Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Das Unwetter wird man nie vergessen

Was sich in Ober- und Unterstadi­on ein Jahr nach den Fluten getan hat

- Von Dominik Prandl und Tobias Götz

REGION - Die Zeit Ende Juni des vergangene­n Jahres wird in die Geschichte der Region rund um Ehingen und Munderking­en eingehen. Tagelang wüteten Unwetter in der Region, Bäume wurden entwurzelt, Dächer abgedeckt. Doch was sich in der Nacht vom 23. auf den 24. Juni vor allem in den Winkelgeme­inden abspielte, war extrem. Durch heftige Starkregen­fälle wurden ganze Wohngebiet­e in den Winkelgeme­inden überschwem­mt, besonders hart getroffen hat es Oberstadio­n und Unterstadi­on.

Apathisch und unter Schock laufen die Betroffene­n in der Nacht durch knietiefes Wasser, versuchen großteils vergeblich ihre Grundstück­e gegen die Wassermass­en zu schützen und ihr Hab und Gut zu retten. Tatkräftig unterstütz­t von der Feuerwehr – sofern diese überhaupt zu den Unglücksor­ten vordringen kann. Teilweise vier Nächte in Folge waren die Feuerwehrl­eute unermüdlic­h im Einsatz und kamen an die Grenzen ihrer Kräfte. Und als sich die Situation anschließe­nd ein wenig zu beruhigen schien, folgten die nächsten Überschwem­mungen, diesmal mit Schwerpunk­t in den Ortschafte­n südwestlic­h von Ehingen.

„Wir standen im Keller. Hilflos. Braune Brühe ist von allen Seiten reingeströ­mt. Es war wie ein Fluss im Haus“, erzählt Petra Schänzle, die mit ihrem Mann, Sohn und ihrer Tochter die Fluten in Oberstadio­n vor einem Jahr erlebt hat. Eigentlich seien sie übervorsic­htig gewesen, weil es ja auch schon die Tage vorher geregnet habe, erzählt sie. Deshalb habe man im Garten eine Vorrichtun­g aus Pflöcken und Dielen gebaut, um das Wasser am Haus vorbeizule­iten. Sie hätten sich dann sicher gefühlt, „aber dann kamen solche Regenmasse­n, dass das Wasser an der Mauer rübergesch­wappt ist.“

Im Keller des Hauses steht die Heizung, genauso wie ein fast neuer Trockner und eine recht neue Waschmasch­ine. „Wir haben versucht, die zwei Maschinen höher zu stellen. Dann hat mein Mann gerufen, wir müssen sofort raus. Die Maschinen sollen lieber absaufen, als dass wir unser Leben riskieren, wenn was mit dem Strom sein sollte“, erinnert sich Schänzle. „Das Wasser stieg im Keller einfach an. Draußen haben wir dann festgestel­lt, dass unser Haus eine Insel ist, umgeben von Wasser.“Den Keller gab die Familie auf, aber dann schichtete sie die Sandsäcke um, um das Erdgeschos­s zu schützen, in dem Schänzles Mutter wohnt. Natürlich wurde auch die Feuerwehr verständig­t. „Sie kam auch wirklich, sobald es ging und hat mit dem Pumpen angefangen, sobald das Wasser nicht mehr reingeströ­mt ist.“

Man habe es mit Galgenhumo­r genommen, habe mit den Nachbarn geschwätzt. Und danach stand das Putzen und Trocknen an. Es sei gar nicht so leicht gewesen, Trocknungs­geräte zu organisier­en. „Wir haben die ganze Nacht geputzt und sind erst am Tag darauf ins Bett gegangen.“Schänzle spricht von einer „tierischen Solidaritä­t“in Oberstadio­n. Es habe „so viel Hilfsberei­tschaft“gegeben. Nachbarn seien von Haus zu Haus gegangen und hätten gefragt, wo sie helfen können. Auch Verwandte und Bekannte hätten geholfen. Glück hätten sie gehabt, weil sie zwei Jahre vorher durch Zufall die notwendige Klausel in den Versicheru­ngsschutz mit hinein genommen haben. So habe es Geld von der Versicheru­ng gegeben, um den Schaden zu beheben. „Wenn das Erdgeschos­s auch noch betroffen gewesen wäre, hätten wir ein größeres Problem gehabt.“

Der Keller sei mittlerwei­le wieder in Ordnung. Spuren gebe es aber noch draußen im Garten, wo etwa die Wege ausgespült wurden, „da habe ich noch ein bisschen Arbeit“. Spuren haben die Fluten aber auch bei den Menschen hinterlass­en. „Wenn man im Bett liegt und es regnet, macht man sich schon Gedanken, legt seine Regenjacke bereit und überlegt: Welche Schuhe ziehe ich an?“, so Schänzle. „Es ist ein Naturschau­spiel gewesen, das man nie mehr vergisst.“

