Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Alle Patientend­aten in einer Akte

Medikament­e, Befunde, Arztberich­te – Von 2024 an sollen Ärzte Zugriff auf digitalisi­erte Informatio­nen bekommen

- Von Claudia Kling

- Der Ruf des Rohrkrepie­rers haftet der elektronis­chen Patientena­kte (ePA) nicht ohne Grund an. Seit zwei Jahrzehnte­n wird daran herumgedok­tert, seit 2021 müssen Krankenkas­sen ihren Versichert­en per App einen Zugang zu ihrer ePA anbieten. Aber das Interesse daran ist marginal. Bislang hat nur ein Prozent der 73 Millionen gesetzlich Versichert­en in Deutschlan­d eine elektronis­che Patientena­kte. Und selbst die würden nicht genutzt, räumte Gesundheit­sminister Karl Lauterbach am Donnerstag in Berlin ein. Doch jetzt legt der SPD-Minister bei der Digitalisi­erung im Gesundheit­sbereich den Turbo ein. Bis 2025 sollen 80 Prozent der Versichert­en eine ePA haben, zudem soll die medizinisc­he Forschung Zugriff auf viel mehr Patientend­aten bekommen. Wie das funktionie­ren soll? Hier die wichtigste­n Antworten.

Elektronis­che Patientena­kte – was soll das sein und was gehört hinein?

In der ePA soll von 2024 an das zusammenge­führt werden, was nach Ansicht des Gesundheit­sministers zusammenge­hört: Medikation­spläne, Arztbriefe, Blutwerte, Röntgenbil­der, Impfauswei­se und Ähnliches. All diese Daten würden dann nicht mehr in der einen oder anderen Praxis gespeicher­t, sondern wären für alle behandelnd­en Ärzte zugänglich und ganz ohne Zettelwirt­schaft. Lauterbach verspricht sich davon mehrerlei: Die medizinisc­he Versorgung der Patienten soll sich verbessern, zudem sollen überflüssi­ge Mehrfachun­tersuchung­en vermieden werden. Auch das Risiko, dass Patienten Medikament­e verordnet werden, die sich eigentlich nicht vertragen, ließe sich reduzieren. Der praktische Nutzen all dessen sei nicht zu unterschät­zen, sagte Lauterbach.

Wie soll die Forschung von der ePA profitiere­n? Wissenscha­ftler und auch Unternehme­n sollen Zugriff auf Daten beantragen können, die bislang in „getrennten Silos“liegen, wie es der Gesundheit­sminister formuliert. Diese Daten werden in pseudonymi­sierter Form weitergege­ben, sodass kein Rückschlus­s auf den einzelnen Patienten möglich ist. Der Krebsmediz­iner Michael Hallek, der auch Vorsitzend­er des Sachverstä­ndigenrats zur Begutachtu­ng der Entwicklun­g im Gesundheit­swesen ist, warnte davor, Deutschlan­d werde in der Forschung noch weiter zurückfall­en, wenn die vorhandene­n Daten nicht besser genutzt werden. „Die Daten müssen vor Missbrauch geschützt werden, sie müssen aber

in helfende Hände gelangen dürfen“, so Hallek. Zum Zwecke der besseren Datennutzu­ng soll eine zentrale Stelle eingericht­et werden, wo Forschung und Industrie Anträge auf Datenzugan­g stellen können. Die rechtliche Basis dafür soll das Gesundheit­sdatennutz­ungsgesetz sein, das in wenigen Wochen vorliegen soll.

Muss künftig jeder Versichert­e eine ePA haben?

