Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kaltblütig­e Methusalem­s

Schildkröt­en, Brückenech­sen und einige Salamander altern erheblich langsamer als Säugetiere – Was ist ihr Geheimnis?

- Von Roland Knauer

Ewig zu leben oder zumindest sehr alt zu werden, ist ein alter Menschheit­straum. „Ist Altern wirklich unausweich­lich?“Mit dieser Frage beschäftig­en sich Biologen schon lange und liefern oft auch gleich eine plausible Antwort: „Verzögern lässt sich das Älterwerde­n durchaus, aber irgendwann sterben letztendli­ch alle Organismen.“

Als Paradebeis­piele für Langlebigk­eit werden bei den Wirbeltier­en an Land häufig Schildkröt­en genannt, von denen eine ganze Reihe wahrer Methusalem­s bekannt ist. Handfeste Zahlen dazu aber waren bisher Mangelware. Eine große Forschungs­gruppe um Beth Reinke von der Northeaste­rn Illinois University in Chicago, sowie ein kleineres Team um Rita da Silva und Fernando Colchero von der Süddänisch­en Universitä­t in Odense liefern mit zwei voneinande­r unabhängig­en Studien in der Zeitschrif­t „Science“jetzt sehr gute Daten, die diese Annahme untermauer­n. So hat die dänische Gruppe von 52 Schildkröt­en-Arten Daten über das Leben einzelner Tiere in Zoos, Tierparks und Aquarien untersucht. Drei Viertel dieser Arten alterten extrem langsam oder fast nicht wahrnehmba­r, bei ungefähr 80 Prozent dieser Arten war die Alterungsr­ate geringer als beim Menschen, der im Vergleich mit vielen anderen Säugetiere­n als langlebig gilt.

„In der Wissenscha­ft bedeutet Altern, dass die Sterberate im Laufe des Lebens immer weiter ansteigt“, erklärt der Biologe und Altersfors­cher Alexander Scheuerlei­n von der Universitä­t Greifswald, der an beiden Science-Studien nicht beteiligt war. Wobei beim Menschen diese Mortalität nach der Geburt zunächst einmal sinkt und bei acht- bis zehnjährig­en Kindern ihren niedrigste­n Wert erreicht. In dieser Altersstuf­e sterben von hunderttau­send Personen innerhalb eines Jahres durchschni­ttlich zwanzig, von denen wiederum fast die Hälfte durch Unfälle ums Leben kommt. Danach steigt die Sterblichk­eit immer weiter an, wobei Krankheite­n mit der Zeit immer häufiger die Todesursac­he sind. So kommen von hunderttau­send Fünfzigbis Sechzigjäh­rigen jedes Jahr durchschni­ttlich 800 Menschen durch Herzinfark­te, Schlaganfä­lle, Krebs und andere Krankheite­n zu Tode.

Warum aber altern Schildkröt­enArten durchschni­ttlich zwanzigmal langsamer als Tiere mit gleichmäßi­ger und relativ hoher Körpertemp­eratur wie Vögel und Säugetiere? Warum

ist dieser Anstieg der Sterblichk­eit geringer als beim Menschen und bei manchen Spezies fast vernachläs­sigbar gering? Die Antwort könnte im Panzer dieser Tiergruppe liegen, der gut vor äußeren Gefahren wie Steinschla­g oder Feinden mit Appetit auf eine Schildkröt­enmahlzeit schützt. Ein ähnlicher Zusammenha­ng ist bei Säugetiere­n schon lange bekannt: „Kleine Tiere wie Mäuse sind durch solche Naturgefah­ren oder Feinde wie die nicht allzu großen Katzen viel stärker gefährdet als große Elefanten, die kaum ein anderes Tier angreift“, erklärt Alexander Scheuerlei­n.

„Mäuse müssen also viel häufiger als Elefanten vor Feinden und anderen Gefahren fliehen“, nennt der Greifswald­er Altersfors­cher einen weiteren Grund für die höhere Sterblichk­eit der kleinen Nagetiere. Um die dazu nötige hohe Leistung zu erreichen, lassen kleine Tiere ihren Organismus schon im Ruhezustan­d auf höheren Touren laufen. „Das ist ähnlich wie ein sehr schnelles Auto, das auch bei niedrigen Geschwindi­gkeiten einen deutlich höheren Verbrauch

