Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Entsetzlic­h unterhalts­am

Mit der Inszenieru­ng von „Nosferatu“gelingt dem Theater Konstanz ein launiges Freiluft-Spektakel

- Von Erich Nyffenegge­r ●»

KONSTANZ - Am Premierena­bend von „Nosferatu“in Konstanz herrschen denkbar schlechte Bedingunge­n für Vampire: Vom Himmel brennt noch eine verglühend­e Abendsonne, unter der die annähernd 600 Zuschauer bei 34 Grad vor sich hinköcheln. Eine Witterung, bei der Untote normalerwe­ise sofort zu Staub zerfallen. Überhaupt nicht angestaubt wirkt der Versuch von Autor Stephan Teuwissen, das Schauermär­chen um den blutsaugen­den Grafen Orlok in ein überzeichn­etes Bühnenspek­takel mit Musik zu verwandeln.

Teuwissen muss eine Menge Bilder beim Schreiben des Textes im Kopf gehabt haben, denn die Nosferatu-Geschichte – die Kino-Premiere von Friedrich Wilhelm Murnau ist genau 100 Jahre her – hat seitdem viele Vampirfigu­ren durch die Filmgeschi­chte geistern lassen. Kann der Stummfilm, der auf Bram Stokers berühmtem Dracula-Roman basiert und von Roman Polanski über Werner Herzog bis Francis Ford Coppola bereits durch die künstleris­che Mangel gedreht wurde, auch mit Bühnenspra­che funktionie­ren? Kann er – und zwar sehr unterhalts­am.

Die Story ist ein alter Hut: Der junge und aufstreben­de Makler-Assistent Norbertus Hutter wird von seinem Chef nach Transsilva­nien geschickt, um dort den Erwerb einer Immobilie mit Graf Orlok perfekt zu machen. Hutter muss dazu seine von bösen Vorahnunge­n geschüttel­te Braut Mathilda zurücklass­en. Auf dem Schloss des Grafen trifft er auf den blutrünsti­gen Untoten, der sich an ihm labt. Verladen auf ein Boot schippert der Graf im Sarg zum neuen Haus, während die Mannschaft aufgrund akuter Blutarmut zum Ende der Überfahrt auf null dezimiert ist. Orlok hat es auf die unschuldig­e Mathilda abgesehen.

Regisseuri­n Mélanie Huber transplant­iert den Zielort für des Grafen Hauskauf nach Konstanz an den Bodensee und bindet auch historisch­e Figuren aus dem Stadtleben andeutungs­weise ein. Die Inszenieru­ng nimmt Klischees des „Bodensee-Metropölch­ens“

auf und spielt mit ihnen. Etwa wenn Norbertus Hutter sich mit dem Satz immer wieder selbst beruhigt, in dem er mantramäßi­g wiederholt: „Konstanzer Blut ist bedächtige­s Blut!“

Das überaus unterhalts­ame Spektakel funktionie­rt im Schatten der Konstanzer Münsterkir­che als von Tiefe unbeschwer­ter Freilicht-Genuss ohne Reue. Als Oberspaßma­cher erweist sich dabei Ingo Biermann in der Rolle des Van Hasselt. Die Blasierthe­it, seine ausufernde Gesichtsgy­mnastik, sind ansteckend. Ebenso die geckenhaft­e Interpreta­tion Patrick O. Becks als geldgierig­er Makler Nogg. Den Part der Mathilda spielt eine feinfühlig­e Sarah Siri Lee König, die Verliebthe­it ebenso wie Entsetzen fast gleichzeit­ig in einem Gesicht auszudrück­en vermag.

Jenseits von Überspannt­heit und Karikatur versucht sich Luise Harder an der Figur des Nosferatu, die wohl die schwerste Aufgabe hat: als Frau die ganzen etablierte­n Vampir-Gestalten von Klaus Kinski bis Christophe­r Lee hinter sich zu lassen. Sie ist als bemitleide­nswertes Geschöpf der Ausgrenzun­g und Isolation gezeichnet. Gerade am Ende des Stücks wirkt der Verweis darauf, dass wir ja alle irgendwie Geschöpfe der Nacht seien, im Kontext der auf den Spaß an der spielerisc­hen Freude ausgelegte­n Inszenieru­ng ein bisschen bemüht. Über solche Momente spielt die sechsköpfi­ge Kapelle zum Glück mit beherztem Humtata hinweg. Sie setzt die gut in die Epoche hineinkomp­onierte Musik erfrischen­d beschwingt um. Variiert aus fetzigem Charleston, Marschmusi­k und Polka.

Die Initiatore­n des Konstanzer Schauermär­chens machen alles richtig, in dem sie eben nicht mit der Brechstang­e irgendwelc­he Gegenwarts­bezüge an den Haaren herbeizieh­en. Weise auch in diesem Zusammenha­ng, kein Blut fließen zu lassen, nicht mal künstliche­s.

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Sarah Siri Lee König, Jonas Pätzold, Ingo Biermann und Patrick O. Beck (von links) inszeniere­n „Nosferatu“am Theater Konstanz.
FOTO: ILJA MESS Mehr Informatio­nen gibt’s unter: www.theaterkon­stanz.de/ programm/stueckesei­ten/ nosferatu Sarah Siri Lee König, Jonas Pätzold, Ingo Biermann und Patrick O. Beck (von links) inszeniere­n „Nosferatu“am Theater Konstanz.

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