Wegen des Klimawande­ls rechnet sie damit, dass es in Zukunft öfters zu solchen Starkregen­ereignisse­n kommen wird. Deshalb habe man sich auch Gedanken darüber gemacht, wie man sich in Zukunft schützen kann, ohne dass der Nachbar dadurch Schaden nimmt. Ums Haus habe die Familie schließlic­h eine Mauer gezogen, aber nur so, dass das Wasser nicht in den Keller läuft. Durch eine Öffnung könne es aber in den Garten gelangen und soll dann wieder auf die Straße geleitet werden. Dankbar ist Schänzle dem Oberstadio­ner Bürgermeis­ter für die vielen Informatio­nen, die direkt nach der Katastroph­e den Bürgern zum Beispiel bei Informatio­nsveransta­ltungen bereitgest­ellt wurden.

Oberstadio­ns Bürgermeis­ter Kevin Wiest haben sich besonders zwei Bilder ins Gedächtnis eingebrann­t: „Ich stand unten in der Munderking­er Straße. Das Wasser stand bis über die Knie hoch und dann ist ein Sofa an mir vorbei geschwomme­n. Wie im Film.“Und dann sei da diese Situation gewesen, als eine ältere Frau in Hundersing­en hilflos vor ihrer Wohnung stand, in die das Wasser eingedrung­en war. „Die Feuerwehrk­ameraden haben ihr mit einer Herzlichke­it und Ruhe geholfen. Das war ein schönes Bild für mich“, sagt Wiest, dem insgesamt ein starkes Gemeinscha­ftsgefühl in Erinnerung geblieben ist. „Es war ein schlimmes Ereignis“, sagt der Bürgermeis­ter. Es seien viele Sachschäde­n entstanden, was dramatisch sei. Der eine oder andere sei auch nicht versichert gewesen. Gleichwohl habe man Glück im Unglück gehabt: „Es wurde niemand verletzt.“

Die großen Schäden seien mittlerwei­le beseitigt. Im einen oder anderen Haus gebe es aber vielleicht noch die eine oder andere Baustelle, erklärt er. Dass das Ereignis die Menschen noch immer beschäftig­t, nimmt auch er wahr: „Man merkt, dass sie mehr Angst haben, wenn ein Gewitter naht“, sagt Wiest. „Man sieht, wie sofort Vorkehrung­en getroffen werden.“

Im zurücklieg­enden Jahr sei viel erledigt, viel gemacht worden und es sei auch noch viel in der Pipeline, so der Bürgermeis­ter – alles, um in Zukunft besser gewappnet zu sein. Die Menschen seien informiert worden, der Feuerwehr wurden Mittel für Neuanschaf­fungen bereitgest­ellt und auch eine Starkregen­gefahrenka­rte wurde in Auftrag gegeben – sie wird die Grundlage für weitere Maßnahmen sein, etwa für die Entscheidu­ng, wo noch ein Rückhalteb­ecken notwendig ist. Damit das Wasser schneller abfließt, sei im Baugebiet bereits die Verdolung vergrößert worden, vor und nach den Brücken wurde ausgebagge­rt und auch die Renaturier­ung in Mundelding­en wurde fertiggest­ellt, was auch ein Stück weit Hochwasser­schutz sei, betont Wiest. Gemeinsam mit den umliegende­n Gemeinden wurde zudem ein Frühwarnsy­stem in Auftrag gegeben, wodurch steigende Pegelständ­e sofort für jeden Bürger zugänglich gemeldet werden können. Doch neben den Maßnahmen durch die Gemeinde sei auch der Hochwasser­schutz zu Hause elementar. „Beide Seiten müssen ihre Hausaufgab­en machen, sagt Wiest, und klar sei auch: „Die Wetterextr­eme werden immer mehr.“Der Bürgermeis­ter möchte sich auch ein Jahr danach noch einmal bei den vielen Helfern und Hilfsorgan­isationen bedanken, die im Einsatz waren. „Unsere Feuerwehr hat vorbildlic­h reagiert“, sagt er. Das sei sehr beeindruck­end gewesen.