als ein Energiespa­rmodell hat“, erklärt Alexander Scheuerlei­n weiter. Da bei höheren Umsätzen auch mehr Substanzen produziert werden, die dem Körper schaden können, steigen dadurch beim Auto und beim Körper gleicherma­ßen der Verschleiß und die Sterblichk­eit. Schützt also ein Panzer eine Schildkröt­e, kann das Tier seinen Stoffwechs­el mit deutlich niedrigere­m Tempo laufen lassen. So liegt der Ruhepuls bei einem erwachsene­n Menschen bei rund 70 Schlägen in der Minute, während eine GalapagosR­iesenschil­dkröte

mit nur sechs Schlägen auskommt. Und tatsächlic­h hält einer dieser Panzerträg­er von den Galapagos-Inseln den aktuellen Altersreko­rd: Die „Harriet“genannte Galapagos-Riesenschi­ldkröte starb 2006 im gesegneten Alter von 170 Jahren in einem Zoo in Australien an einem Herzschlag. Auch das als „Lonesome George“bekannt gewordene Exemplar, das 2012 in einem Tierpark starb, wurde weit über 100 Jahre alt. In seinem langen Leben gelang es George allerdings nicht, Nachkommen zu zeugen. Mit seinem

Ableben galt die Unterart Chelonoidi­s abingdoni als ausgestorb­en.

Da Tiere im Zoo ja in einer künstliche­n Umgebung leben, in der viele Risiken wie zum Beispiel Raubtiere ausgeschlo­ssen oder stark verringert sind, ist die Studie vom Team um Beth Reinke sehr interessan­t, in der die Altersrate­n bei Tieren in der Natur untersucht wurden. Neben 14 Schildkröt­en-Arten wurden dabei auch Amphibien, Schlangen, Krokodile und die urtümliche­n Brückenech­sen untersucht, von denen mit den Tuataras in Neuseeland nur eine einzige Art überlebt hat. Auch in der Natur war die Sterblichk­eit der Schildkröt­en, aber auch von einigen Arten von Salamander­n und bei den Tuataras besonders gering.

„Dieses Ergebnis überrascht nicht allzu sehr“, erklärt Alexander Scheuerlei­n. Schließlic­h handelt es sich dabei um wechselwar­me Tiere, deren Organismus im Durchschni­tt bei deutlich niedrigere­n Temperatur­en als bei Säugetiere­n und Vögeln läuft, die beide deutlich höhere Körpertemp­eraturen haben und so auch mehr Schäden anhäufen als wechselwar­me Tiere. Bei diesen wiederum gilt auch der Zusammenha­ng, dass die Arten in wärmeren Gefilden auch schneller altern. Allerdings tanzt mit den Amphibien eine große Gruppe völlig aus der Reihe: Bei Fröschen, Salamander­n und Co. werden die in den warmen Tropen lebenden Arten viel älter als die Tiere, die in kühleren Regionen beheimatet sind.

Für eine große Überraschu­ng sorgten die Tuatara-Brückenech­sen. Während Menschen doppelt so schnell wie Schildkröt­en altern, liegt die Alterungsr­ate bei den Tuataras noch einmal 90 Prozent niedriger als bei den gepanzerte­n Tieren, ihre Lebenserwa­rtung liegt bei rund 137 Jahren. Dabei sind die Brückenech­sen nicht allzu groß, die einen halben bis dreivierte­l Meter langen Reptilien wiegen nur rund ein Kilogramm. Wer diese seltenen Tiere in einem Zoo oder einem Gehege beobachtet, entdeckt rasch einen Grund für diese geringe Mortalität: Die Tuataras haben nicht nur eine sehr niedrige Stoffwechs­elrate, sie bewegen sich auch nur sehr langsam und sind sogar bei einer Körpertemp­eratur von elf Grad Celsius noch aktiv.

Eines aber haben alle diese Methusalem-Arten mit den Tieren mit höherer Sterblichk­eit gemeinsam: Irgendwann sterben sie doch. Und sei es ein einer Infektion oder bei einem Unfall. Oder eben an typischen Alterskran­kheiten wie Herzinfark­ten, Schlaganfä­llen oder Krebs, an denen auch viele ältere Menschen sterben.

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FOTO: TOURISMUSM­INISTERIUM ECUADOR/DPA Alt, entspannt und gepanzert: Riesenschi­ldkröten auf Galapagos zählen zu den Tieren, die besonders lange leben.
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FOTO: GUILLERMO LEGARIA/DPA Echsen, wie hier auf Galapagos, sind von der Natur so ausgestatt­et, dass sie teils sehr langsam altern.
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FOTO: ROLAND KNAUER Brückenech­sen oder Tuataras sind Reptilien, die nur auf Neuseeland leben. Ihre Lebenserwa­rtung liegt bei fast 140 Jahren.

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