„Geschichten können Wucht und Bedeutung haben“
Franz Hoben ist einer der zwei neuen Leiter des Literarischen Forums Oberschwaben – Über Fehlurteile unter Schriftstellern und die Pläne der Institution
Franz Hoben ist studierter Literaturwissenschaftler und zeichnete von 1985 bis 2021 mitverantwortlich für die Kulturszene in Friedrichshafen. Nun hat Hoben, zusammen mit der Schriftstellerin und Lehrerin Silke Knäpper, die Leitung des Literarischen Forums Oberschwaben übernommen. Zuvor hatte Oswald Burger dieses Amt 30 Jahre inne. Das 1969 vom Großschriftsteller Martin Walser mitgegründete Forum bietet Nachwuchsautoren Raum zum Netzwerken, zum Lernen und Ideen entwickeln. Im Gespräch mit Jonas Voss erläutert Hoben die Zukunftspläne des Forums und die gelegentlich auch scharfe Kritik auf dem Forum.
Das Literarische Forum Oberschwaben hat nun erstmals in seiner Geschichte eine Doppelspitze. Mussten es explizit ein Mann und eine Frau sein, um dem Zeitgeist entgegenzukommen?
Mit dem Zeitgeist hat das nichts zu tun. Es geht um Aufgabenverteilung und auch um unterschiedliche Perspektiven auf die Entwicklung des Forums. Ich komme aus dem Kulturmanagement, Frau Knäpper ist Schriftstellerin. Martin Walser sagte zwar einmal, Schriftsteller könnten das Forum nicht leiten, denn sie würden sich nur für sich selbst interessieren (lacht) – aber das sehe ich überhaupt nicht so!
Welche Schriftsteller nehmen denn an der Veranstaltung an diesem Wochenende teil?
Wir konnten neun Schriftsteller einladen. 27 Schriftsteller hatten sich beworben, eine Jury hat aus den eingegangenen Bewerbungstexten schließlich ausgewählt. Und das nicht nur aus der Region BodenseeOberschwaben. Das Forum erweiterte sukzessive über die Jahre seinen Kreis, mittlerweile erreichen wir große Resonanz unter Schriftstellern auch aus den Regionen Thurgau,
Vorarlberg oder Baden. Unter Autorinnen und Autoren gibt es ein großes Bedürfnis, zumal nach den einsamen Corona-Jahren, sich untereinander auszutauschen. Unter den diesjährigen Teilnehmern befindet sich etwa der 84-jährige Günter Guben aus Esslingen, aber auch die 34-jährige Doris Vogel aus Weingarten. Wir versammeln ganz unterschiedliche Generationen, Stilrichtungen und Anschauungen und bieten somit ein umfassendes Repertoire.
Warum überhaupt dieses Forum? Das Forum bietet einen geschützten Raum für Schriftsteller, die dort manchmal ihren ersten öffentlichen Auftritt haben. Zusammen mit erfahrenen Kollegen kann eine enorm konstruktive Auseinandersetzung stattfinden. So hatte die spät berühmt gewordene oberschwäbische Schriftstellerin Maria Beig ihren ersten öffentlichen Auftritt auf dem Forum. Ihre literarische Stimme war damals eine große Entdeckung.
Wie muss man sich diese Kritik unter Kollegen vorstellen? Schriftsteller kehren ja oft ihr Innerstes nach außen. Kritik am Werk kann ziemlich wehtun, vermute ich.
Die Kritik ist in der Regel sehr fundiert und fair. Für junge Schriftsteller ist das Urteil renommierter Autoren von unschätzbarem Wert. Aber manchmal gibt es schon richtige Gegensätze in der Diskussion, das hängt auch vom Verständnis von Literatur oder speziellen Vorlieben ab. Es hat auch Verletzungen auf dem Forum gegeben, ich habe erlebt, dass eine Autorin oder ein Autor weinend gegangen ist. Beim Debüt von Maria Beig gab es zunächst ein krasses Fehlurteil. Ihr wurde von einem Kollegen vorgeworfen, sie würde eine primitive Sprache verwenden. Bis Walser aufgestanden ist und fragte, ob die Teilnehmer nicht den wunderbaren Ton Maria Beigs erkennen würden? Schlagartig war Ruhe. Ich erinnere auch an Robert Schneider, Autor von „Schlafes Bruder“. Dieses Werk wurde auf dem Forum verrissen, worauf Schneider die Veranstaltung verließ. Und einen Weltbestseller landete.
Welche Pläne haben Sie denn für das Literarische Forum?
Wir wollen mehr Öffentlichkeit schaffen durch neue Medien. Gleichzeitig aber gilt es, den geschützten Raum, den unser Forum für Schriftsteller darstellt, zu bewahren. Wir wollen ein Resonanzraum sein für gesellschaftliche Diskurse in der Region und darüber hinaus. Am Freitag wird es erstmals eine Autorenwerkstatt geben, um weitere Möglichkeiten des Austausches zu bieten. Die soll es künftig regelmäßig geben. Im Herbst möchten wir weitere öffentliche Veranstaltungen, etwa Lesungsabende mit mehreren Autorinnen und Autoren, in den Landkreisen des Einzugsgebietes des Forums anbieten. Außerdem sollen eigene Publikationen herausgegeben oder andere Publikationen bei der Veröffentlichung unterstützt werden. Ohne zu viel vorwegzunehmen kann ich verraten, dass eine der am Forum teilnehmenden Autorinnen ein Buchprojekt abgeschlossen hat, welches die Gruppe 47 und Autoren des Literarischen Forums in Beziehung bringt. Wir als Forum können die Druckkosten finanzieren.
Glauben Sie, eine Institution wie die Ihre, und Literatur überhaupt, kann sich weiterhin behaupten zwischen Netflix und Social-Media-Plattformen wie TikTok? Sowohl in meiner Zeit als Mitverantwortlicher für die Kultur der Stadt Friedrichshafen als auch beim Literarischen Forum Oberschwaben gab es immer ein hohes Interesse aus der Bevölkerung für die Veranstaltungen. Ich sehe nicht, dass sich daran in Zukunft etwas ändern könnte – solange man Neuerungen gegenüber aufgeschlossen bleibt. Geschichten können eine solche Wucht und Bedeutung haben! Die Literatur schafft eigene Welten. Aber sie ist nicht nur eine rein ästhetische Sache, sondern reagiert auf die Welt und kann engagiert sein, Strömungen in der Gesellschaft aufdecken und Debatten anregen. Das sieht man doch gerade in den vergangenen Jahren.