Abreisen statt zuhören
Russlands Außenminister Lawrow verlässt das G20-Treffen noch vor der Rede von Außenministerin Baerbock
NUSA DUA (dpa) - Sergej Lawrow muss sich schon unangenehme Fragen gefallen lassen, da ist das G20Außenministertreffen auf Bali noch gar nicht richtig losgegangen. „When do you stop the war?“(„Wann beenden Sie den Krieg?“), will ein deutscher Journalist von dem Russen angesichts des Angriffs auf die Ukraine wissen, als Lawrow am Freitag von Gastgeberin Retno Marsudi auf der indonesischen Urlaubsinsel begrüßt wird. Lawrow antwortet nicht. Der Journalist wird von Sicherheitsleuten hinauskomplimentiert.
Auch die tropischen Blumen und die sanfte, für Bali so typische Gamelan-Musik, die die Begrüßungen umrahmen, können das Konfliktpotenzial kaum übertünchen. Im Großen Ballsaal des Luxus-Resorts direkt am Strand von Nusa Dua muss sich Lawrow hinter verschlossenen Türen schwere Vorwürfe des Westens wegen der von Präsident Wladimir Putin befohlenen Invasion anhören.
Die Auftaktsitzung dreht sich um die Stärkung des Multilateralismus – also der internationalen Konfliktlösung. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihre G7-Kollegen der führenden demokratischen Wirtschaftsmächte werfen Russland immer wieder vor, diese weltweite Zusammenarbeit zu torpedieren.
Auch die indonesische Gastgeberin Retno Marsudi – der weltgrößte Inselstaat hat derzeit den G20-Vorsitz
– appelliert zu Beginn des Treffens eindringlich an Lawrow: „Unsere Verantwortung ist es, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden.“Brücken müssten gebaut werden, nicht Mauern. Schöne Worte, denen harte Fakten folgen.
Denn direkt nach seiner Rede vor den Kolleginnen und Kollegen gibt Lawrow seine ganz eigene Antwort auf Kritik und Mahnungen. Er verlässt den Sitzungssaal, entzieht sich so auch der Replik der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Kurz darauf teilt Lawrows Sprecherin Maria Sacharowa mit, der Minister werde das G20-Treffen vorzeitig verlassen. „Lawrow führt noch bilaterale Gespräche, danach wendet er sich an die Presse und reist ab“, erklärt sie. Der erwartete Eklat ist da.
Am offiziellen Essen und den am Nachmittag angesetzten Beratungen zur Nahrungs- und Energiesicherheit nimmt Lawrow nicht mehr teil. Auch dort hätte er sich wohl schwere Vorwürfe von vielen Kolleginnen und Kollegen anhören müssen. Baerbock sagt später, der Auftritt des Russen zeige, dass es „keinen Millimeter an Gesprächsbereitschaft“der Regierung in Moskau gebe. „Der Appell aller 19 Staaten war sehr deutlich an
Russland: Dieser Krieg muss ein Ende haben“, resümiert sie.
Lawrow beschuldigt den Westen hingegen, den Übergang zu einer friedlichen Lösung des Konflikts in der Ukraine zu verhindern – und deutet damit den Grund seiner Abreise an. Wenn die EU und die USA einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld anstrebten, „dann haben wir wahrscheinlich mit dem Westen nichts zu besprechen“, sagt er.
Baerbock hatte nach einer Absprache unter den G7-Staaten schon am Vorabend angekündigt, sie werde Lawrow als amtierende Vorsitzende der Gruppe ihre Kritik direkt ins Gesicht sagen. Und „sehr deutliche Worte finden, dass wir diesen Bruch des internationalen Völkerrechts nicht akzeptieren“. Neben Deutschland und den USA gehören der Gruppe Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die Europäische Union (EU) an. Anders als beim Treffen der G20-Finanzminister im April in Washington wollten die Mitglieder der G7-Gruppe führender demokratischer Wirtschaftsmächte diesmal nicht den Konferenzsaal verlassen, das hatte Baerbock schon frühzeitig klargemacht. Russland dürfe nicht die Bühne überlassen werden, erklärte sie vor dem Treffen. In der US-Hauptstadt hatten die Finanzministerinnen der USA und Kanadas, Janet Yellen und Chrystia Freeland, den Raum verlassen, als der russische Ressortchef Anton Siluanow das Wort ergriff.