Kompromiss beim Handel mit Verschmutzungsrechten
Nach viel Streit erzielt EU-Parlament eine Einigung – Grüne sehen trotz Zustimmung Klimaziele in Gefahr
BRÜSSEL - Das Europaparlament hat seine Position zur Reform des Emissionshandels festgeklopft. Nun können die Verhandlungen mit dem Rat über das Mammutpaket „Fit for 55“starten.
Mit einer soliden Mehrheit von 439 zu 157 Stimmen haben Sozialdemokraten, Konservative, Liberale und Grüne ihren gemeinsamen Standpunkt zum sogenannten ETS („Emissions Trading System“) im Plenum bekräftigt. Vor zwei Wochen war ein erster Anlauf an Meinungsverschiedenheiten darüber gescheitert, wie lange es noch kostenlose Verschmutzungsrechte für Schlüsselindustrien geben soll und ab wann Importe, die nicht den europäischen Klimaauflagen unterliegen, mit einer CO2-Einfuhrabgabe belegt werden sollen.
Den Grünen geht der von Konservativen und Liberalen getragene Vorschlag eigentlich nicht weit genug. Der Stuttgarter Europaabgeordnete Michael Bloss rechnete am Mittwoch vor, dass die Einigung hinter den ursprünglichen Ambitionen der EU-Kommission zurückbleibe und zum Ausstoß von zusätzlichen 100 Millionen Tonnen CO2 führen werde. Das beim Klimagipfel in Paris beschlossene Ziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung könne damit nicht erreicht werden. Nach Berechnungen seines Kollegen Peter Liese von der CDU sind es aber nur sechs Millionen Tonnen CO2 zusätzlich – angesichts von 1500 Millionen Tonnen, die durch die Reform eingespart werden sollen, sei das eine zu vernachlässigende Größe.
Die Konservativen hatten argumentiert, dass es wegen der kriegsbedingt angespannten Lage im Energiesektor eine Schonfrist für energieintensive Industrien geben müsse. Das entspricht auch der Haltung des grün geführten deutschen Wirtschaftsministeriums. Gratiszertifikate werden deutlich langsamer abgebaut als ursprünglich geplant – 2027 werden sieben Prozent aus dem Markt genommen, im Folgejahr neun Prozent. Doch schon 2032 wird die freie Zuteilung ganz beendet – die Kommission hatte eine Frist bis 2035 vorgesehen.
Teil des Systems ist der sogenannte Grenzausgleichsmechanismus. Er soll die heimische Wirtschaft vor unfairer Konkurrenz schützen. Sollte er gut funktionieren, könne man ihn deutlich schneller „scharf stellen“, so die Argumentation des Europaparlaments. Es wird aber eine Sicherungsklausel
eingebaut. Wenn der Mechanismus in der Praxis versagt und Billigkonkurrenz aus Drittländern ohne Emissionshandelssystem der heimischen Stahl- oder Chemieindustrie das Wasser abgräbt, soll sie weiter Gratiszertifikate für ihre Exporte erhalten.
Der zweite große Bereich der Reform ist die Einführung eines weiteren Emissionshandelssystems mit Verschmutzungsrechten für den Transport- und Gebäudebereich. Auf Drängen der Sozialdemokraten sollen nur kommerzielle Nutzer zur Kasse gebeten werden. In der Praxis dürfte das schwierig werden. Deshalb geht CDU-Mann Liese davon aus, dass dieser Passus in den Verhandlungen mit dem Rat keinen Bestand haben wird. Der Münsinger FDP-Europaparlamentarier Andreas
Glück sagt, seine Partei halte die Trennung ohnehin für „nicht sinnvoll“. Das aktuell in Deutschland geltende System unterscheidet ebenfalls nicht zwischen privatem und kommerziellem Verbrauch.
Timo Wölken von der SPD hingegen argumentiert, dass die Reform „nicht zu sozialem Sprengstoff in der EU werden“dürfe. „Die ursprüngliche Idee, das ETS auf die Bürgerinnen und Bürger auszurollen, hätte wahnsinnige soziale Probleme bereitet.“
Andreas Glück hingegen meint: „Das ETS ist eine echte Mengensteuerung. Es ist ein Anreiz für gute und günstige Lösungen. Diese neuen Technologien können dann weltweit verkauft werden. Deshalb ist die Ausweitung auf weitere Sektoren richtig und wichtig.“Als echter Schwabe sei er der Meinung:„Es isch dort am geschicktesten gespart, wo’s am wenigsten wehtut.“
Selbst wenn die Reform nun etwas später kommt, wird sie eine beispiellose technische Umrüstung erfordern und deutlich steigende Preise zur Folge haben – mit oder ohne Einbeziehung der Privathaushalte. In den kommenden acht Jahren soll der CO2-Ausstoß um weitere 30 Prozent reduziert werden – in den letzten 30 Jahren gelang es gerade einmal, das klimaschädliche Gas um 25 Prozent zu verringern. Für Industrien, die an klimafreundlichen Lösungen arbeiten, sieht der Parlamentsvorschlag einen Bonus an Gratiszertifikaten für eine verlängerte Übergangszeit vor. Der Hauptanreiz aber dürfte darin liegen, endlich von Handelspartnern wie Russland, Libyen, Venezuela oder Saudi Arabien weniger abhängig zu sein.