Gestörte Versorgung
In Deutschland gilt jetzt die Alarmstufe des Notfallplans Gas – Was das für Bürger und Industrie bedeutet
BERLIN - Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat am Donnerstag die zweite Gas-Alarmstufe ausgerufen. Unternehmen und Bürger sollen Gas sparen. Noch ist die Versorgung aber gesichert. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Was bedeutet die Alarmstufe des Notfallplans Gas?
Der Notfallplan hat drei Stufen. Die Alarmstufe bedeutet, dass die Versorgung zwar noch funktioniert, aber schon gestört ist. „Wir haben eine Gaskrise“, sagt der Minister und wirft Russland vor, die Energielieferungen als Waffe einzusetzen. Konkrete Auswirkungen auf Wirtschaft und Verbraucher hat die Anhebung noch nicht. Das ändert sich erst, falls der Notfall ausgerufen wird. Dann kann der Staat zum Beispiel in den Markt eingreifen und den Versorgern erlauben, die Preise trotz bestehender Verträge anzuheben.
Reichen die Gaslieferungen nicht mehr aus?
Das ist zum Glück nicht der Fall, obwohl Russland durch die Pipeline Nordstream 1 nur noch 40 Prozent der üblichen Menge liefert. Die technischen Gründe dafür seien vorgeschoben, sagt Habeck. Im Juli wird die Pipeline dann zur turnusmäßigen Wartung für zwei Wochen ganz vom Netz genommen. Dennoch ist die Versorgung vorerst gesichert, auch weil die Industrie schon kräftig am Verbrauch spart. Die Lieferungen reichen aber nicht, um die Gasspeicher für den kommenden Winter aufzufüllen. Momentan sind sie zu 58 Prozent gefüllt. Deshalb bereitet sich die Bundesregierung auf weitere Maßnahmen vor.
Inwieweit sind die privaten Verbraucher von der Entwicklung betroffen?
Der Gaspreis ist an den Märkten noch einmal massiv angestiegen. Bei den Verbrauchern kommen die explodierenden Kosten noch längst nicht in vollem Umfang an. Das liegt auch daran, dass Unternehmen bestehende Preisabsprachen noch einhalten müssen. Das könnte sich ändern, wenn der Notfall ausgerufen wird. Denn sonst droht eine Pleitewelle unter den Gasimporteuren und den Versorgern, weil sie teuer einkaufen müssen, die steigenden Preise aber nicht weitergeben dürfen. In diesem Fall dürfte die Bundesregierung
die Lasten zwischen der Gaswirtschaft und den Verbrauchern verteilen. Experten raten den Verbrauchern, schon jetzt Rücklagen für Nachzahlungen zu bilden, ihre Heizungen auf eine effizienten Stand zu bringen und mit ihren Versorgern zu sprechen, wenn sie die Rechnungen überfordern. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) fordert von der Bundesregierung, übermäßige Preisanhebungen zu verhindern und ein weiteres Entlastungspaket auf den Weg zu bringen.
Worauf muss sich die Industrie nun einstellen?
Die Industrie begrüßt die Ausrufung der Alarmstufe. Industrieverbände pochen aber auf eine faire Verteilung der Lasten. Immerhin hat die Bundesregierung für die Wirtschaft einen Sparanreiz eingeführt. Die Betriebe können nicht benötigtes Gas in einem Auktionsverfahren an die Gasspeicher verkaufen.
Steigen die Preise weiter?
Das hängt stark von der weiteren Entwicklung der Krise ab. So ist zum Beispiel offen, ob Russland nach der turnusmäßigen Wartung von Nord Stream 1 die Lieferungen wieder aufnimmt oder ganz einstellt. Kommt kein Gas mehr aus Russland, dürften die Preise weiter steigen.
Können die Bürger auf eine weitere Entlastung als Ausgleich für hohe Energiepreise hoffen?
Die Bundesregierung berät derzeit, wie sie die privaten Haushalte weiter entlasten kann. Details dazu will das Wirtschaftsministerium noch nicht nennen. Eine Entscheidung dazu könnte auf der nächsten Sitzung des Koalitionsausschusses in zwei Wochen fallen.
Droht Deutschland ein kalter Winter?
Sollten die Gasspeicher nicht ausreichend gefüllt sein, könnte die Versorgung im kommenden Winter schwierig werden. Vorschläge der Netzagentur laufen darauf hinaus, die Mindestwärme in den Wohnungen herabzusetzen oder die Arbeitsschutzverordnung so zu ändern, dass in den Betrieben Heizwärme gespart werden kann. Eine stundenweise Abschaltung der Gasversorgung steht dagegen nicht zur Debatte, auch weil dies technisch nicht praktikabel wäre. Darüber hinaus arbeitet die Bundesregierung weiter an zusätzlichen Gaskäufen und bereitet auch die Reaktivierung von Kohlekraftwerken vor.