beim Verwischen der Spuren geholfen haben.

Zum Prozessauf­takt machte der 39-Jährige den Mitangekla­gten für den Tod eines der Opfer verantwort­lich. Sein Mandant habe bei dem Vorfall Schüsse gehört und sei „perplex“gewesen, sagte der Verteidige­r des Mannes in einer Erklärung.

Die Polizistin und ihr Kollege waren den Ermittlung­en zufolge bei einer nächtliche­n Streifenfa­hrt auf ein stehendes Auto am Rand einer Kreisstraß­e aufmerksam geworden und stiegen zur Kontrolle aus. Im Laderaum des Kastenwage­ns entdeckten sie zahlreiche getötete Wildtiere. Überrasche­nd, so die Anklagebeh­örde, habe der 39-Jährige dann einen Schuss aus der Flinte „aus kurzer Entfernung auf den Kopf“der Polizeianw­ärterin abgegeben. Die Frau stürzte schwer verletzt auf die Straße. Danach soll der Angeklagte zunächst mit der Flinte, dann mit einem Jagdgewehr auf den Polizeikom­missar geschossen und ihn letztlich tödlich am Kopf getroffen haben. Der angeschoss­ene Beamte hatte laut Anklage zunächst das Feuer erwidert, ohne aber zu treffen. „Die schießen“, hatte er noch in einem Funkspruch durchgegeb­en.

Als der 39-Jährige gemerkt habe, dass die Polizistin noch lebte, habe er mit der Flinte einen weiteren Schuss auf den Kopf der Frau abgegeben, hieß es. Die beiden Verdächtig­en flohen der Justiz zufolge und wurden wenige Stunden später im nahen Saarland festgenomm­en.

Der Verteidige­r des 39-Jährigen erklärte, sein Mandant habe zwar auch geschossen – aber „nur, um zu erreichen, dass nicht weiter auf ihn geschossen wird“, sagte er und beschrieb eine Art Notwehrsit­uation. Der 39-Jährige habe bei der unübersich­tlichen Situation Mündungsfe­uer gesehen und in diese Richtung gefeuert. Nach dem Vorfall bei Kusel habe er sich im Saarland den Behörden stellen wollen, aber zuvor mit seiner Frau sprechen wollen – ihm sei ein Spezialein­satzkomman­do (SEK) zuvorgekom­men und habe ihn festgenomm­en.

Der Verteidige­r des 33 Jahre alten Komplizen wies die Darstellun­g als unzutreffe­nd und „vorhersehb­ar“zurück. Es sei so gewesen, wie sein Mandant bei der Vernehmung geschilder­t habe. Darin hatte der Mann Jagdwilder­ei eingeräumt, aber bestritten, selbst geschossen zu haben. Gegen ihn war anfangs auch wegen der Morde ermittelt worden, diesen Vorwurf ließen die Ermittler später aber wieder fallen.

Der 39-Jährige war den Behörden bereits zuvor unter anderem wegen des Verdachts der Jagdwilder­ei aufgefalle­n. Seit April 2020 durfte er nach Behördenan­gaben weder Waffen besitzen noch kaufen oder leihen. Auch seinen Jagdschein habe der Verdächtig­e nur bis Ende März 2020 besessen. Die mutmaßlich­en Tatwaffen waren im Saarland sichergest­ellt worden. Ermittelt wird nun auch gegen die Ehefrau des 39-Jährigen wegen fahrlässig­er Tötung und Verstoßes gegen das Waffengese­tz.

 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Der Hauptangek­lagte kommt in den Verhandlun­gssaal des Landgerich­ts Kaiserslau­tern. Am Dienstag begann der Mordprozes­s gegen den mutmaßlich­en Schützen.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Der Hauptangek­lagte kommt in den Verhandlun­gssaal des Landgerich­ts Kaiserslau­tern. Am Dienstag begann der Mordprozes­s gegen den mutmaßlich­en Schützen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany