Hanstein zweifelt am Reformwillen mancher
Sein neues Buch „Heillose Macht“berichtet von der „Kultur der Angst“im kirchlichen Dienst
ERBACh - Viel beachtet wird dieser Tage die Deutsche Bischofskonferenz und der vor rund drei Jahren gestartete Synodale Weg, der Anfang September seine vierte Versammlung hatte. Viele Gläubige sehen in den aktuellen Entscheidungen die Richtung, welche die katholische Kirche in Deutschland in den künftigen Jahren einschlagen wird. Auf der einen Seite stehen Reformer, auf der anderen Konservative. Der promovierte Theologe Thomas Hanstein sieht die Reformbestrebungen der einen, zweifelt aber am Reformwillen anderer. Erst jüngst hat er sein neuestes Buch zum Thema Macht und Missbrauch von Macht in der katholischen Kirche veröffentlicht. Am Montag hat ihn der Deutschlandfunk dazu interviewt.
Der Erbacher Theologe und Biberacher Religionspädagoge Thomas Hanstein hat das Buch, das mit seinem Erscheinen an der Spitze der Neuerscheinungen rangierte, mit dem Münchener Ehepaar Hiltrud und Peter Schönheit herausgegeben. Hanstein hat schon mehrere Bücher publiziert. Zwei davon sind seine Vorläufer zum aktuellen Sammelband: In dem Fachbuch „Coaching in der Seelsorge“setzt sich der studierte Business Coach mit der speziellen kirchlichen Kommunikationskultur auseinander. Im Sachbuch „Von Hirten und Schafen“analysiert der promovierte Theologe die systemischen Bedingungsfaktoren kirchlichen Missbrauchs.
Hanstein ließ sich aus Gewissensgründen vom Amt als Diakon freistellen. Ebenso wie der Buchautor kämpft die Vorsitzende des Münchener Katholikenrats, die Juristin Hiltrud Schönheit, für Opfer sexueller Gewalt und für Betroffene von Machtmissbrauch in der Kirche. Den Münchener Berater Peter Schönheit hat Hanstein in einem gemeinsamen Coaching-Projekt kennengelernt. Die drei Herausgeber haben 50 Menschen aus dem kirchlichen Dienst zusammengebracht, die vielfach von Machtmissbrauch betroffen sind. Diese Berichte, die die Leser erschüttern, bilden den Hauptteil des Buches und werden danach von den Herausgebern auf typisch kirchliche Machtmittel hin analysiert.
Umso so größer die Enttäuschung, als 21 Nein-Stimmen aus dem konservativen Bischofslager bei der vierten Synodalversammlung ein Grundsatzpapier zur Sexualmoral, verfasst von Laien und reformorientierten Bischöfen, verhinderte. Das Schriftstück sollte die Diskriminierung
Queerer und Homosexueller in der Kirche beenden. „Ich habe den Synodalen Weg als Lösung für diese Probleme aufgrund der Machtverhältnisse immer kritisch gesehen“, erklärt Thomas Hanstein. Allerdings liege das Grundproblem für eine wirkliche Veränderung in der sogenannten Einheit mit der Lehre und der Einheit im Klerus sowie den Machtstrukturen. Dies würde massiv Reformen behindern, weil es Logiken aus Zeiten absolutistischer Monarchien seien. Der Treue-Eid zum Papst stünde dabei für die Bischöfe, die diesen gelobt haben, an erster Stelle. Deswegen sei für Hanstein der Eklat vorauszusehen gewesen, da die Sperrminorität immer noch bei den Bischöfen liege.
Systemische Ursachen und endlich in die Handlung zu kommen, funktionierten mittlerweile wenigstens im Wort. „Zumindest die Formulierungen sind jetzt schon da und werden ausgesprochen, das wäre vor fünf oder zehn Jahren noch nicht
denkbar gewesen. Jetzt wäre aber der nächste Schritt, aus diesen Formulierungen wirklich Handlungen zu machen, darauf warten die Betroffenen“, so Hanstein. Dies betreffe natürlich in erster Linie Opfer von sexueller Gewalt, aber auch solche von Machtmissbrauch.
