Mal Hose, mal Harfe
Letzte Woche wurde hier kräftig Wind gemacht, und da kamen auch einige Reaktionen aus der Leserschaft. Darunter war ein bemerkenswertes japanisches Gedicht, das wir hier zitieren wollen: „Wenn auch die Worte geschrieben sind: / ,Nicht pflückt die Blüten! Sind lebend Wesen!‘ / Die Zeichen vermögen nichts wider den Wind. / Denn der Wind kann nicht lesen.“Unüberhörbar ist der melancholische Unterton, und man wundert sich nicht, dass es immer wieder in Trauerreden auftaucht – vor allem beim Abschied von jüngeren Menschen.
Hübsch skurril mutete hingegen die Zuschrift eines Lesers an, der gleich die Themen der letzten beiden Glossen miteinander verknüpfte: Was wohl herauskäme, wenn man ChatGPT, also dieses derzeit so hochgehandelte ominöse Produkt der Künstlichen Intelligenz, nach der Konfektionsgröße einer Windhose fragte, nach dem Bräutigam einer Windsbraut oder nach dem, was man gemeinhin in einen Windbeutel stopft…? Jemand anderes wollte wissen, warum man von Windeiern spricht. Das lässt sich sinnfälliger erklären: Ein Windei ist einerseits ein Ei, das ohne Kalkschale ausgebrütet wird, also nur von einer Haut umgeben. Andererseits versteht man darunter ein unbefruchtetes Ei und im übertragenen Sinn etwas Unbrauchbares, Wertloses. Schließlich wurde vermisst, dass wir nicht auf die verschiedenen Typen von
Windrädern eingegangen waren. Es sei nachgeholt: Unter einem
Windrad versteht man erstens ein kleines buntes Kinderspielzeug. Es kann zweitens eine Art Windmühle sein, die in Kombination mit einer Pumpe zur Trockenlegung von Sümpfen oder zur Bewässerung von Feldern dient. Oder aber es ist drittens ein hoher Mast mit riesigen Rotorblättern zur Energiegewinnung.
Fragen wir uns noch kurz, wie man eigentlich anderswo zum
Windrad sagt. In manchen Sprachen wird der Begriff der Turbine bemüht – englisch wind turbine, norwegisch vindturbin oder niederländisch windturbine. In anderen wiederum – so im italienischen turbina eolica, im rumänischen turbina eoliana oder im französischen éolienne – kommt sogar die Antike ins Spiel: Aiolos war der Gott des Windes im alten Griechenland. Sein Name steckt auch in unserem Wort Äolsharfe oder Windharfe für ein Instrument mit verschieden starken, aber auf denselben Grundton gestimmten Saiten, die von einem Luftstrom zu einem eigenartigen sphärischen Klingen gebracht werden. Und nach ihm benannt sind natürlich auch die zauberhaften Äolischen Inseln nördlich von Sizilien. Doch von wegen zauberhaft: Dort herrschte vor wenigen Wochen noch derart miserables Winterwetter, dass sogar die Fähren eingestellt werden mussten.
Da fällt einem noch ein windiger
Kalauer zum Thema Winterwetter ein – von Heinz Erhardt, von wem sonst: „Es wohnt ein Wind in Leningrad, der pustet kalt. Wer da nicht einen Mantel hat, der hustet bald." Aber diese Sottise bleibt einem angesichts des derzeit in der Tat eiskalten Windes aus Russland dann doch im Halse stecken. Damit genug. Und eines sei versprochen: In Sachen Wind kehrt hier jetzt Windstille ein.
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