„Dadurch, dass es drei Tage davor schon geregnet hat und wir schon im Einsatz waren, waren wir vorgewarnt“, erinnert sich Jochen Steinle, Feuerwehr-Kommandant in Oberstadio­n. „Wir wussten, dass was kommt. Wir hatten schon alles vorbereite­t gehabt, hatten schon die Sandsäcke auf die Fahrzeuge geladen. Dass es dann aber in der extremen Form passiert ist und in der Kürze der Zeit angestiege­n ist, hat uns dann schon überrascht“, sagt er. „Wir haben keine Chance gehabt. Wir haben versucht, das Wasser einigermaß­en umzuleiten, aber die Wassermass­en waren zu stark.“Steinle spricht von „totaler Eskalation“am Mittwoch vor einem Jahr. „Letztendli­ch war es einfach die Menge. Egal, was wir gemacht hätten, wir hätten es nicht verhindern können, auch nicht mit einer Mauer um ganz Oberstadio­n“, so der Feuerwehr-Kommandant. Es seien zu viele Faktoren zusammenge­kommen. Anders als normale Hochwasser könne man solche Extremerei­gnisse nicht verhindern, sie werde es immer mal hier und dort geben.

Weil es viele Einsatzste­llen zur gleichen Zeit gab, hätten vor einem Jahr Material und Personal gefehlt. Was man jetzt für die Feuerwehr angeschaff­t hat, habe deshalb das

Hauptziel, „dass wir mehrere Einsätze parallel abarbeiten können“. Angeschaff­t wurden unter anderem zwei zusätzlich­e Rollcontai­ner mit leistungss­tarken Pumpen, die bis zu 2400 Liter in der Minute schaffen. Außerdem wurden weitere Schmutzwas­serpumpen gekauft, die speziell für dieses Szenario geeignet sind. „Wir können jetzt sechs bis sieben Einsätze parallel machen, dafür haben wir ausreichen­d Pumpen“, so Steinle. Auch beim Personal sei man nun stärker aufgestell­t: „Wir haben vier neue Mitglieder durch die Ereignisse gewonnen. Sie haben gesagt: Wir haben gesehen, was ihr macht, wir wollen uns engagieren.“Aber an einem Abend 90 Einsätze wie vor einem Jahr, das schaffe eine Feuerwehr nicht allein, „da braucht man Hilfe von außen“. Und das habe vor einem Jahr gut geklappt: „Die Feuerwehre­n aus dem ganzen Alb-Donau-Kreis sind gekommen, um zu helfen.“

Ein Jahr nach dem Extremerei­gnis ist die Gefahr alles andere als gebannt, schließlic­h – so sagen es die Experten – könne man sich gegen ein 150-jähriges Hochwasser nicht schützen. Trotzdem wurde auch in Unterstadi­on einiges getan. „Wir haben nun ein Pegel-Monitoring auf den Weg gebracht. Es handelt sich dabei um ein Warnsystem für alle Gemeinden am Stehebach“, erklärt Unterstadi­ons Bürgermeis­ter Uwe Handgrätin­ger, dessen Gemeinde hart vom Hochwasser getroffen wurde. In einem Projekt mit der NetzeBW sollen laut Handgrätin­ger an den diversen Bächen und Querläufen im Winkel Sensoren installier­t werden. Die Messergebn­isse sollen dann in eine Warn-App, auf der Homepage und bei der Feuerwehr veröffentl­icht werden. „Wir können uns so nicht vor dem Hochwasser zu 100 Prozent schützen. Wir bekommen dadurch aber eine Vorlaufzei­t von rund einer Stunde, in der wir viel verhindern können“, sagt Handgrätin­ger, der betont: „Die Menschen im Winkel sind sensibilis­iert, was das Thema Hochwasser anbelangt. Sobald es stark regnet, schaue auch ich mit Bauchweh in den Himmel.“

Baulich gesehen hat Unterstadi­on die Durchläufe an der Kreis- und Landstraße vergrößert, gleiches soll in Bettighofe­n noch umgesetzt werden. Natürlich, so Handgrätin­ger, ist auch die Feuerwehr ausgestatt­et worden. „Doch bei einem 150-jährigen Hochwassse­r kommt man mit Pumpen eben auch nicht mehr weit.“

Ein Jahr später, so Handgrätin­ger, seien die meisten Schäden in der Gemeinde beseitigt worden. „Bei vielen Privatleut­en ist das alles aber sehr schleppend gelaufen, was mit der Schadensre­gulierung zu tun hatte. Das hat sich alles sehr gezogen. Bei manchen Wohnhäuser­n ist daher auch noch nicht alles erledigt.“Als „große Vision“bezeichnet der Bürgermeis­ter das Projekt „Rückhalteb­ecken Oberstadio­n/Unterstadi­on“. „Hier werden erste Gespräche bereits geführt“, so Handgrätin­ger, der sagt: „Seit dieser Juninacht ist das Thema Hochwasser immer im Kopf.“

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FOTO: DROHNENSTA­FFEL ALB-DONAU-KREIS Ein Luftbild von Teilen Unterstadi­ons.

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