Das Jubiläum einer Riesenpleite
Vor zehn Jahren ging das Schlecker-Imperium unter – Bald könnte der Name im Handel wieder auferstehen
BERLIN - Die Grenze zwischen Sparsamkeit und Geiz verläuft wohl fließend. Mit extremer Sparsamkeit hatte der Unternehmer Anton Schlecker in mehr als 30 Jahren die größte Drogeriemarktkette Europas aufgebaut. Die niedrigen Preise in den schmucklosen Filialen ermöglichte der rigide Sparkurs des schwäbischen Kaufmanns. Unter Geiz fiel dagegen der Verzicht auf Telefone in den Geschäften. Erst nach vielen Überfällen und einem Toten dabei ließ Schlecker für den Notruf Geräte installieren.
Zur Jahrhundertwende fehlte in kaum einer Stadt eine Schlecker-Filiale mit dem blauweißen Logo auf dem Fenster. 8000 waren es. Allein in Deutschland beschäftigte das Familienunternehmen 25 000 Leute, überwiegend Frauen. Neben Anton Schlecker spielten auch seine beiden Kinder Meike und Lars Schlecker im Unternehmen eine gewichtige Rolle. Doch der schier endlose Aufstieg vom Metzgermeister zum Drogeriekönig endete 2012 abrupt: Schlecker hatte sich finanziell enorm übernommen und musste Insolvenz anmelden. Es blieben 1,2 Milliarden Euro Verbindlichkeiten bei 28 000 Gläubigern.
Wochenlang gehörten die Bilder der Schlecker-Frauen zu den abendlichen Nachrichtensendungen. Sie kämpften um ihre Jobs, um den Aufbau einer Transfergesellschaft, die der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz einrichten wollte. Die Politik blieb tatenlos. Der damals amtierende Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) lehnte es ab, der sterbenden Handelskette mit einem Kredit der bundeseigenen Förderbank KfW unter die Arme zu greifen. Rösler handelte sich den Vorwurf einer kaltherzigen Politik ein. Anlass war sein Rat an die Frauen, für sich selbst eine „Anschlussverwendung“zu suchen. Der Begriff landete 2012 auf dem zweiten Platz der Vorschläge zum Unwort des Jahres.
Leni Breymaier (SPD) hofft, dass sich so eine Entscheidung „aus Prinzipienreiterei“nicht wiederholt. Die Bundestagsabgeordnete hatte damals als Verdi-Funktionärin mit Schlecker zu tun. Die Transfergesellschaft hätte 12000 Stellen sichern können, sagt sie, „und es wäre kein Cent Steuergeld geflossen“.
Am 28. Juni des Jahres schlossen dann fast alle Filialen endgültig. Die Pleite war hausgemacht. Anton Schlecker wollte die brenzlige Lage wohl nicht wahrhaben, als sie sich schon abzeichnete. Schlecker sollte um jeden Preis wachsen. Das ging schief. Anton Schlecker haftete als sogenannter Einzelkaufmann mit seinem Privatvermögen für die Verbindlichkeiten. Auf einer spektakulären Pressekonferenz kurz nach der Insolvenz gestand seine Tochter auch eine leere Kasse beim Unternehmer selbst ein. „Es ist nichts mehr da“, sagte sie.
Die Insolvenz rief schließlich auch die Justiz auf den Plan. Die Vorwürfe lauteten unter anderem Insolvenzverschleppung und Untreue. Anton Schlecker kam mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe davon, nachdem er kurz vor der Insolvenz noch Geld beiseite geschafft hat. Seine
Kinder mussten dagegen ins Gefängnis, beide für zwei Jahre und sieben Monate.
Das Insolvenzverfahren dauert auch nach zehn Jahren noch an. Verwalter Geiwitz rechnet mit weiteren zwei Jahren, bis es vollständig abgewickelt sein wird. Zehn Millionen Euro hat die Familie zurückgezahlt. Die Schlecker-Frauen müssen wohl einen großen Teil ihrer Außenstände bei ihrem früheren Arbeitgeber abschreiben. Doch im Juli gibt es für sie wenigstens etwas Geld. 21,3 Millionen Euro verteilt Geiwitz unter den rund 22 000 betroffenen Ex-Beschäftigten. Fast siebenmal so viel steht ihnen als Ansprüche aus Löhnen, Weihnachts- und Urlaubsgeld eigentlich zu. Wieviel sie am Ende nachgezahlt bekommen, lässt sich erst am Ende des Verfahrens feststellen.
Doch womöglich erwacht das einstige Imperium bald wieder. Zumindest der Name Schlecker könnte im Einzelhandel und im Onlinegeschäft wieder auftauchen. Das ist das Ziel des Unternehmers Patrick Landrock. Der Österreicher will unter dem Namen „Schlecker +“den stationären mit dem Onlinehandel verbinden. Im Internet bestellen – auf dem Heimweg abholen. Im Oktober soll es in Deutschland, Österreich und der Schweiz losgehen. Zunächst sollen es 50 Verkaufsstellen werden. In den Geschäften soll es ein größeres Sortiment als bei den alten Schlecker-Filialen geben. Auch Lebensmittel oder Baumarktartikel sollen sich dort finden.
Einige Fragezeichen stehen allerdings im Raum. Landrocks Unternehmen „Kitz Venture“befasst sich mit Beteiligungen oder Unternehmensgründungen. Per Crowdinvesting über das Internet wirbt die Firma Geld von Anlegern ein. Acht Prozent Zinsen verspricht zum Beispiel die Werbung für eine Orderschuldverschreibung. Dieses Finanzinstrument ist für Privatanleger risikoreich. Wofür das Kapital benötigt wird, lässt das Unternehmen laut Informationsblatt offen. Eine Anfrage bei Kitz Venture, ob der zuletzt genannte Zeitplan noch gültig ist, blieb bisher unbeantwortet.