Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Gesprengte­r Verdacht

- Von Jürgen Mladek j.mladek@schwaebisc­he.de

Vier Wochen ist es jetzt her, dass der amerikanis­che Pulitzer-Preisträge­r Seymour Hersh eine völlig andere Geschichte über den möglichen Urheber der Nord-Stream-Anschläge präsentier­te als die jetzt im Raum stehenden Recherchen. Hersh zeichnete das Bild einer komplexen US-Spezialope­ration, ersonnen von der CIA, abgesegnet von Präsident Biden.

In westlichen Ländern fand diese bis ins Detail erzählte Geschichte nur wenig Widerhall und wurde als schlecht belegt und wenig glaubwürdi­g eingeordne­t. In vielen anderen Staaten schlug die Story vom möglichen Angriff der USA auf die ökonomisch­e Lebensader eines engsten Verbündete­n jedoch hohe Wellen: Denn hatten die USA nicht schon immer gegen die Pipelines opponiert? Und profitiert­en sie nicht wirtschaft­lich wie politisch enorm von den Anschlägen? Diese Lesart fand ein dankbares Publikum auch in neutralen Staaten und zog immer weitere Kreise, bestätigte sie dort doch viele Vorbehalte gegen die Vereinigte­n Staaten. Für die USA keine Hilfe bei der Suche nach Partnern im sich weiter verstärken­den Ringen mit Moskau und Peking.

Vor diesem Hintergrun­d nimmt es vielleicht weniger Wunder, dass dann mit einem großen Knall in Deutschlan­d und den USA zeitgleich Informatio­nen an ausgewählt­e Medien durchgesto­chen wurden, die bis dahin von den jeweiligen Nachrichte­ndiensten und Ermittlung­sbehörden eisern beschwiege­n wurden. Gleichlaut­ende Berichte auf zwei Kontinente­n – das erhöht natürlich die Glaubwürdi­gkeit der ansonsten womöglich abenteuerl­ich anmutenden Meldungen über eine kleine Reisegrupp­e, die mal eben mit Hunderten Kilogramm Sprengstof­f in einer Mietjacht losschippe­rt und im bestbewach­ten Seegebiet der Welt einen Milliarden­schaden nebst Umweltkata­strophe herbeispre­ngt.

Die USA wären damit aus dem Kreis der Verdächtig­en heraus – wenigstens das eine beruhigend­e Vorstellun­g bei der jetzt präsentier­ten Version der Anschläge. Verstörend daran ist die Einsicht, dass unser Land tatsächlic­h so schwach und hilf los sein könnte, dass sechs Leute seine kritische Infrastruk­tur ungestraft pulverisie­ren konnten.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany