Enttäuschungen sind programmiert
Es ist keine gute Idee, immer mehr Länder in die Wartehalle einer Europäischen Union zu setzen, die nicht dafür konstruiert ist, 30 und mehr nationale Einzelpositionen unter einen Hut zu bringen. Das wissen natürlich auch die Staatsund Regierungschefs, die nun auch die Ukraine und die Republik Moldau in den ständig wachsenden Club der Wartenden aufnahmen. Doch sie wollen das Feld auf keinen Fall China und Russland überlassen. Zumindest Chinas Geldsegen ist deutlich eindrucksvoller als der europäische. Punkten kann die EU nur mit ihren Werten: Meinungsfreiheit, Gleichbehandlung vor dem Gesetz und Minderheitenschutz.
Verlässlichkeit sollte aber ebenfalls zum Markenkern der Union gehören. Europas Ruf nimmt Schaden, wenn ein Land wie Mazedonien erst auf griechischen Druck hin seinen Namen ändert und nach einem so drastischen Akt der Selbstaufgabe seinem Ziel über Jahre keinen Zentimeter näher rückt, weil nun Bulgarien immer neue Vorbehalte auspackt. Am Donnerstagabend räumte das bulgarische Parlament zwar einige Hürden aus dem Weg, doch viele Fragen sind noch offen.
Mit der Entscheidung weckt die EU bei den verzweifelten und kriegsmüden Menschen in der Ukraine hohe Erwartungen, die nur in Enttäuschung enden können. Denn auch dieser Beitrittsprozess wird sich über viele Jahre hinziehen. Hält die EU am Einstimmigkeitsgebot fest, dann wird sich am Ende eines langen Weges schmerzhafter Reformen mit Sicherheit ein Land finden, das Vorbehalte gegen den Neuling hat. Gerade in Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron nun so forsch vorangeht, ist die Mehrheit der Wähler gegen neue Erweiterungsrunden.
Deshalb hat Bundeskanzler Olaf Scholz recht, wenn er betont, dass die nun ausgesprochene Einladung mit einer Reform der Europäischen Union kombiniert werden muss. Hält eine ständig wachsende EU am Einstimmigkeitsgebot in außen- und steuerpolitischen Fragen fest, dann wird sie bewegungsunfähig. Will die Europäische Union auf der internationalen Bühne weiter eine Rolle spielen, sind grundlegende Reformen dafür die Voraussetzung.