Entsetzlich unterhaltsam
Mit der Inszenierung von „Nosferatu“gelingt dem Theater Konstanz ein launiges Freiluft-Spektakel
KONSTANZ - Am Premierenabend von „Nosferatu“in Konstanz herrschen denkbar schlechte Bedingungen für Vampire: Vom Himmel brennt noch eine verglühende Abendsonne, unter der die annähernd 600 Zuschauer bei 34 Grad vor sich hinköcheln. Eine Witterung, bei der Untote normalerweise sofort zu Staub zerfallen. Überhaupt nicht angestaubt wirkt der Versuch von Autor Stephan Teuwissen, das Schauermärchen um den blutsaugenden Grafen Orlok in ein überzeichnetes Bühnenspektakel mit Musik zu verwandeln.
Teuwissen muss eine Menge Bilder beim Schreiben des Textes im Kopf gehabt haben, denn die Nosferatu-Geschichte – die Kino-Premiere von Friedrich Wilhelm Murnau ist genau 100 Jahre her – hat seitdem viele Vampirfiguren durch die Filmgeschichte geistern lassen. Kann der Stummfilm, der auf Bram Stokers berühmtem Dracula-Roman basiert und von Roman Polanski über Werner Herzog bis Francis Ford Coppola bereits durch die künstlerische Mangel gedreht wurde, auch mit Bühnensprache funktionieren? Kann er – und zwar sehr unterhaltsam.
Die Story ist ein alter Hut: Der junge und aufstrebende Makler-Assistent Norbertus Hutter wird von seinem Chef nach Transsilvanien geschickt, um dort den Erwerb einer Immobilie mit Graf Orlok perfekt zu machen. Hutter muss dazu seine von bösen Vorahnungen geschüttelte Braut Mathilda zurücklassen. Auf dem Schloss des Grafen trifft er auf den blutrünstigen Untoten, der sich an ihm labt. Verladen auf ein Boot schippert der Graf im Sarg zum neuen Haus, während die Mannschaft aufgrund akuter Blutarmut zum Ende der Überfahrt auf null dezimiert ist. Orlok hat es auf die unschuldige Mathilda abgesehen.
Regisseurin Mélanie Huber transplantiert den Zielort für des Grafen Hauskauf nach Konstanz an den Bodensee und bindet auch historische Figuren aus dem Stadtleben andeutungsweise ein. Die Inszenierung nimmt Klischees des „Bodensee-Metropölchens“
auf und spielt mit ihnen. Etwa wenn Norbertus Hutter sich mit dem Satz immer wieder selbst beruhigt, in dem er mantramäßig wiederholt: „Konstanzer Blut ist bedächtiges Blut!“
Das überaus unterhaltsame Spektakel funktioniert im Schatten der Konstanzer Münsterkirche als von Tiefe unbeschwerter Freilicht-Genuss ohne Reue. Als Oberspaßmacher erweist sich dabei Ingo Biermann in der Rolle des Van Hasselt. Die Blasiertheit, seine ausufernde Gesichtsgymnastik, sind ansteckend. Ebenso die geckenhafte Interpretation Patrick O. Becks als geldgieriger Makler Nogg. Den Part der Mathilda spielt eine feinfühlige Sarah Siri Lee König, die Verliebtheit ebenso wie Entsetzen fast gleichzeitig in einem Gesicht auszudrücken vermag.
Jenseits von Überspanntheit und Karikatur versucht sich Luise Harder an der Figur des Nosferatu, die wohl die schwerste Aufgabe hat: als Frau die ganzen etablierten Vampir-Gestalten von Klaus Kinski bis Christopher Lee hinter sich zu lassen. Sie ist als bemitleidenswertes Geschöpf der Ausgrenzung und Isolation gezeichnet. Gerade am Ende des Stücks wirkt der Verweis darauf, dass wir ja alle irgendwie Geschöpfe der Nacht seien, im Kontext der auf den Spaß an der spielerischen Freude ausgelegten Inszenierung ein bisschen bemüht. Über solche Momente spielt die sechsköpfige Kapelle zum Glück mit beherztem Humtata hinweg. Sie setzt die gut in die Epoche hineinkomponierte Musik erfrischend beschwingt um. Variiert aus fetzigem Charleston, Marschmusik und Polka.
Die Initiatoren des Konstanzer Schauermärchens machen alles richtig, in dem sie eben nicht mit der Brechstange irgendwelche Gegenwartsbezüge an den Haaren herbeiziehen. Weise auch in diesem Zusammenhang, kein Blut fließen zu lassen, nicht mal künstliches.