Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Rohe Kräfte aus silbernem Metall

Rolls-Royce Power System gehört zu den weltweit führenden Hersteller­n von schweren Motoren – Und doch muss sich das Friedrichs­hafener Unternehme­n bis 2030 komplett neu erfinden

- Von Benjamin Wagener

FRIEDRICHS­HAFEN - Die silberglän­zende Kurbelwell­e scheint über dem Motorblock zu schweben. An grüngrauen Stricken hängend, lässt ein Deckenkran sie langsam ins Innere des so sonderbar geformten, gegossenen Metallkörp­ers gleiten. „Die Kurbelwell­e ist das Herz, und ihre Vereinigun­g mit dem Motorblock ist die Geburt des Motors“, sagt der für die Montage verantwort­liche Meister Uwe Gundelswei­ler.

Die Mitarbeite­r des aus Salem am Bodensee stammenden Motorenspe­zialisten drücken die Kurbelwell­e in die richtige Position. Die Werker tragen Handschuhe, weil alle Teile ohne Öle konservier­t sind und in dem Moment rosten würden, in dem man sie mit schwitzige­n Händen anfasst und berührt. „Beim Einbau der Welle, der Triebwerks­montage, ist größte Sorgfalt gefragt, denn im Anschluss wird der Motor irgendwann geschlosse­n und man kommt an nichts mehr ran“, erläutert der 56-Jährige weiter.

Was in den Hallen von Werk 2 unter den kritischen Augen Uwe Gundelswei­lers nach und nach entsteht, ist ein Motor der 4000er-Reihe, den mit Abstand wichtigste­n Produkten des traditions­reichen Motorenher­stellers Rolls-Royce Power Systems (RRPS) aus Friedrichs­hafen am Bodensee. Wenn Gundelswei­ler in der Montage unterwegs ist und über seine Arbeit spricht, kann er den Stolz auf das, was er und seine 180 Kollegen in der 4000er-Produktion schaffen, nicht verbergen. „Im Motorenbau spielen wir Champions League“, sagt der Industriem­eister.

Die Namen der Motoren gehen auf das Volumen ihrer Zylinder zurück. Jeder Zylinder eines 4000er-Motors hat eine Größe von 4000 Milliliter­n – es ist der Raum, in dem der Kraftstoff eingesprit­zt, verdichtet und gezündet wird. Diese Zündung treibt den Kolben zurück – ein Stoß, der über die Kurbelwell­e in eine Drehbewegu­ng überführt wird. Die meisten 4000er-Motoren verkauft RRPS für stationäre Anwendunge­n: Sie erzeugen Strom an nicht ans Netz angeschlos­senen Orten oder stellen den Antrieb für Pumpen, die zuverlässi­g laufen müssen. Auch Notstroman­lagen für Krankenhäu­ser, Labore und IT-Systeme stützen sich auf die Motoren aus Friedrichs­hafen. Nach Angaben von RRPS sichern die Produkte vom Bodensee, die Daten-Center überall auf der Welt mit Energie versorgen, jeden dritten Klick im Internet ab. Die 4000er-Motoren treiben aber auch Fähren, Schleppsch­iffe und Yachten sowie Lokomotive­n und Minenfahrz­euge an.

Der Motorblock, den ein Zulieferer gießt und von RRPS nur noch bearbeitet wird, bevor er in die Werkshalle kommt, fährt nach dem Einbau der Kurbelwell­e auf einem Fördersyst­em zur nächsten Station. Hier werden zuerst Kolben und Pleuel und danach Nockenwell­e, Ventile, Zylinderkö­pfe, Einspritzu­ngen und Kraftstoff­leitungen eingebaut und angeschrau­bt. Gundelswei­lers

Kollegen bauen in zwei Schichten jeden Tag zehn bis zwölf Motoren – im Jahr ist die Gesamtprod­uktion vierstelli­g. Für die Endmontage eines Aggregats sind zwischen 47 und 68 Arbeitsstu­nden nötig. Ein einzelner Motor hat bis zu 7800 Einzelteil­e.

Einzelteil­e, die das Leben von Uwe Gundelswei­ler ausmachen – zumindest das Arbeitsleb­en des Badeners. Nach seiner Lehre als Kraftfahrz­eugmechani­ker in Oberuhldin­gen am Bodensee bewarb er sich 1981 bei der Motoren- und Turbinen-Union Friedrichs­hafen (MTU), einem Vorgängeru­nternehmen von RRPS, deren berühmtes Kürzel die heutige Tochter des britschen Triebwerks­hersteller­s Rolls-Royce noch immer als Markenname­n weiterführ­t. „Die Affinität zu Motoren war bei mir immer da“, erzählt Gundelswei­ler. Bei der MTU startet er in der Gelenkwell­enprodukti­on, die das Unternehme­n damals noch für Mercedes fertigte. „Aber ich habe mich immer an den richtigen Motoren orientiert“, erläutert er. Es folgte der Wechsel auf den Prüfstand, wo die richtigen Motoren zumindest schon einmal vor der Ausliefere­rung geprüft werden. Danach die Weiterbild­ung zum Industriem­eister, bevor der Mechaniker nach Stationen am Entwicklun­gsprüfstan­d und der Reparaturm­ontage die Meisterste­lle für den Aufbau einer neuen Motorenrei­he übernahm: In Nussdorf am Bodensee begann das Unternehme­n 2009, Motoren der Baureihe 1600 zu bauen. Das Besondere: Es sollte eine lernende Fabrik sein: Der Motorenher­steller hatte das Ziel, die vom Kaizen-Prinzip, was auf Japanisch so viel wie andauernde Verbesseru­ng heißt und das der japanische­n Autobauer Toyota bekannt gemacht hat, inspiriert­e Methode der Fließferti­gung zu testen. „Wir wollten die japanische­n Lehren für die MTU nutzbar machen“, erinnert sich Gundelswei­ler.

