Die Luftkampfarchitekten vom Bodensee
Bei Airbus in Immenstaad soll die Infrastruktur für eines der ambitioniertesten Rüstungsprojekte entwickelt werden
- Marc Paskowski ist guter Dinge. „Willkommen im War Room“, ruft der Airbus-Manager seinen Gästen entgegen. Der schmucklose Konferenzraum auf dem Gelände des AirbusStandorts Immenstaad bei Friedrichshafen hat zwar so gar nichts gemein mit einem „Gefechtsbunker“– so könnte man den von Paskowski verwendeten Begriff etwas frei übersetzen. Doch das wird sich ändern. Die angrenzenden Büros sind bereits geräumt, demnächst wird umgebaut. In den Räumlichkeiten soll eine der Schaltzentralen für das „größte und ambitionierteste Rüstungsprojekt der europäischen Geschichte“entstehen.
Was der ehemalige Marineoffizier meint, heißt „Future Combat Air System“– kurz FCAS – ein Multi-Milliarden-Euro teures integriertes Waffensystem, das den Luftkampf revolutionieren soll. Der prominenteste Teil des FCAS ist ein Kampfflugzeug, der Next Generation Fighter, tarnfähig und sogar in der Lage, Laserwaffen zu tragen. 2028 soll ein erster Demonstrator f liegen. Dazu kommen Drohnen, die zusammen mit den Jets einen Kampfverbund stellen. Doch der eigentliche Clou des FCAS – und da kommen die Airbus-Ingenieure vom Bodensee ins Spiel – ist die sogenannte Combat Cloud (zu Deutsch: Gefechts-Cloud).
Dahinter verbirgt sich die Gesamtarchitektur des Waffensystems, die Vernetzung und Kommunikation der verschiedenen Waffengattungen. Alle Informationen des Schlachtfelds sollen in Echtzeit zur Verfügung stehen, Künstliche Intelligenz soll sie sogleich auswerten und für die Piloten nutzbar machen. Sogar über eine Cyberkrieg-Fähigkeit soll das neue System verfügen. Ziel ist es, die Komplexität künftiger Missionen für die Einsatzverantwortlichen zu reduzieren und die menschliche Entscheidungsfindung zu erleichtern. Der Kampfpilot soll sich künftig also nicht mehr selbst um Lagebeurteilung oder Zieldaten kümmern müssen. Das erledigt die Combat Cloud für ihn.
„Die Combat Cloud ist die entscheidende Säule für die militärischen Fähigkeiten von FCAS. Sie ist der Game Changer“, sagt Paskowski ganz unbescheiden. Er leitet das Projekt bei Airbus Defence and Space in Immenstaad, einem der größten Standorte innerhalb der Rüstungs- und Raumfahrtsparte
des Airbus-Konzerns. Am Bodensee wird das System entwickelt und verantwortet, weil man hier „die für hochkomplexe Systeme nötigen Kompetenzen“habe. Noch gehe es darum, Wissen aufzubauen, sagt Paskowski. Die aktuell rund 60 in dem Projekt beschäftigten Mitarbeiter dürften aber schon bald erhebliche personelle Verstärkung bekommen.
Denn FCAS ist eines der wichtigsten Zukunftsprojekte für Airbus am Bodensee. Das machte Noch-Standortleiter Dietmar Pilz im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“deutlich. Hinter dem Prestigeprojekt, das bereits 2017 von Frankreich und Deutschland aus der Taufe gehoben wurde und an dem sich inzwischen auch Spanien beteiligt, standen viele Fragezeichen. Noch immer ist unklar, ob die Versprechungen der Industrie eingehalten werden können und FCAS tatsächlich ein Erfolg wird. Doch mit den Unterschriften am 15. Dezember 2022 haben die drei Länder den Vertrag für die nächste Phase des Auftrags besiegelt und weitere Budget-Milliarden für die beteiligten Konzerne freigegeben.
