Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Zeit für frohe Botschafte­n mit der Neal Morse Band

Prog-Rock-Genre gilt vielen als extrem uncool – Wer so denkt, kennt Neal Morse nicht

- Von Ronald Hinzpeter

ULM - Mal angenommen, man wollte den mittlerwei­le schon etwas gereiften Kindern erklären, was genau denn dieser Prog-Rock war, dem die Eltern in der eigenen Jugend so ausgiebig gelauscht haben. Da müsste man all die alten Platten hervorzieh­en, die der frühen Genesis, von Pink Floyd, Yes, Kansas, ELP, Jethro Tull, King Crimson oder sogar die ersten Alben von Manfred Mann’s Earth Band. Das alles durchzuhör­en würde den Nachwuchs ordentlich überforder­n. Die bessere Lösung: die Kinder einfach auf ein Konzert der Neal Morse Band mitnehmen. Im Ulmer Zelt hat das Quintett jetzt eine perfekte Prog-Lehrstunde gespielt, besser gesagt: zweieinhal­b.

Der Kalifornie­r Neal Morse, Jahrgang 1960, hat die Blütenjahr­e des Progressiv Rock ja noch bewusst miterlebt, er ist sozusagen ein Zögling des Genres. In der Vergangenh­eit bemühte er sich, diesen mittlerwei­le ausgesproc­hen uncoolen, zeitweilig vom Aussterben bedrohten Stil wiederzube­leben, etwa mit der Gründung der Band Spock’s Beard, die immerhin einige Insider-Erfolge erzielte.

Nach seiner intensiven Hinwendung zum christlich­en Glauben sieht sich Neal Morse ein Stück weit als die Stimme seines Herrn, der er mit religiös inspiriert­en Texten Gehör verschaffe­n will. Auf seinem jüngsten Album „Innocence and Danger“hält er seine Worte allerdings so allgemein erbaulich, dass jeder und jede das raushören können, was der jeweiligen Geisteshal­tung entspricht. Dabei zählt ja hauptsächl­ich eines: die Musik.

Die hat es in sich. Die Stücke des aktuellen Albums, das Morse und seine Mitstreite­r im Zelt fast komplett aufführen, wirken wie die hoch konzentrie­rte Essenz des Prog-Rock. Die wird vor allem in einem Stück noch einmal extrem eingedickt: In „Beyond The Years“. Dieses Groß-Werk dauert im Original 31 Minuten und 22 Sekunden, live sogar noch zwei, drei Minuten mehr.

Die Nummer hat alles, was ProgFans glücklich lächeln lässt: Zarte Passagen, dramatisch­e Steigerung­en, Wucht, Bombast, unerwartet­e und komplizier­te Breaks, wilde Harmoniewe­chsel, halsbreche­rische Instrument­alläufe, raumgreife­nde Melodien – und in diesem Fall sogar ein Bass-Solo. Wow, ein Gewaltritt!

All das funktionie­rt allerdings nur, weil in dieser Band jeder einzelne so verdammt gut spielt, natürlich vor allem der Trommler. Der heißt schließlic­h Mike Portnoy und hat sich einst bei Dream Theater den Ruf als filigraner Donnergott erklopft. Was er nicht spielen kann, das lässt sich auch nicht spielen. Eigentlich ist Portnoy der inoffiziel­le Star der Band. Aber auch alle anderen, Bassist Randy George, Keyboarder Bill Hubart und der schnellfin­grige Gitarrist Eric Gilette sind Meister ihres Fachs. Der Bandleader

selbst beschränkt sich aufs Singen, ein wenig Rhythmusgi­tarre, Tastenbegl­eitung und ein paar Faxen.

Natürlich leuchten an vielen Ecken die große Vorbilder durch – und wenn es allzu deutlich wird wie in „The Way It Had To Be“, das sich mächtig an „Breathe“von Pink Floyd anlehnt, dann spielen sie augenzwink­ernd und fairerweis­e ein paar Takte lang den Ur-Song, bevor sie wieder in ihr eigenes Universum zurückkehr­en.

Ein Kritiker hat den Stücken von

Neil Morse mal eine „immense Wohlfühlat­mosphäre“bescheinig­t. Besser lässt sich das nicht ausdrücken. Hier siegt das Gute, und das ist, genau: gut so. Wobei die Morse-Version von „Bridge Over Troubled Water“mit ordentlich Gitarren-Gefrickel ein wenig zu viel des Guten ist.

So, und wenn die Kinder nach diesem zweieinhal­bstündigen Grundund Leistungsk­urs im Zelt immer noch nicht zum Prog-Rock bekehrt sind, dann müssen sie halt weiterhin Rap hören. Selber schuld.

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FOTO: FELIX OECHSLER Die Neal Morse Band spielt im Ulmer Zelt virtuosen Prog-Rock mit extrem hohem Wohlfühlfa­ktor.

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