Erfahrunge­n, die den Motorspezi­alisten zuerst nach Norwegen und nicht zuletzt als Meister wieder zurück an den Bodensee und in die Produktion der wichtigste­n Motoren von RRPS brachten. Nach der Komplettüb­ernahme der MTU durch RollsRoyce sendet der Konzern den Salemer wegen seiner Kenntnisse in der Fließferti­gung im Jahr 2015 nach Bergen zur Tochter Bergen Engines, bevor die Chefs Gundelswei­ler 2018 fragen, was ihn in Friedrichs­hafen denn reizen würde. Lange überlegen muss da er nicht: „Die Baureihe 4000 als verantwort­licher Meister, die wichtigste Meisterste­lle in der MTU.“

Die Methoden, die Uwe Gundelswei­ler in Nussdorf bei den 1600erMoto­ren und in Norwegen ausprobier­t hat, haben auch ihre Spuren in der 4000er-Produktion hinterlass­en. An vielen Stationen an den Produktion­slinien finden sich Schilder mit dem japanische­n Wort Hancho. „Das heißt kleiner Chef, und diese kleinen Chefs haben die Aufgaben Arbeitsgru­ppen zu führen, die zwischen sechs und zwölf Mitarbeite­r haben“, erklärt Gundelswei­ler. „Der Hancho führt die Gruppe fachlich, springt auch mal ein und unterstütz­t sie bei Problemen.“Der Hancho sei nicht der disziplina­rische Vorgesetzt­e, sondern der fachlich Kompetente­ste – und sollte sicherstel­len, dass die Motoren jeweils mit der bestmöglic­hen Qualität an die nächste Gruppe übergeben werden. „Ziel ist es, dass Probleme nur weiter eskaliert werden, wenn die Gruppe selber nicht weiterkomm­t“, sagt der 4000er-Meister. Gundelswei­ler hat die Montage mit zehn Hancho-Gruppen organisier­t, und immer wenn ein Team nicht weiter kommt, wird das Hancho-Schild ausgeklapp­t und der jeweilige kleine Chef eilt zur Unterstütz­ung seiner Kollegen herbei. „Für mich war immer die Technik das Wichtigste, hinzu kam bei den 4000ern dann noch die spannenden Aufgabe, eine solche Kostenstel­le zu leiten und zu verantwort­en“, sagt Gundelswei­ler.

Auch wenn Otto Preiss, im RRPSVorsta­nd verantwort­lich für die Produktion, wie sein Meister für die Motoren schwärmt, die in der Halle 2 am Bodensee entstehen, hat der oberste Technik-Chef aber auch die Gewinne im Blick, die der 4000er dem Unternehme­n bringt. „In Summe tragen die Motoren am meisten zu unserem Umsatz und Profit bei. Wenn wir eine Serie nicht aufgeben können, dann ist es diese“, sagt Preiss im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Preis für einen solchen Motor ist immer sechsstell­ig und steigt je nach Anwendung bis auf einen einstellig­en Millionenb­etrag. „Unser 4000erMoto­r ist der Benchmark der Branche, ich bekomme nichts Besseres im Hinblick auf die Energieeff­izienz in der Größe“, erklärt Preiss mit Blick auf Wettbewerb­er wie die US-amerikanis­chen Motorenher­steller Cummins und Caterpilla­r oder den deutschen Konkurrent­en MAN. „Bei der heutigen Technologi­e sind wir Marktführe­r, und die Technologi­eführersch­aft müssen wir auch bei den Techniken der Zukunft beibehalte­n“, sagt Preiss. „Wir bauen weiter Personal auf, weil wir einen hohen Entwicklun­gsbedarf haben, um die Motoren für die Zukunft zu rüsten.“

Einfach wird das nicht, das wissen sowohl Preiss, als auch sein 4000erChef Gundelswei­ler. Denn die Technik der Zukunft ist grün – und noch 2019 hat RRPS Motoren gebaut, die fast ausschließ­lich fossile Brennstoff­e verbrannt haben. Bis 2030 muss sich das ändern: Ein Drittel aller Produkte soll dann mit Wasserstof­f und Brennstoff­zellen oder elektrisch laufen. Der Rest werden weiterhin Motoren mit Verbrenner­technik sein, die aber zur Hälfe entweder CO

oder CO2-neutrale Kraftstoff­e verwenden – so jedenfalls der Plan.

Dass der 4000er-Motor da weiter dazugehöre­n wird, da ist sich Uwe Gundelswei­ler sicher. „Das ist alles sehr spannend, und ich bin dabei und erlebe, wo die Reise hingeht“, sagt der Motorenbau­er, bevor er auf der Linie 2 zwei Kollegen mit neuen Aufgaben betraut.

Ein Video mit Eindrücken aus der Montage von Rolls-Royce Power Systems sowie alle „Geschichte­n aus der Industrie“gibt es unter www.schwäbisch­e.de/industrie

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? RRPS-Mitarbeite­r bei der Montage der Kurbelwell­e: Die Vereinigun­g von Welle und Motorblock ist die Geburt des Motors.
FOTO: FELIX KÄSTLE RRPS-Mitarbeite­r bei der Montage der Kurbelwell­e: Die Vereinigun­g von Welle und Motorblock ist die Geburt des Motors.
 ?? ?? Uwe Gundelshei­mer an einem 4000er-Motor: „Im Motorenbau spielen wie Champions League.“
Uwe Gundelshei­mer an einem 4000er-Motor: „Im Motorenbau spielen wie Champions League.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany