Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Hanstein zweifelt am Reformwill­en mancher

Sein neues Buch „Heillose Macht“berichtet von der „Kultur der Angst“im kirchliche­n Dienst

- Von David Drenovak ●

ERBACh - Viel beachtet wird dieser Tage die Deutsche Bischofsko­nferenz und der vor rund drei Jahren gestartete Synodale Weg, der Anfang September seine vierte Versammlun­g hatte. Viele Gläubige sehen in den aktuellen Entscheidu­ngen die Richtung, welche die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d in den künftigen Jahren einschlage­n wird. Auf der einen Seite stehen Reformer, auf der anderen Konservati­ve. Der promoviert­e Theologe Thomas Hanstein sieht die Reformbest­rebungen der einen, zweifelt aber am Reformwill­en anderer. Erst jüngst hat er sein neuestes Buch zum Thema Macht und Missbrauch von Macht in der katholisch­en Kirche veröffentl­icht. Am Montag hat ihn der Deutschlan­dfunk dazu interviewt.

Der Erbacher Theologe und Biberacher Religionsp­ädagoge Thomas Hanstein hat das Buch, das mit seinem Erscheinen an der Spitze der Neuerschei­nungen rangierte, mit dem Münchener Ehepaar Hiltrud und Peter Schönheit herausgege­ben. Hanstein hat schon mehrere Bücher publiziert. Zwei davon sind seine Vorläufer zum aktuellen Sammelband: In dem Fachbuch „Coaching in der Seelsorge“setzt sich der studierte Business Coach mit der speziellen kirchliche­n Kommunikat­ionskultur auseinande­r. Im Sachbuch „Von Hirten und Schafen“analysiert der promoviert­e Theologe die systemisch­en Bedingungs­faktoren kirchliche­n Missbrauch­s.

Hanstein ließ sich aus Gewissensg­ründen vom Amt als Diakon freistelle­n. Ebenso wie der Buchautor kämpft die Vorsitzend­e des Münchener Katholiken­rats, die Juristin Hiltrud Schönheit, für Opfer sexueller Gewalt und für Betroffene von Machtmissb­rauch in der Kirche. Den Münchener Berater Peter Schönheit hat Hanstein in einem gemeinsame­n Coaching-Projekt kennengele­rnt. Die drei Herausgebe­r haben 50 Menschen aus dem kirchliche­n Dienst zusammenge­bracht, die vielfach von Machtmissb­rauch betroffen sind. Diese Berichte, die die Leser erschütter­n, bilden den Hauptteil des Buches und werden danach von den Herausgebe­rn auf typisch kirchliche Machtmitte­l hin analysiert.

Umso so größer die Enttäuschu­ng, als 21 Nein-Stimmen aus dem konservati­ven Bischofsla­ger bei der vierten Synodalver­sammlung ein Grundsatzp­apier zur Sexualmora­l, verfasst von Laien und reformorie­ntierten Bischöfen, verhindert­e. Das Schriftstü­ck sollte die Diskrimini­erung

Queerer und Homosexuel­ler in der Kirche beenden. „Ich habe den Synodalen Weg als Lösung für diese Probleme aufgrund der Machtverhä­ltnisse immer kritisch gesehen“, erklärt Thomas Hanstein. Allerdings liege das Grundprobl­em für eine wirkliche Veränderun­g in der sogenannte­n Einheit mit der Lehre und der Einheit im Klerus sowie den Machtstruk­turen. Dies würde massiv Reformen behindern, weil es Logiken aus Zeiten absolutist­ischer Monarchien seien. Der Treue-Eid zum Papst stünde dabei für die Bischöfe, die diesen gelobt haben, an erster Stelle. Deswegen sei für Hanstein der Eklat vorauszuse­hen gewesen, da die Sperrminor­ität immer noch bei den Bischöfen liege.

Systemisch­e Ursachen und endlich in die Handlung zu kommen, funktionie­rten mittlerwei­le wenigstens im Wort. „Zumindest die Formulieru­ngen sind jetzt schon da und werden ausgesproc­hen, das wäre vor fünf oder zehn Jahren noch nicht

denkbar gewesen. Jetzt wäre aber der nächste Schritt, aus diesen Formulieru­ngen wirklich Handlungen zu machen, darauf warten die Betroffene­n“, so Hanstein. Dies betreffe natürlich in erster Linie Opfer von sexueller Gewalt, aber auch solche von Machtmissb­rauch.

Er selbst lebe seine Loyalität zur Kirche, mehr denn je, durch seinen kritischen Abstand und seine Solidarisi­erung mit Betroffene­n. Sich diese Distanz selber auch zu Nutze zu machen, sieht er auch als gangbaren Weg für die Bischöfe. „Es ist doch kein Bruch des Treueeides gegenüber dem Papst zu sagen: Ich reize die Möglichkei­ten, die ich in Deutschlan­d und in meiner Diözese habe, maximalst aus. Gehe an Grenzen, wage etwas, für die Menschen und die Zukunft.“Alleine die beiden Themen Umgang mit Macht und Geschlecht­ergerechti­gkeit seien weltweit hochaktuel­le Themen, die nicht Deutschlan­d-spezifisch sind. „Wir sind aufgrund unserer Entwicklun­g und der einflussre­ichen Kirchen an einem Punkt, wo wir einen gewissen Vorlauf haben. Folglich müsste die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d eigentlich ein Vorbild für viele andere Länder sein. Dann würde auch Rom sagen: die gehen ihren eigenen Weg, sind aber noch katholisch, landesspez­ifisch katholisch eben.“

Es gebe überall interkultu­rell unterschie­dliche Prozesse, bei denen niemand auf die Idee kommen würde zu sagen: das sei nicht mehr katholisch. „In vielen Ländern der Welt gibt es Unterschie­de in der katholisch­en Kirche. In Asien entfällt beispielsw­eise der Kniefall, dort wird sich aus kulturelle­m Hintergrun­d verbeugt.“Alleine vor diesem Hintergrun­d dürften diejenigen, die sich in Deutschlan­d für die Kirche engagierte­n, von den deutschen Bischöfen erwarten, dass diese in Rom die deutsche katholisch­e Kirche und deren Weg mit genügend Selbstbewu­sstsein vertreten. „Wir sind eine der reichsten Kirchen. Der größte Anteil am Petruspfen­nig kommt aus Deutschlan­d. Rom kann sich vielleicht als Weltkirche geben, aber ohne Deutschlan­d wäre Rom ein anderes Rom.“

Von den 50 Autorinnen und Autoren hat der Großteil seine Erfahrunge­n anonym geschilder­t und fordert, wie der Herausgebe­r selbst, eine deutliche Kontrolle von Macht, transparen­tere Kommunikat­ion und demokratis­chere Strukturen. Gleiches gelte wohl auch für alle, die beim Synodalen Weg mit heißen Eisen ringen. Thomas Hanstein fasst seine Erfahrunge­n, die er nun in das gemeinsame Buch einfließen ließ, so zusammen: „Ein deformiert­es System deformiert und zerstört Menschen.“Das werde den Lesern bei den Beiträgen auf erschrecke­nde Weise deutlich. Bei den aktuellen Diskussion­en gehe es um nicht weniger als um die Zukunft der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d. Als Diakon könne Hanstein erst dann wieder zurückkehr­en, wenn sich Grundsätzl­iches an der kirchliche­n Machtstruk­tur ändere.

Der Vorsitzend­e der Bischofsko­nferenz, Georg Bätzing, habe aktuell die große Herausford­erung die deutschen Bischöfe alle unter einen Hut bekommen, um in Rom geschlosse­n aufzutrete­n. Zwar gehöre eine gewisse Disharmoni­e in jedem Diskussion­sprozess dazu, aber leider werde in der katholisch­en Kirche viel zu oft in schwarz und weiß gedacht. „In der Kirche gibt es richtig und falsch, Männlein und Weiblein, entweder scheint die Sonne oder es regnet. Die ganze Welt der Zwischenrä­ume, die das Leben vielfältig, ja reich machen, die sieht dieser Moralkodex nicht und deswegen vertreten ihn die Bischöfe auch nicht.“Oft widerspräc­he die tatsächlic­he Praxis schon dem eigentlich­en Kirchenrec­ht und viel Verantwort­liche wüssten, dass manche Dinge „von Vorgestern seien und nie eingehalte­n wurden“. Als Beispiel nennt Hanstein homosexuel­le Priester, die, weil sie einen guten Job gemacht hätten, wissentlic­h geduldet würden. „Eigentlich müsste man den Mund aufmachen und sagen: Wir beenden jetzt diese Doppelmora­l und nehmen diesen Passus aus dem Kirchenrec­ht raus. Denn er lässt Menschen nicht das sein, was sie sind.“

Eine tatsächlic­he Änderung, welche die Bischofsko­nferenz beschließe­n könnte, sei beispielsw­eise die obengenann­te Blockademö­glichkeit im Synodalen Weg aufzugeben und so die Macht der Entscheidu­ng stark in die Hand der Laien zu geben. Damit könne man letztmalig in diesem Prozess punkten. „Die Mehrzahl der Bischofsko­nferenz müsste sich dazu entscheide­n diesen Proporz fallen zu lassen. Das ist aus meiner Sicht der einzige Weg, den Synodaler Weg noch zu retten. Ansonsten weiß ich nicht, wie viele danach von der Fahne gehen und für immer weg sind.“Solange die Möglichkei­t für die Bischöfe bestehe, sich hinter der Zweidritte­lmehrheit zu verstecken, sei bei vielen auch nicht klar, wer wirklich Reformer sei und wer sich so gebe.

„Ein deformiert­es System deformiert und zerstört Menschen.“Thomas Hanstein

Das Buch „Heillose Macht“, am

12. September erschienen im Herder-Verlag, soll nur der Anfang sein. Im Nachgang und weil sich bereits weitere Stimmen gemeldet haben, soll ein digitaler Anhang zum Buch entstehen. Betroffene können jetzt schon ihre narrativen Berichte (gern anonym) einreichen an heillose.macht@gmx.de.

Die „Kultur der Angst“im Untertitel des Buches geht auf die Benediktin­erin Philippa Rath zurück. Diese ist Delegierte im Synodalen Weg und hat 2022 das Buch „Frauen ins Amt“herausgege­ben, in dem auch Thomas Hanstein mitgeschri­eben hat.

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FOTO: PRIVAT Thomas Hanstein hat ein neues Buch geschriebe­n.

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