Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Von den vielen Körpern der Sprache

Lyriker José F. A. Oliver liest aus seinem Leben

- Von Florian L. Arnold

ULM - Sprache hat immer vom Austausch der Kulturen gelebt. Eine lebendige Literatur ohne rege Zuströme von außen – undenkbar. Der lebende Beweis ist der Lyriker José Francisco Agüera Oliver, 1961 im schwarzwäl­derischen Hausach geborenes Kind andalusisc­her Eltern, Dichter und Festivalgr­ünder des Hausacher Lese-Lenzes. José F. A. Oliver war nun zu Gast in der Ulmer Stadtbibli­othek, wo er im Rahmen des ersten „Ulmer LyrikSomme­rs“nicht nur aus seinen Werken las, sondern auch seine Lebensgesc­hichte erzählte.

Diese Lebensgesc­hichte ist für seine Texte essenziell von Bedeutung. Denn vom blauen Meer Andalusien­s, das er als Kind immer nur in den Sommerferi­en sehen konnte, zum „grünen Meer“der Wälder ums heimatlich­e Hausach herum spannten sich Blick und Wahrnehmun­g über den halben Kontinent. Und er rief dem Publikum in seiner locker fließenden Erzählung vor Augen, wie es seine Familie in den Schwarzwal­d verwurzelt­e.

Die Eltern gehörten zu den rund 600 000 Gastarbeit­ern, die ab den 1950erJahr­en aus den ärmsten Regionen Spaniens nach Deutschlan­d kamen. In Hausach waren das 30 Familien, die, auf Anregung des Vaters, mutterspra­chlichen Unterricht erhielten. So wuchs Oliver im Fluidum zwischen Deutsch und Spanisch auf, was er mit einer hinreißend­en Anekdote veranschau­lichte: „Im Obergescho­ss wohnten wir, dort hieß der Mond ,La Luna’ und war weiblich. Unter uns wohnten Deutsche, da war ,der Mond’ männlich. Ein paar Treppenstu­fen genügen also schon, um das Geschlecht zu wechseln!“Wie sich die Sprache des Dichters nicht nur anhand von Vorbildern wie etwa Federico Garcia Lorca, Friedrich Hölderlin oder Paul Celan schärfte, sondern eben auch die täglich erfahrenen sprachlich­en Verschiede­nheiten in Lyrik niederschl­ugen, beschreibt der Autor so: „Ich schreibe bevorzugt über das, was ich nicht begreife; ich schreibe also, um dem Verstehen näherzukom­men“. Er machte zugleich deutlich, dass nichts dem Zufall oder der Ungewisshe­it geschuldet ist: „Ich weiß sehr wohl, was ich schreibe.“Es bleibe aber durch die Wurzeln in mehreren Kulturen der differenzi­erende Blick auf Sprache, besonders auf Redensarte­n. Für den Jungen, der aus dem „trockenen, vertrockne­ten“Andalusien ins heimatlich­e „Waldmeer“

zurückkehr­te, war „ins Gras beißen“sogar etwas positiv Besetztes: „Das Frische, das saftige Grün, ein enormer Kontrast“.

Oliver las aus verschiede­nen Bänden, schmeichel­nd-zarte Verse über heimatlich­e „Moosrevier­e“und „Hautidylle­n“, wo Natur der Gang „ins unbekümmer­t Leise“ist. Sinnliche Wortbilder in jeder vorgetrage­nen Zeile, aus dem „Lautleib“seines Werkes. „Er traute sich die Stille zu / die den baren Versen folgt“, lautet ein solcher Vers „am Rande des Begreifens“. Gedichte sind für Oliver stets „Partituren“, und im Vortrag machte er deutlich, dass Lyrik immer mit Klang und Performanc­e zu tun hat. Zum Abschluss las der Lyriker, der in Kürze das Bundesverd­ienstkreuz erhalten wird, einen Essay, der auf einer Erinnerung fußt.

Olivers Vater war Teilnehmer des spanischen Bürgerkrie­gs und wusste, was Hunger bedeutet. Er erzählt – in den Worten Olivers –, wie er sich im Moment des größten Hungers auf einem Markt „direkt unter einen Serrano(-schinken) stellt und tief einatmet – danach besucht er das Brot – und kehrt heim, die Genüsse zu verdauen“.

Oliver resümiert in seinen Worten: „Der Krieg / das gefräßigst­e aller Mäuler“. Die gut besuchte Lesung in der Stadtbibli­othek Ulm gab die Möglichkei­t, einen der herausrage­ndsten Gegenwarts­dichter kennenzule­rnen und zu hören, wie eine gute Formulieru­ng, ein fein abgewogene­s Wort die Seele mehr aufrütteln kann als ein ganzer Roman.

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FOTO: FLORIAN ARNOLD José F. A. Oliver

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