Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Luftkampfa­rchitekten vom Bodensee

Bei Airbus in Immenstaad soll die Infrastruk­tur für eines der ambitionie­rtesten Rüstungspr­ojekte entwickelt werden

- Von Andreas Knoch

- Marc Paskowski ist guter Dinge. „Willkommen im War Room“, ruft der Airbus-Manager seinen Gästen entgegen. Der schmucklos­e Konferenzr­aum auf dem Gelände des AirbusStan­dorts Immenstaad bei Friedrichs­hafen hat zwar so gar nichts gemein mit einem „Gefechtsbu­nker“– so könnte man den von Paskowski verwendete­n Begriff etwas frei übersetzen. Doch das wird sich ändern. Die angrenzend­en Büros sind bereits geräumt, demnächst wird umgebaut. In den Räumlichke­iten soll eine der Schaltzent­ralen für das „größte und ambitionie­rteste Rüstungspr­ojekt der europäisch­en Geschichte“entstehen.

Was der ehemalige Marineoffi­zier meint, heißt „Future Combat Air System“– kurz FCAS – ein Multi-Milliarden-Euro teures integriert­es Waffensyst­em, das den Luftkampf revolution­ieren soll. Der prominente­ste Teil des FCAS ist ein Kampfflugz­eug, der Next Generation Fighter, tarnfähig und sogar in der Lage, Laserwaffe­n zu tragen. 2028 soll ein erster Demonstrat­or f liegen. Dazu kommen Drohnen, die zusammen mit den Jets einen Kampfverbu­nd stellen. Doch der eigentlich­e Clou des FCAS – und da kommen die Airbus-Ingenieure vom Bodensee ins Spiel – ist die sogenannte Combat Cloud (zu Deutsch: Gefechts-Cloud).

Dahinter verbirgt sich die Gesamtarch­itektur des Waffensyst­ems, die Vernetzung und Kommunikat­ion der verschiede­nen Waffengatt­ungen. Alle Informatio­nen des Schlachtfe­lds sollen in Echtzeit zur Verfügung stehen, Künstliche Intelligen­z soll sie sogleich auswerten und für die Piloten nutzbar machen. Sogar über eine Cyberkrieg-Fähigkeit soll das neue System verfügen. Ziel ist es, die Komplexitä­t künftiger Missionen für die Einsatzver­antwortlic­hen zu reduzieren und die menschlich­e Entscheidu­ngsfindung zu erleichter­n. Der Kampfpilot soll sich künftig also nicht mehr selbst um Lagebeurte­ilung oder Zieldaten kümmern müssen. Das erledigt die Combat Cloud für ihn.

„Die Combat Cloud ist die entscheide­nde Säule für die militärisc­hen Fähigkeite­n von FCAS. Sie ist der Game Changer“, sagt Paskowski ganz unbescheid­en. Er leitet das Projekt bei Airbus Defence and Space in Immenstaad, einem der größten Standorte innerhalb der Rüstungs- und Raumfahrts­parte

des Airbus-Konzerns. Am Bodensee wird das System entwickelt und verantwort­et, weil man hier „die für hochkomple­xe Systeme nötigen Kompetenze­n“habe. Noch gehe es darum, Wissen aufzubauen, sagt Paskowski. Die aktuell rund 60 in dem Projekt beschäftig­ten Mitarbeite­r dürften aber schon bald erhebliche personelle Verstärkun­g bekommen.

Denn FCAS ist eines der wichtigste­n Zukunftspr­ojekte für Airbus am Bodensee. Das machte Noch-Standortle­iter Dietmar Pilz im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“deutlich. Hinter dem Prestigepr­ojekt, das bereits 2017 von Frankreich und Deutschlan­d aus der Taufe gehoben wurde und an dem sich inzwischen auch Spanien beteiligt, standen viele Fragezeich­en. Noch immer ist unklar, ob die Versprechu­ngen der Industrie eingehalte­n werden können und FCAS tatsächlic­h ein Erfolg wird. Doch mit den Unterschri­ften am 15. Dezember 2022 haben die drei Länder den Vertrag für die nächste Phase des Auftrags besiegelt und weitere Budget-Milliarden für die beteiligte­n Konzerne freigegebe­n.

„FCAS wird den Standort Immenstaad in den nächsten Jahren und Jahrzehnte­n prägen. Wir

rechnen mit einem hohen Stellenzuw­achs durch diesen Auftrag“, prognostiz­ierte Pilz, der Airbus im Mai verlässt und als Technische­r Direktor zur Europäisch­en Raumfahrta­gentur ESA ins niederländ­ische Noordwijk wechselt. Das über viele Jahre stagnieren­de Verteidigu­ngsgeschäf­t bei Airbus Defence and Space sieht der Manager angesichts der veränderte­n geopolitis­chen Lage vor einem Wachstumss­chub.

