„Wir müssen endlich weg vom kurzatmigen Klein-Klein“
Lehrerverbandspräsident Heinz-Peter Meidinger über Künstliche Intelligenz in Klassenarbeiten und die Nachteile des Beamtendaseins
(KNA) - In gut einer Woche, am 14. und 15. März, wollen Vertreter aus Politik, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft in Berlin über „Herausforderungen im Bildungssystem“diskutieren. Auch Heinz-Peter Meidinger wird an dem Bildungsgipfel teilnehmen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur erläutert der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, warum seine Erwartungen an diese Veranstaltung eher gedämpft sind. Und wo es Schulen und Lehrern stattdessen unter den Nägeln brennt.
Wie bewerten Sie die Bildungspolitik des Bundes?
Die Ampel-Koalition hat ja anfangs stark für einen Neuaufbruch und mehr Investitionen in die Bildungspolitik geworben.
Aber?
Davon ist kaum etwas übrig geblieben. Vieles wird nach hinten geschoben, zu den finanziellen Größenordnungen gibt es keine konkreten Angaben. Bildungsprojekte sind offensichtlich durch Energiekrise, UkraineKrieg und Inflation in den Hintergrund gerückt worden.
Immerhin findet nun ein Bildungsgipfel statt. Was versprechen Sie sich davon?
Meine Erwartungen sind eher gedämpft. Schöne Worte und vage Ankündigungen reichen nicht. Aber solange notwendige Investitionen nicht im Haushalt abgebildet werden, wird das Meiste im Ungefähren bleiben.
Was brennt den Lehrern denn aktuell unter den Nägeln mit Blick auf den Bund?
Wir brauchen mehr Schubkraft und Kontinuität beim digitalen Transformationsprozess an Schulen. Wichtig wäre uns, dass wir nicht von Digitalpakt zu Digitalpakt stolpern, sondern zu einer Vereinbarung kommen, dass die Digitalisierung eine gemeinsame Daueraufgabe von Bund, Ländern und Kommunen darstellt.
Warum tut das Not?
Die ersten Schulen haben vor drei Jahren ihre Geräte beschafft; die müssten bald die nächste Generation ordern. Eine weitere Frage ist die professionelle Betreuung der IT an den Schulen. Wer zeichnet dafür verantwortlich und wer bezahlt das? Grundsätzlich gilt: Wir müssen endlich weg vom kurzatmigen Klein-Klein.
Das heißt?
Anstatt wie beim alten Digitalpakt in erster Linie auf die Hardware zu starren oder die Anzahl von Geräten und Glasfaserkabeln, sollten wir Qualitätsstandards definieren und uns fragen, wo wir hinwollen mit der Digitalisierung
an den Schulen. Abgeleitet von diesen Qualitätsstandards müssten die Kommunen und die Schulleitungen mehr Spielräume bei der Beschaffung erhalten. In der Vergangenheit war das sehr mühsam und mit einem riesigen bürokratischen Aufwand verbunden. Da mussten immer zig verschiedene Angebote eingeholt werden, bevor dann in der Regel das günstigste den Zuschlag erhielt – was aber nicht immer das beste war ...
Unterdessen rollt die nächste digitale Herausforderung auf die Schulen zu: Systeme, die – anstelle der Schüler – in Windeseile Texte zu allen erdenklichen Fächern abfassen können. Bereiten Ihnen Programme wie ChatGPT Kopfzerbrechen?
Wir haben immer schon das Problem gehabt, dass nicht alle Hausaufgaben von den Schülern selbst erstellt wurden. Früher wurden Hausaufgaben im Bus abgeschrieben, dann kam halt vor 20 Jahren das Internet dazu.
Sie sehen die Sache also entspannt.
Ich glaube, es wird an Schulen Unterrichtsphasen geben, wo man solche Systeme sinnvoll einsetzen kann – und andere, wo man es unterbindet. Wer aber als Schüler meint, sich komplett auf die Künstliche Intelligenz verlassen zu können, ist schief gewickelt. Spätestens bei Klassenarbeiten wird er überrascht feststellen, dass er dann nicht punkten kann.
Eines der Schlagwörter beim Bildungsgipfel lautet „chancengerechte Bildung“– was bedeutet das konkret?
Es geht vor allem darum, am Beginn des Bildungsweges allen Kindern einigermaßen vergleichbare Startchancen zu eröffnen. Eine zentrale Frage lautet, ob die Schüler bei Einschulung dem Unterricht folgen können, also die deutsche Sprache ausreichend beherrschen.
Wie lassen sich Defizite erkennen und beheben?
Durch verpflichtende Sprachstandstests, wie sie etwa in Hamburg durchgeführt werden. Und bei Bedarf durch eine verpflichtende vorschulische Förderung. Natürlich braucht es dafür aber auch Personal ...
... das schon jetzt an allen Ecken und Enden fehlt. Stichwort Lehrermangel: Hat die Politik versagt?
Manche Entwicklungen waren nicht vorhersehbar. Nehmen wir mal die 200.000 zusätzlichen Schüler aus der Ukraine oder die 300.000 Kinder, die über die Fluchtbewegungen 2015/16 in das deutsche Schulsystem gelangt sind. Aber natürlich gibt es auch hausgemachte Fehler.
Welche wären das?
Die Politik hat viel zu spät auf den Geburtenanstieg und damit eine wachsende Zahl von Schülern reagiert. Gleichzeitig hat man jahrzehntelang Lehramtsstudienplätze abgebaut. Das rächt sich nun. Alle, die jetzt ein Lehramtsstudium beginnen, werden ja erst in sieben Jahren fertig sein.
Was tun?
Aktuell können nur Notmaßnahmen greifen. Die Politik setzt dabei leider auf Arbeitszeiterhöhungen, größere Klassen und weniger Unterricht.
Langfristig kann das aber doch keine Strategie sein.
Nein, wir müssen mehr auf Flexibilität setzen, etwa bei der Gewinnung von Quereinsteigern, der Reaktivierung von pensionierten Lehrern oder dem Einsatz von Lehramtsstudenten im Unterricht. Schätzungsweise jeder fünfte Lehrer könnte sich vorstellen, nach seiner Pensionierung freiwillig weiterzuarbeiten, darf es aber nicht, weil das Beamtenrecht es nicht erlaubt. Ganz unabhängig davon müssen wir den Lehrerberuf attraktiver machen.
Warum?
Die Einstellung von jungen Menschen gegenüber dem, was sie später beruflich machen, hat sich geändert und der Beruf des Lehrers ist dabei einer der Verlierer. Das, was bislang als Vorzug galt – Beamtenstatus mit einer sicheren, lebenslangen Anstellung — wird nicht mehr als Pluspunkt wahrgenommen. Viele wollen nicht vom ersten bis zum letzten Tag ihres Berufslebens immer das Gleiche machen, ohne große Aufstiegsoder Weiterqualifizierungsmöglichkeiten. Das müssen wir ändern und darüber müssen wir diskutieren.