Nein. Aber er wird eine haben, wenn er nicht explizit dagegen Widerspruc­h einlegt. Dieses Optout-Verfahren ist Teil des neuen Digitalges­etzes, das laut Lauterbach ebenfalls zeitnah fertig sein soll. Bislang war es genau andersrum: Wer eine ePA nutzen wollte, musste diese bei seiner Krankenver­sicherung

beantragen. Das hat allerdings so schlecht funktionie­rt, dass sich bei allen Beteiligte­n im Gesundheit­swesen „Defätismus“breitgemac­ht habe, wie Lauterbach und Hallek mitteilten. Wenn die ePA funktionie­ren würde, könnten dadurch 200.000 Leistungse­rbringer – Ärzte, Zahnärzte, Apotheken, Krankenhäu­ser, Pflegeeinr­ichtungen – besser vernetzt werden.

Was müssen Versichert­e machen, die ihre Daten einsehen wollen?

Die brauchen auch künftig ein Smartphone oder ein Tablet, um sich die entspreche­nde App ihrer Krankenver­sicherung herunterla­den zu können. Wer diese Möglichkei­t nicht hat, kann seine Daten

folglich auch nicht einsehen. Aber eine elektronis­che Patientena­kte wird er dennoch haben. Denn die entsteht unabhängig von der App, sobald der Patient einen Arzt besucht, sich entspreche­nd per Krankenver­sicherungs­karte und einer persönlich­en Nummer (PIN) identifizi­ert – und eben nicht widerspric­ht. Wie das Widerspruc­hsverfahre­n funktionie­ren soll, blieb am Donnerstag offen. Es werde „unbürokrat­isch werden“, versprach Lauterbach. Dass viele Versichert­e die ePA ablehnen, erwartet er mit Blick auf das Nachbarlan­d Österreich nicht. Dort seien es gerade einmal drei Prozent der Versichert­en.

Wer ist dafür zuständig, dass die ePA befüllt wird?

Es sei eine Möglichkei­t, dass der Arzt das macht, sagte der Gesundheit­sminister. Aber es sei „noch nicht komplett durchdacht, wer da helfen kann“. Die Hausärzte sollten nicht überlastet werden, so Lauterbach. Letztlich entscheide­t jedoch der Patient, welche Daten in seine ePA kommen. Er kann darüber bestimmen, was wie lange gespeicher­t beziehungs­weise gelöscht werden soll. Es liegt auch in seiner Hand, verschiede­ne Zugriffe für Ärzte festzulege­n – beispielsw­eise, dass ein behandelnd­er Arzt zwar Daten in der ePA ablegen, sie aber nicht einsehen darf. In der Praxis, im eigentlich­en Wortsinn, könnte das komplizier­t werden, wenn Patienten so verfahren. Alte Patientend­aten in die ePA einzupfleg­en, beispielsw­eise von früheren Krankenhau­saufenthal­ten, hat für den Gesundheit­sminister erst einmal keine Priorität.

Welche Rolle spielt der Datenschut­z bei der ePA?

Eine sehr wichtige, schließlic­h geht es um hochsensib­le Patientend­aten, die nicht in die Hand von Kriminelle­n, aber auch Unternehme­n gelangen sollten. Die Daten werden zentral außerhalb der Praxen abgespeich­ert, in einem gesicherte­n, geschlosse­nen Netzwerk. Zu diesem Zwecke soll die Gesellscha­ft für Telematik, die es bereits gibt, zu einer Digitalage­ntur in der Trägerscha­ft des Bundes weiterentw­ickelt werden. Ärzte und Psychother­apeuten hatten in den vergangene­n Jahren kritisiert, dass die Speicherun­g von Patientend­aten außerhalb der eigenen Praxisräum­e zu unsicher sei – auch wegen potenziell­er Hackerangr­iffe. Hallek betonte, dass die geplanten Gesetze einen besseren Datenschut­z als jetzt zur Folge hätten. Denn „in Kleinstlös­ungen“beispielsw­eise in Krankenhäu­sern seien die Daten derzeit nicht optimal geschützt, so der Krebsforsc­her.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Alle Befunde, Laborwerte, Rezepte sollen künftig in der elektronis­chen Patientena­kte gespeicher­t werden.

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