Habeck ruft die zweite Alarmstufe aus
Wirtschaftsminister erklärt Gas zum „knappen Gut“– Wirtschaft zeigt Verständnis
BERLIN (dpa) - Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine klettern die Preise für Lebensmittel und Sprit – und nun wird auch noch das Gas sehr knapp. Wegen extrem gedrosselter Lieferungen aus Russland rief die Bundesregierung am Donnerstag die Alarmstufe im Notfallplan Gas – die zweite von maximal drei Stufen – aus. Wirtschaftsminister Robert Habeck mahnte Firmen und Verbraucher, Gas zu sparen. Nötig sei eine „nationale Kraftanstrengung“, erklärte der Grünen-Politiker. „Gas ist von nun an ein knappes Gut in Deutschland. Die Lage ist ernst, und der Winter wird kommen.“Es seien die Versäumnisse des vergangenen Jahrzehnts, „die uns in diese Bedrängnisse geführt haben“.
Habeck rief Bürgerinnen und Bürger unter anderem dazu auf, Heizungsanlagen warten zu lassen. Dadurch seien Einsparungen von 15 Prozent möglich. Rationierungen für die Industrie sollten nach Möglichkeit vermieden werden. „Das soll nicht passieren, in keinem Monat im besten Fall“, sagte der Minister. Jedoch fügte Habeck hinzu: „Ich kann es natürlich nicht ausschließen, weil es so voraussetzungsreich ist, was wir tun. Aber es ist kein Szenario, auf das wir hinarbeiten – im Gegenteil.“
Zurzeit sei die Versorgungssicherheit gewährleistet. Gasverbraucher müssten im Moment nicht fürchten, dass ihre Versorger die Lieferverträge kündigen und höhere Preise verlangen. Dazu bedürfe es eines weiteren Schritts der Bundesnetzagentur. Generell geht Habeck aber von weiter steigenden Preisen aus. Das werde sich auf die Industrieproduktion auswirken und für viele Verbraucher eine große Last werden. Die Regierung werde Menschen mit niedrigen Einkommen entlasten.
Die jetzt ausgerufene Alarmstufe ist die zweite nach der Frühwarnstufe. Die dritte wäre die Notfallstufe. Laut dem Plan liegt bei der Alarmstufe eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Versorgungslage
führt. Der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen.
Gründe für die Ausrufung der zweiten Stufe sind die Kürzung der Gaslieferungen aus Russland und die Preise auf dem Markt. Die deutschen Speicher seien zwar zu 58 Prozent gefüllt. „Doch sollten die russischen Gaslieferungen über die NordStream-1-Leitung weiterhin auf dem niedrigen Niveau von 40 Prozent verharren, ist ein Speicherstand von 90 Prozent bis Dezember kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar“, erklärte das Ministerium. Trotz der Alarmstufe erhalten Versorgungsunternehmen keine Möglichkeit, ihre Preise nach dem Energiesicherungsgesetz zu erhöhen.
Wirtschaftsverbände zeigten sich besorgt, äußerten aber Verständnis. Der Präsident des Deutschen Industrieund Handelskammertages, Peter Adrian, sagte, es sei gut, dass die Bundesregierung die Weitergabe der höheren Gaspreise an die Kunden trotz bestehender Verträge im Moment nicht ermögliche. Es müsse ein fairer Ausgleich zwischen Versorgern und Kunden erreicht werden. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nannte die Ausrufung der Gas-Alarmstufe „nachvollziehbar“. Damit werde auf die zunehmend ernste Versorgungslage reagiert, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Donnerstag in Berlin. „Die politisch getriebene Reduktion der russischen Gaslieferungen stellt Gesellschaft und Industrie vor immense Herausforderungen.“Es sei vernünftig, die damit verbundenen Lasten fair zu verteilen.
Der Kreml betonte derweil erneut, die Reduktion der Gaslieferungen sei nicht politisch motiviert. Vielmehr seien sanktionsbedingte Verzögerungen bei Reparaturarbeiten Ursache des Problems. Nach russischen Angaben steckt eine Siemens-Turbine für die Pipeline im Ausland fest. „Die Russische Föderation erfüllt alle ihre Verpflichtungen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag.