Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der erklärte Rebell unter den deutschen Regisseure­n

Der Münchner Klaus Lemke ist im Alter von 81 Jahren gestorben – Kritiker der staatliche­n Filmförder­ungen

- Von Ute Wessels und Felix Hörhager

MÜNCHEN (dpa) - Mit dem filmischen Mainstream konnte Regisseur Klaus Lemke nichts anfangen. Seine Arbeiten polarisier­ten und provoziert­en. Radikal lenkte er den Blick auf soziale Schwachste­llen. Jetzt ist Lemke im Alter von 81 Jahren gestorben, wie am Freitag das ZDF bestätigte. Zuletzt war er Ende Juni noch beim Filmfest München aufgetrete­n, körperlich schon sichtlich angeschlag­en. Er könne nicht mehr gut laufen, sagte er damals und hielt ein Schild hoch: „Kunst kommt von küssen.“

Viele von Lemkes Filmen glichen Schwabinge­r Milieustud­ien. Sie brachten ihm Erfolg und Preise ein, angepasst hat er sich deswegen aber nie. Vielmehr empörte sich der Regisseur in schöner Regelmäßig­keit über staatliche Filmförder­ungen. „Deutsches Staatskino ist ein bis zur Hilflosigk­eit subvention­ierter Kaffeeklat­sch“, polterte der Mann mit der tief ins Gesicht gezogenen Schiebermü­tze im Interview zu seinem 80. Geburtstag im Oktober 2020. Solange nicht jedwede Filmförder­ung aus „Staatsknet­e“abgeschaff­t werde, bleibe das deutsche Kino der „Toplangwei­ler worldwide“. Er war überzeugt davon: Ohne Staatsgeld­er könnte Deutschlan­d innerhalb von nur zwei Jahren das kreativste Filmland Europas sein: „Ich schwör's!“Lemke selbst drehte traditione­ll mit kleinem Budget, auch in der CoronaKris­e. „Weil mein ganzes Filmequipm­ent leicht in eine Reisetasch­e passt, die als Handgepäck durchgeht.“Der Kameramann mache auch den Ton, als Darsteller suche er sich ein paar Leute von der Straße. Auf diese Weise filmte Lemke seit den 1960er-Jahren. Meistens arbeitete er mit Laien zusammen, die er in München, Hamburg oder Berlin in Cafés oder auf der Straße entdeckte und oft vom Fleck weg engagierte. Zu seinen Entdeckung­en zählen Fernsehsta­rs wie Wolfgang Fierek und Cleo Kretschmer. Oft gab es bei ihm kein detaillier­t ausgearbei­tetes Drehbuch, sodass den Darsteller­n Raum für Improvisat­ion blieb.

Schon mit seinen ersten, vorwiegend für das Fernsehen produziert­en Filmen wie „Brandstift­er“(1969) oder „Rocker“(1972) richtete Lemke den Scheinwerf­er auf die Schattense­iten der Gesellscha­ft. Mit Filmen wie „Idole“oder „Amore“folgten

Studien vorwiegend der Schwabinge­r Szene. München war für den in Landsberg/Warthe im heutigen Polen geborenen Regisseur zum Mittelpunk­t seines Schaffens geworden. Die Stadt ehrte ihn 2010 mit dem Münchner Filmpreis für „Schmutzige­r Süden“und 2014 mit einer eigenen Reihe beim Filmfest.

Seine Schulzeit hatte Lemke nach seiner Flucht mit Mutter und Schwester über die DDR in die Bundesrepu­blik in Düsseldorf verbracht. Er studierte einige Semester Philosophi­e und Kunstgesch­ichte und drehte schließlic­h seine ersten Kurzfilme. Nach den Erfolgen der 1960erund 1970er-Jahre wurde es ruhiger um Lemke, Filme wie „Bibo's Männer“(1986) und „Die Ratte“(1993) wurden verrissen. „Ein verhexter Sommer“(1989) mit Günther Maria Halmer sowie „Das Flittchen und der Totengräbe­r“(1994), das sein Erfolgspaa­r Kretschmer und Fierek vor der Kamera vereinte, stießen bei der Kritik dann wieder auf Zustimmung.

Auch in den vergangene­n Jahren drehte er Film um Film: „Unterwäsch­elügen“(2016), „Bad Girl Avenue“und „Neue Götter in der Maxvorstad­t“(beide 2018) sowie „Ein Callgirl für Geister“(2020).

„Wieder hat ein großer Mann des deutschen Films die Bühne verlassen“, schrieb der Münchner Künstler Flatz, der mit Lemke befreundet war und mit ihm zusammenge­arbeitet hat, der Deutschen Presse-Agentur. „Er wird fehlen.“

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FOTO: GEORG WENDT/DPA Klaus Lemke beim Filmfest in Hamburg. Nun ist der Regisseur 81-jährig verstorben.

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