„FCAS wird den Standort Immenstaad in den nächsten Jahren und Jahrzehnten prägen. Wir
rechnen mit einem hohen Stellenzuwachs durch diesen Auftrag“, prognostizierte Pilz, der Airbus im Mai verlässt und als Technischer Direktor zur Europäischen Raumfahrtagentur ESA ins niederländische Noordwijk wechselt. Das über viele Jahre stagnierende Verteidigungsgeschäft bei Airbus Defence and Space sieht der Manager angesichts der veränderten geopolitischen Lage vor einem Wachstumsschub.
Neben FCAS ist der Standort Immenstaad nämlich auch an der Entwicklung der Eurodrohne beteiligt. Wesentliche Komponenten für die unbemannten Luftfahrzeuge kommen vom Bodensee. Zudem dürfte es künftig mehr militärisch orientierte Raumfahrtprogramme geben. Davon ist Pilz-Nachfolger Andreas Lindenthal überzeugt. „Der von den Amerikanern Anfang 2022 dokumentierte Truppenaufmarsch Russlands an der Grenze zur Ukraine hat eindrucksvoll gezeigt, welche Möglichkeiten die Raumfahrt dafür bietet. Sie kann wichtige strategische Beiträge zur Lösung globaler Herausforderungen leisten“, sagte Lindenthal. Aktuell machten militärische Anwendung nach Aussage von Pilz und Lindenthal rund die
Hälfte des Geschäfts von Airbus am Bodensee aus.
In den vergangenen Jahren profitierte der Standort vor allem von wissenschaftlichen Raumfahrtmissionen – das Erdbeobachtungsund Überwachungsprogramm Copernicus der ESA beispielsweise hat Immenstaad gut gefüllte Auftragsbücher beschert. An fast allen Satelliten, die zurzeit im All kreisen, waren die Ingenieure vom Bodensee beteiligt. 2022 wurden drei weitere Sentinel-Klimasatelliten für die Copernicus-Mission fertiggestellt. Diese lagern aktuell in speziellen Zelten innerhalb des neu gebauten 2000 Quadratmeter großen Reinraums auf dem Firmengelände und warten auf ihren Einsatz.
Ein Meilenstein war zudem der Auftrag von sechs Galileo-Navigationssatelliten der zweiten Generation, mit dem Lindenthal zufolge für Airbus auch ein „Paradigmenwechsel in der Produktion“einhergeht. War man bislang auf Einzelfertigungen spezialisiert müsse man bei Galileo nun in „Serie produzieren“, zumal Airbus auf die Beauftragung für mindestens neun weitere Galileo-Satelliten hofft. „Das bedeutet unter anderem, Design- und Produktionsprozesse
anzupassen“, erklärte Lindenthal. Der Raumfahrtsparte bescheinigten beide Manager ebenfalls „gute Perspektiven“– und machten das vor allem am ESA-Budget fest, das auf der Ministerkonferenz der Weltraumagentur Ende November 2022 verabschiedet wurde.
Das wurde für den Zeitraum bis 2025 um mehr als zwei Milliarden Euro auf 17 Milliarden Euro angehoben. Der hohe deutsche Beitrag von 3,5 Milliarden Euro dürfte dafür sorgen, dass deutsche Firmen mit einer ordentlichen Beauftragung rechnen können. Denn üblicherweise werden die Aufträge im Proporz zu den Beiträgen der Mitgliedsstaaten vergeben. Ein „äußerst positives Signal für uns und für die Branche“, sagte Pilz.
Hoffnungen machen sich die beiden Airbus-Manager unter anderem bei der LISA-Mission („Laser Interferometer Space Antenna“), die noch in diesem Jahr ausgeschrieben werden soll. LISA besteht aus drei Satelliten, die der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne folgen und Gravitationswellen messen, wie sie bei großen astrophysikalischen Ereignissen wie der Verschmelzung von Neutronensternen oder von Schwarzen Löchern entstehen.