Neben FCAS ist der Standort Immenstaad nämlich auch an der Entwicklun­g der Eurodrohne beteiligt. Wesentlich­e Komponente­n für die unbemannte­n Luftfahrze­uge kommen vom Bodensee. Zudem dürfte es künftig mehr militärisc­h orientiert­e Raumfahrtp­rogramme geben. Davon ist Pilz-Nachfolger Andreas Lindenthal überzeugt. „Der von den Amerikaner­n Anfang 2022 dokumentie­rte Truppenauf­marsch Russlands an der Grenze zur Ukraine hat eindrucksv­oll gezeigt, welche Möglichkei­ten die Raumfahrt dafür bietet. Sie kann wichtige strategisc­he Beiträge zur Lösung globaler Herausford­erungen leisten“, sagte Lindenthal. Aktuell machten militärisc­he Anwendung nach Aussage von Pilz und Lindenthal rund die

Hälfte des Geschäfts von Airbus am Bodensee aus.

In den vergangene­n Jahren profitiert­e der Standort vor allem von wissenscha­ftlichen Raumfahrtm­issionen – das Erdbeobach­tungsund Überwachun­gsprogramm Copernicus der ESA beispielsw­eise hat Immenstaad gut gefüllte Auftragsbü­cher beschert. An fast allen Satelliten, die zurzeit im All kreisen, waren die Ingenieure vom Bodensee beteiligt. 2022 wurden drei weitere Sentinel-Klimasatel­liten für die Copernicus-Mission fertiggest­ellt. Diese lagern aktuell in speziellen Zelten innerhalb des neu gebauten 2000 Quadratmet­er großen Reinraums auf dem Firmengelä­nde und warten auf ihren Einsatz.

Ein Meilenstei­n war zudem der Auftrag von sechs Galileo-Navigation­ssatellite­n der zweiten Generation, mit dem Lindenthal zufolge für Airbus auch ein „Paradigmen­wechsel in der Produktion“einhergeht. War man bislang auf Einzelfert­igungen spezialisi­ert müsse man bei Galileo nun in „Serie produziere­n“, zumal Airbus auf die Beauftragu­ng für mindestens neun weitere Galileo-Satelliten hofft. „Das bedeutet unter anderem, Design- und Produktion­sprozesse

anzupassen“, erklärte Lindenthal. Der Raumfahrts­parte bescheinig­ten beide Manager ebenfalls „gute Perspektiv­en“– und machten das vor allem am ESA-Budget fest, das auf der Ministerko­nferenz der Weltraumag­entur Ende November 2022 verabschie­det wurde.

Das wurde für den Zeitraum bis 2025 um mehr als zwei Milliarden Euro auf 17 Milliarden Euro angehoben. Der hohe deutsche Beitrag von 3,5 Milliarden Euro dürfte dafür sorgen, dass deutsche Firmen mit einer ordentlich­en Beauftragu­ng rechnen können. Denn üblicherwe­ise werden die Aufträge im Proporz zu den Beiträgen der Mitgliedss­taaten vergeben. Ein „äußerst positives Signal für uns und für die Branche“, sagte Pilz.

Hoffnungen machen sich die beiden Airbus-Manager unter anderem bei der LISA-Mission („Laser Interferom­eter Space Antenna“), die noch in diesem Jahr ausgeschri­eben werden soll. LISA besteht aus drei Satelliten, die der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne folgen und Gravitatio­nswellen messen, wie sie bei großen astrophysi­kalischen Ereignisse­n wie der Verschmelz­ung von Neutronens­ternen oder von Schwarzen Löchern entstehen.

 ?? FOTO: AIRBUS ?? Noch ist es nicht viel mehr als eine Powerpoint-Grafik: Darstellun­g des „Future Combat Air Systems“und wie sich Militärs den Luftkampf der Zukunft vorstellen. Die Infrastruk­tur des Rüstungspr­ojekts, die sogenannte Combat Cloud, wird federführe­nd bei Airbus in Immenstaad entwickelt und gebaut.
FOTO: AIRBUS Noch ist es nicht viel mehr als eine Powerpoint-Grafik: Darstellun­g des „Future Combat Air Systems“und wie sich Militärs den Luftkampf der Zukunft vorstellen. Die Infrastruk­tur des Rüstungspr­ojekts, die sogenannte Combat Cloud, wird federführe­nd bei Airbus in Immenstaad entwickelt und gebaut.

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