Er selbst lebe seine Loyalität zur Kirche, mehr denn je, durch seinen kritischen Abstand und seine Solidarisierung mit Betroffenen. Sich diese Distanz selber auch zu Nutze zu machen, sieht er auch als gangbaren Weg für die Bischöfe. „Es ist doch kein Bruch des Treueeides gegenüber dem Papst zu sagen: Ich reize die Möglichkeiten, die ich in Deutschland und in meiner Diözese habe, maximalst aus. Gehe an Grenzen, wage etwas, für die Menschen und die Zukunft.“Alleine die beiden Themen Umgang mit Macht und Geschlechtergerechtigkeit seien weltweit hochaktuelle Themen, die nicht Deutschland-spezifisch sind. „Wir sind aufgrund unserer Entwicklung und der einflussreichen Kirchen an einem Punkt, wo wir einen gewissen Vorlauf haben. Folglich müsste die katholische Kirche in Deutschland eigentlich ein Vorbild für viele andere Länder sein. Dann würde auch Rom sagen: die gehen ihren eigenen Weg, sind aber noch katholisch, landesspezifisch katholisch eben.“
Es gebe überall interkulturell unterschiedliche Prozesse, bei denen niemand auf die Idee kommen würde zu sagen: das sei nicht mehr katholisch. „In vielen Ländern der Welt gibt es Unterschiede in der katholischen Kirche. In Asien entfällt beispielsweise der Kniefall, dort wird sich aus kulturellem Hintergrund verbeugt.“Alleine vor diesem Hintergrund dürften diejenigen, die sich in Deutschland für die Kirche engagierten, von den deutschen Bischöfen erwarten, dass diese in Rom die deutsche katholische Kirche und deren Weg mit genügend Selbstbewusstsein vertreten. „Wir sind eine der reichsten Kirchen. Der größte Anteil am Petruspfennig kommt aus Deutschland. Rom kann sich vielleicht als Weltkirche geben, aber ohne Deutschland wäre Rom ein anderes Rom.“
Von den 50 Autorinnen und Autoren hat der Großteil seine Erfahrungen anonym geschildert und fordert, wie der Herausgeber selbst, eine deutliche Kontrolle von Macht, transparentere Kommunikation und demokratischere Strukturen. Gleiches gelte wohl auch für alle, die beim Synodalen Weg mit heißen Eisen ringen. Thomas Hanstein fasst seine Erfahrungen, die er nun in das gemeinsame Buch einfließen ließ, so zusammen: „Ein deformiertes System deformiert und zerstört Menschen.“Das werde den Lesern bei den Beiträgen auf erschreckende Weise deutlich. Bei den aktuellen Diskussionen gehe es um nicht weniger als um die Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland. Als Diakon könne Hanstein erst dann wieder zurückkehren, wenn sich Grundsätzliches an der kirchlichen Machtstruktur ändere.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, habe aktuell die große Herausforderung die deutschen Bischöfe alle unter einen Hut bekommen, um in Rom geschlossen aufzutreten. Zwar gehöre eine gewisse Disharmonie in jedem Diskussionsprozess dazu, aber leider werde in der katholischen Kirche viel zu oft in schwarz und weiß gedacht. „In der Kirche gibt es richtig und falsch, Männlein und Weiblein, entweder scheint die Sonne oder es regnet. Die ganze Welt der Zwischenräume, die das Leben vielfältig, ja reich machen, die sieht dieser Moralkodex nicht und deswegen vertreten ihn die Bischöfe auch nicht.“Oft widerspräche die tatsächliche Praxis schon dem eigentlichen Kirchenrecht und viel Verantwortliche wüssten, dass manche Dinge „von Vorgestern seien und nie eingehalten wurden“. Als Beispiel nennt Hanstein homosexuelle Priester, die, weil sie einen guten Job gemacht hätten, wissentlich geduldet würden. „Eigentlich müsste man den Mund aufmachen und sagen: Wir beenden jetzt diese Doppelmoral und nehmen diesen Passus aus dem Kirchenrecht raus. Denn er lässt Menschen nicht das sein, was sie sind.“
Eine tatsächliche Änderung, welche die Bischofskonferenz beschließen könnte, sei beispielsweise die obengenannte Blockademöglichkeit im Synodalen Weg aufzugeben und so die Macht der Entscheidung stark in die Hand der Laien zu geben. Damit könne man letztmalig in diesem Prozess punkten. „Die Mehrzahl der Bischofskonferenz müsste sich dazu entscheiden diesen Proporz fallen zu lassen. Das ist aus meiner Sicht der einzige Weg, den Synodaler Weg noch zu retten. Ansonsten weiß ich nicht, wie viele danach von der Fahne gehen und für immer weg sind.“Solange die Möglichkeit für die Bischöfe bestehe, sich hinter der Zweidrittelmehrheit zu verstecken, sei bei vielen auch nicht klar, wer wirklich Reformer sei und wer sich so gebe.
„Ein deformiertes System deformiert und zerstört Menschen.“Thomas Hanstein
Das Buch „Heillose Macht“, am
12. September erschienen im Herder-Verlag, soll nur der Anfang sein. Im Nachgang und weil sich bereits weitere Stimmen gemeldet haben, soll ein digitaler Anhang zum Buch entstehen. Betroffene können jetzt schon ihre narrativen Berichte (gern anonym) einreichen an heillose.macht@gmx.de.
Die „Kultur der Angst“im Untertitel des Buches geht auf die Benediktinerin Philippa Rath zurück. Diese ist Delegierte im Synodalen Weg und hat 2022 das Buch „Frauen ins Amt“herausgegeben, in dem auch Thomas Hanstein mitgeschrieben hat.