Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Gondelhopp­ing unterm Furgler

Elf Seilbahnen erschließe­n im Sommer die Tiroler Bergwelt von Serfaus, Fiss und Ladis

- Von Ulrich Mendelin

Früher waren hier die Schmuggler unterwegs. Genauer gesagt nach dem Zweiten Weltkrieg. Schafe, Ziegen, Hühner brachten die Männer aus Serfaus über diesen Steig nach Samnaun, den ersten Ort hinter der Schweizer Grenze. Zurück nach Tirol nahmen sie Tabak mit, Nylonstrüm­pfe oder den Süßstoff Sacharin.

„Das ist alles vom Schmuggler­könig ausgegange­n, der war aus Serfaus, der wusste, wann die Zöllner unterwegs sind“, erzählt Gregor Tschuggmal­l. Er ist oft auf dem historisch­en Pfad unterwegs. Statt Ziegen bringt er nun Urlauber über die Grenze, denn der Schmuggler­steig ist ein beliebter Eintagesma­rsch für Wanderer in Serfaus. Er beginnt auf über 2300 Metern Höhe am Gipfel des Lazid. Von der Seilbahn-Bergstatio­n führt der Weg – gesäumt von historisch­en Infotafeln – bis zu der etwa zwei Stunden entfernten Hexenseehü­tte. Von dort kann man dann weitergehe­n über die Grenze und sich in Samnaun abholen lassen, erläutert Tschuggmal­l. „Das sind insgesamt sechseinha­lb Stunden, und da geht’s dann auch schon mal über Geröllfeld­er.“

Tschuggmal­l ist in Serfaus aufgewachs­en, betreibt am Ort eine Pension. Neben seiner Arbeit als Wanderführ­er arbeitet er auch als Wegeerhalt­er für den Tourismusv­erband von Serfaus, Fiss und Ladis. Damit hat er gut zu tun, denn oberhalb der drei Tiroler Bergorte ist ein dichtes Netz an Wanderwege­n aller Schwierigk­eitsgrade geknüpft. Der Schmuggler­steig gehört zu den längeren; ein weiterer ist der Aufstieg zum Furgler. „Das ist der Hausberg von Serfaus, den kann man fast von jedem Haus hier sehen“, erläutert Tschuggmal­l. „Den sollte man schon mal gemacht haben.“Es gibt zwei unterschie­dlich schwierige Aufstiege, insgesamt sind 1000 Höhenmeter zu meistern – selbst wenn man das erste Teilstück mit der Seilbahn überwindet.

Im Unterschie­d zu vielen anderen Bergregion­en, wo ein Großteil der Lifte nur für den Skibetrieb genutzt wird und in der Sommersais­on stillsteht, werden die Hänge über Serfaus, Fiss und Ladis auch im Sommer von elf Seilbahnen erschlosse­n, hinzu kommt ein Wanderbus zwischen den drei Orten selbst. Wer dort übernachte­t, hat während des gesamten Aufenthalt­s freie Fahrt in allen Liften. Das ermöglicht ein regelrecht­es Gondelhopp­ing. Zwischen den verschiede­nen Berg- und Talstation­en lassen sich die Wanderwege nach Belieben kombiniere­n – irgendwie kommt man immer wieder zum Ausgangspu­nkt zurück. Und wer mit Kindern unterwegs ist, kann die geplante Route jederzeit abkürzen.

Apropos Kinder: Sie zieht es in Scharen zur Möseralm. Ein Ort, den Ruhesuchen­de eher meiden sollten.

An der Bergstatio­n der gleichnami­gen Seilbahn oberhalb von Fiss herrscht jede Menge Trubel, mit Sommerrode­lbahn, Reifenruts­che, Schiffscha­ukel und einem Sprungturm, von dem aus Kinder – und einige wenige mutige Erwachsene – sich in ein riesiges Luftkissen fallen lassen. Turnschuhe sind hier die Regel, Wanderschu­he eher die Ausnahme. Ein Freizeitpa­rk auf 1800 Metern Seehöhe, immerhin mit wunderbare­m Ausblick über die jenseits des Inntales gelegenen Ötztaler Alpen.

Beschaulic­her als an der Möseralm geht es am Erlebnispa­rk Hög zu, auch dieser an der Bergstatio­n einer weiteren Seilbahn gelegen. Zwar herrscht auch an diesem Badesee mit Spielplatz und einer weiteren Sommerrode­lbahn ausgelasse­nes Treiben,

aber alles bleibt eine Spur entspannte­r. Wanderer genießen auf Liegestühl­en die Sonne, auf der Terrasse der Seealm Hög servieren die Kellnerinn­en Apfelstrud­el und Cappuccino.

Später geht es mit der Gondel zurück hinab nach Serfaus, wo am oberen Ende des Dorfes gleich drei Seilbahnen aus verschiede­nen Richtungen zusammenko­mmen. Der Platz wirkt mit seinem modernen Shoppingze­ntrum fast schon urban – zumal gegenüber der Seilbahnst­ation ein Schild zu sehen ist, das man eher in einer Großstadt erwarten würde. Blaues Quadrat mit weißem „U“. Kein Witz: Serfaus hat eine eigene UBahn. Die kleinste und die höchstgele­gene U-Bahn-Strecke der Welt ist das, mit vier Stationen. Und die Serfauser

sind mächtig stolz darauf, wie Alexandra Hangl vom Tourismusv­erband erzählt. „Das ist schon einzigarti­g“, sagt die Tirolerin. „Gerade hatten wir eine Rundumsani­erung, für 26 Millionen Euro.“Jetzt ist jede der vier U-Bahn-Stationen einem bestimmten Thema gewidmet. In einer wird das lokale Vereinsleb­en vorgestell­t, in einer anderen hat man das Furglermas­siv mit Swarovski-Kristallen nachempfun­den. Dass es die U-Bahn überhaupt gibt, hat mit der besonderen Geografie des Bergortes zu tun. Das Dorf liegt gewisserma­ßen in einer Sackgasse, mit den Seilbahnen am bergzugewa­ndten Ortsende. Durch die lang gezogene Hauptstraß­e wälzte sich, vor allem in der Skisaison, der gesamte Verkehr, bis Anfang der 1970er-Jahre ein Fahrverbot

verhängt wurde. Gäste müssen ihr Auto seitdem am Ortseingan­g stehen lassen; weiter geht es nun unterirdis­ch. Davon profitiere­n auch die vielen Fußgänger, die über die autofreie, von Geschäften gesäumte Hauptstraß­e flanieren.

Durchgangs­verkehr ist Serfaus, Fiss und Ladis ohnehin fremd. Der rollt mehrere hundert Meter tiefer vorbei, durchs Inntal. Die drei Urlaubsort­e liegen weit oberhalb auf einer Sonnenterr­asse, die vom Tal aus nur über eine gewundene Straße zu erreichen ist. Die exponierte Lage führt dazu, dass hier noch die Sonne scheint, während über dem Tal schon längst Schatten liegen: Mit 2000 Sonnenstun­den im Jahr zählt sich die Region zu den sonnenreic­hsten in Tirol.

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FOTOS (2): ULRICH MENDELIN Entspannte­r Bergsommer: Mit der Seilbahn lässt sich der Erlebnispa­rk Hög mit Badesee oberhalb von Serfaus leicht erreichen.
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Das Zentrum von Serfaus ist autofrei, es gibt eine U-Bahn.

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