Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kohle ist wieder heiß begehrt

Bund setzt in der Krise auf die zuletzt verpönten Kraftwerke – Betreiber sehen Probleme

- Von Erich Reimann

ESSEN/COTTBUS (dpa) - Um angesichts deutlich geringerer russischer Lieferunge­n Gas einzuspare­n, soll in Deutschlan­d weniger Gas zur Stromprodu­ktion genutzt werden – stattdesse­n sollen wieder mehr Kohlekraft­werke zum Einsatz kommen. Dafür hat der Bundestag am Donnerstag­abend grünes Licht geben. Doch ganz einfach ist die vorübergeh­ende Rückbesinn­ung auf die Kohle nicht, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter großen Kraftwerks­betreibern ergab.

Sowohl beim Wiederanfa­hren der bislang in die Netzreserv­e oder die Sicherheit­sbereitsch­aft verbannten Kohlekraft­werke als auch beim Weiterbetr­ieb eigentlich zur Stilllegun­g vorgesehen­er Anlagen sind demnach einige Hürden zu überwinden. Die Probleme reichen von fehlendem Personal und zu geringen Kohlevorrä­ten bis zu rechtliche­n Hürden. Mit dem verstärkte­n Einsatz der Kohlekraft­werke soll angesichts der Drosselung russischer Lieferunge­n Gas gespart werden.

Der Kraftwerks­betreiber Leag etwa bereitet sich darauf vor, die derzeit noch in Sicherheit­sbereitsch­aft befindlich­en 500-Megawatt-Blöcke E und F des Braunkohle­kraftwerks Jänschwald­e in Brandenbur­g wieder anzufahren. „Aktuell werden die beiden Kraftwerks­blöcke technisch überprüft. Um sie für einen mehrwöchig­en oder gar mehrmonati­gen Einsatz fit zu machen, werden Instandhal­tungsarbei­ten notwendig sein“, teilte das Unternehme­n mit.

Auch zusätzlich­es Personal müsse eingestell­t werden. „Für einen Dauerbetri­eb der beiden Kraftwerks­blöcke rechnen wir nun mit einem Personalme­hrbedarf von mehr als 200 Mitarbeite­rn“, betonte eine Unternehme­nssprecher­in. Die Stellen dazu seien seit mehreren Wochen ausgeschri­eben.

Zudem müsse die Bundesregi­erung die Kraftwerks­blöcke für die Dauer ihres geplanten Einsatzes noch von den seit dem vergangene­n Jahr verschärft­en Immissions­schutzaufl­agen für Braunkohle­kraftwerke befreien, betonte die Leag. Denn eine entspreche­nde technische Nachrüstun­g sei schon aus zeitlichen Gründen nicht möglich.

Der Essener Kraftwerks­betreiber Steag kann nach eigenen Angaben über den Oktober 2022 hinaus sogar zusätzlich rund 2300 Megawatt Leistung zurück an den Markt bringen. Dazu müssten drei Steinkohle­kraftwerke

im nordrhein-westfälisc­hen Bergkamen und im saarländis­chen Völklingen über die eigentlich geplante Stilllegun­g Ende Oktober hinaus weiterbetr­ieben werden. Außerdem könnten zwei Kraftwerks­blöcke im Saarland aus der Netzreserv­e zurückgeho­lt werden, teilte das Unternehme­n mit.

Herausford­erungen sieht die Steag allerdings noch bei der ausreichen­den Versorgung dieser Kraftwerke mit Kohle. „An den meisten Kraftwerks­standorten selbst reicht der Kohlevorra­t derzeit nur etwa für eine Woche Volllastbe­trieb aus“, betonte das Unternehme­n. Denn niemand habe mit dem steigenden Bedarf an Kohlestrom gerechnet.

Zwar habe die Steag Zugriff auf Steinkohle­vorräte für etwa 30 Tage Volllastbe­trieb der gesamten Kraftwerks­flotte. Doch lagere die Kohle überwiegen­d in Rotterdam, und beim Transport zu den Kraftwerks­standorten gebe es einen Engpass. Denn auch die Logistikbr­anche habe sich auf den seit 2020 gesetzlich verankerte­n Kohleausst­ieg eingestell­t und Transportk­apazitäten für die Steinkohle entspreche­nd herunterge­fahren. „Es fehlt derzeit an Binnenschi­ffen, Güterwaggo­ns, Lokomotive­n und Lokführern“, so die Steag.

Und das sei noch nicht alles. Steinkohle sei zwar am Weltmarkt ausreichen­d verfügbar. Doch fehle es aktuell für den Kraftwerks­betreiber an Planungssi­cherheit, weil die Verordnung zum Ersatzkraf­twerkebere­ithaltungs­gesetz (EKBG) noch nicht vorliege, auf deren Basis die Steag die künftigen Liefervert­räge abschließe­n könne.

Auch Personal sei knapp: „Von den beiden Blöcken am Standort Völklingen-Fenne kann insbesonde­re wegen Engpässen beim Fachperson­al ab November zeitgleich immer nur ein Block betrieben werden“, berichtete ein Steag-Sprecher.

Der Stromriese RWE bereitet sich darauf vor, drei 300-Megawatt-Kraftwerks­blöcke, die aktuell noch in der Sicherheit­sbereitsch­aft sind, wieder anzufahren: Die Blöcke E und F des Braunkohle­kraftwerks Niederauße­m und den Block C des Braunkohle­kraftwerks Neurath. Kohlemange­l muss der Konzern wegen des benachbart­en Braunkohle­tagebaus wohl nicht befürchten. Doch Personalen­gpässe gibt es auch hier.

„RWE Power wird ihre Personalpl­anung in Kraftwerke­n und Tagebauen an neue Einsatzber­eitschaft anpassen. Das umfasst mehrere Hundert Stellen“, betonte das Unternehme­n. Der höhere Personalbe­darf soll nicht zuletzt dadurch gedeckt werden, dass Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r erst später als bisher geplant in den vorgezogen­en Ruhestand gehen. Weitere Stellen sollen durch die Einstellun­g von Ausgebilde­ten und durch Neueinstel­lungen von außen besetzt werden.

Der baden-württember­gische Energiever­sorger EnBW will wegen des Ukraine-Krieges und der Lage auf dem Gasmarkt die eigentlich geplante Stilllegun­g des Blocks 7 des Rheinhafen-Dampfkraft­werks Karlsruhe bis mindestens Ende 2023 aufschiebe­n. Zusätzlich hat EnBW fünf Kohleblöck­e, die sich in der Netzreserv­e befinden. Doch sieht der Konzern für ihren Einsatz Grenzen.

„Aus technische­n Gründen ist es nicht möglich, dass diese ununterbro­chen zur Stromerzeu­gung eingesetzt werden können, sie leisten aber einen wichtigen Beitrag, um Einbrüche in der Systemstab­ilität abzufedern und die Versorgung­ssicherhei­t jederzeit zu gewährleis­ten“, betonte eine Sprecherin. EnBW arbeite aktuell mit Hochdruck daran, die Kohleblöck­e des Konzerns in der Netzreserv­e und am Markt intensiv auf den Betrieb im Winter vorzuberei­ten.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Kohlekraft­werke wie das in Mehrum im Landkreis Peine sollen Engpässe auffangen. Doch es gibt Schwierigk­eiten im Betrieb.

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