Ein bisschen gegen den grünen Strich
Grünen-Landeschefin Lena Schwelling gilt als Kandidatin für den Ulmer OB-Wahlkampf
- Stark im Land, schwach vertreten in den Rathäusern: Wenn die Grünen ihr Ziel erreichen wollen, die CDU als Baden-Württemberg-Partei abzulösen, müssen sie vor allem kommunalpolitisch besser werden. Das weiß ihre Vorsitzende Lena Schwelling und will daher bei ihren Mitgliedern die Lust zum Kandidieren wecken. Vielleicht wird sie noch dieses Jahr in ihrer Heimat Ulm mit gutem Beispiel vorangehen.
Selbst in Städten mit klassischem Grünen-Klientel wie Freiburg, Heidelberg und Stuttgart fielen die Grünen-Kandidaten zuletzt durch. Sie stellen landesweit nur eine Handvoll Oberbürgermeister, dazu einige Bürgermeister und Dezernenten. Dem Kandidaten für die Mannheimer OBWahl im Juni werden wenig Chancen auf Erfolg eingeräumt. Und der Wahlgewinner in Tübingen, Boris Palmer, musste sich als ruhendes Parteimitglied gegen eine Grünen-Konkurrentin durchsetzen. Erwin Feucht schnitt am Wochenende in Balingen mit nicht einmal zehn Prozent der Stimmen enttäuschend ab.
„Schon heute gibt es ja die Schlagzeile: Grüne verlieren Rathäuser“, sagt Schwelling. „Aber wenn man es nicht versucht, kann man es auch nicht schaffen.“Eins ihrer Ziele als Vorsitzende sei es, ihre Mitglieder zum Kandidieren zu ermuntern und ihnen die Angst vor dem Scheitern zu nehmen. Seitdem sie und Pascal Haggenmüller Ende 2021 die Führung der Landesgrünen übernommen haben, haben sie hierfür eine Art BürgermeisterAkademie geschaffen. Eine Lehre aus den Misserfolgen: „Zu oft machen wir einen Grünen-Wahlkampf statt einen Wahlkampf für alle Bürger. Hier sind wir dabei, das zu professionalisieren“, sagt Schwelling. Ziel der Parteichefs ist zudem, bei der Kommunalwahl 2024 mit mehr Listen anzutreten. Aktuell sind eigene und Grünen-nahe Listen in rund 400 der 1101 Städte und Gemeinden vertreten.
Begeisterung für ihre Anliegen bescheinigen ihr Parteifreunde wie politische Wettbewerber gleichermaßen. Die einen wie Andreas Schwarz, Grünen-Fraktionschef im Landtag, meinen dies als Lob. Andere kritisieren das als gewisse Engstirnigkeit. Auch politische Mitbewerber sprechen wohlwollend von der 30-Jährigen. Als
sie 2014 in den Ulmer Gemeinderat gewählt wurde, habe sie noch Reden wie auf einem Parteitag gehalten, sagt ein Stadtrat-Kollege. Heute sei sie pragmatisch und eine Team-Playerin.
Aber sie bürstet gerne gegen den grünen Strich. Beim politischen Aschermittwoch in Biberach berichtete sie vom Skifahren auf Kunstschnee und von ihrer Liebe zu Wurstsalat. Manchem „Fundi“in der Partei geht die „Reala“zu weit. Sie solle lieber gegen die allzu pragmatische grüne Regierung in Stuttgart bürsten, sagt ein Landtagsabgeordneter. Kritik für politische Vorstöße nimmt Schwelling in Kauf. Kretschmann etwa hatte es gar
nicht geschmeckt, als sie kurz nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden verkündete, bald einen Nachfolger für ihn zu suchen. Ihre Vorschläge, die Schuldenbremse für Investitionen in den Klimaschutz zu lockern und kleinere Schulen, darunter auch Gemeinschaftsschulen, auf den Prüfstand zu stellen, brachten ihr aus den eigenen Reihen Rüffel ein. Erzieherinnen brachte sie auf die Palme, als sie sagte, ein Kind mehr pro Gruppe sei doch kein Weltuntergang. Seitdem tourt sie durchs Land und hospitiert in Kitas, die sie eingeladen haben. Aber sie betont: „Ich will nie schwurbeln und so rund und weich reden, dass ich bloß niemandem auf die Füße trete.“
Schwellings Sozialisation klingt klassisch grün: aufgewachsen in Tübingen, Abitur an der Waldorfschule. In die Politik ging sie, weil sie die Welt retten wollte. Dass dies im Gemeinderat besser geht als im Land- oder Bundestag, habe sie lernen müssen. „Wenn man die Welt retten will, ist die Genehmigung eines Häckselplatzes nicht das Erste, woran man denkt. Aber alles, was passiert, passiert auf kommunaler Ebene.“Ein Oberbürgermeister besitze hierbei als Chef der Verwaltung und Vorsitzender des Gemeinderats einen einzigartigen Gestaltungsspielraum. Als großes Vorbild nennt Schwelling Ulms ExOB Ivo Gönner (SPD). „Er ist die Verkörperung eines OB, offen für alle Menschen, nahbar, mit einer klaren Vision für seine Stadt, jovial und doch ein knallharter Machtpolitiker, wenn es drauf ankommt.“Vor allem bewundere sie, dass er selbstbestimmt aufgehört habe. „Diese Größe wünsche ich mir auch.“
Eigentlich wollte Schwelling nach ihrem Studium der Germanistik und Geschichte in Stuttgart im akademischen Bereich bleiben. „Ich hatte oft andere Vorstellungen davon, wo ich hinwill – bis mir das Leben einen Arschtritt in eine andere Richtung gegeben hat.“So arbeitete sie bei einem kommunalen ITDienstleister und sammelte dort unter anderem Verwaltungserfahrung. Jüngst setzte sie an der Verwaltungshochschule Ludwigsburg einen Master in Public Management drauf. Ihre Abschlussarbeit trägt den Titel „Gemeinsam an die Rathausspitze“.
Ein Omen für die Ulmer OBWahl im Dezember? Schwelling äußert sich nicht zu einer möglichen Kandidatur. Stattdessen verweist sie auf die innerparteiliche Findungskommission, die im Mai ihren Vorschlag vorstellen will. Klar sei aber der Anspruch ihrer Partei auf einen eigenen Kandidaten. Nicht als Misstrauensvotum gegen den Amtsinhaber Gunter Czisch von der CDU – der sich auch noch nicht zu einer erneuten Kandidatur geäußert hat. „Ich mag Gunter Czisch und arbeite gut mit ihm zusammen“, sagt Schwelling. „Aber wir Grüne in Ulm haben eine klare Vorstellung, wie die Stadt 2030 aussehen soll – und was sich hierfür ändern muss. Dafür braucht es ein grünes Stadtoberhaupt.“So könnte es also passieren, dass zur Liste der Grünen, die eine OB-Wahl verloren haben, bald eine Landeschefin hinzukommt.