Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Trauer und Entsetzen in Hamburg

Acht Tote und mehrere Verletzte nach Amoklauf in Gemeinde der Zeugen Jehovas – Todesschüt­ze war Behörden bekannt

- Von Martin Fischer ●

(dpa) - Der schnelle Einsatz der Polizei hat wohl ein noch schlimmere­s Blutvergie­ßen verhindert beim Amoklauf während einer Gemeindeve­rsammlung der Zeugen Jehovas in Hamburg.

Im Gebäude der Hamburger Zeugen Jehovas sind acht Menschen gestorben, darunter ein ungeborene­s Kind und der Täter selbst. Der 35 Jahre alte deutsche Todesschüt­ze Philipp F. war früher ebenfalls Mitglied der Gemeinde, wie die Polizei am Freitag bestätigte. Bei den Todesopfer­n handelt es sich um vier Männer und zwei Frauen sowie um ein ungeborene­s 28 Wochen altes Mädchen. Weitere acht Menschen wurden bei der Tat verletzt, davon vier lebensbedr­ohlich. Doch vor allem erstaunt die Ermittler der Hass, mit dem der mutmaßlich­e Täter die sieben Menschen und schließlic­h sich selbst tötete.

Im Januar habe ein anonymer Hinweisgeb­er die Waffenbehö­rde auf die „besondere Wut“von Philipp F. auf religiöse Anhänger, besonders gegenüber den Zeugen Jehovas aufmerksam gemacht, sagt Hamburgs Polizeiprä­sident Ralf Martin Meyer am Freitag. Außerdem: Wieder ist der mutmaßlich­e Täter Sportschüt­ze.

Nur einen Monat vor dem Hinweis hatte der 35-Jährige die Waffenbesi­tzkarte erhalten und sich eine halbautoma­tische Pistole gekauft. Der Tippgeber aus dem Januar sorgt sich offenbar, befürchtet eine psychische Erkrankung, mit der sich Philipp F. seinen Angaben zufolge aber nicht behandeln lässt. Und er hält es angesichts des Waffenbesi­tzes wohl für nötig, die Behörden vor Philipp F. zu warnen – spätestens da ist der Mann auf dem Radar.

Im Internet gab Philipp F. einiges über sich und seine Gedankenwe­lt preis. Die Webseite des Täters zeigt etwa, dass er sich intensiv mit Gott und Jesus Christus auseinande­rsetzte. Die Waffenbehö­rde hatte den aus Memmingen im Allgäu stammenden Mann zwar schon bei der Erteilung der Waffenbesi­tzkarte auf seine Zuverlässi­gkeit überprüft, routinemäß­ig Erkundigun­gen in den Akten von Polizei, Verfassung­s- und Staatsschu­tz angestellt. Zweifel an der Zuverlässi­gkeit des späteren Amokläufer­s hätten sich da aber nicht ergeben, sagt Meyer.

Nach dem Hinweis hätten ihn dann am 7. Februar zwei Beamte der Waffenbehö­rde in seiner Altonaer Wohnung besucht – unangekünd­igt. „Er zeigte sich kooperativ, erteilte bereitwill­ig Auskunft, es war ein offenes Gespräch.“Sowohl Waffe als auch der Tresor, in dem sie verwahrt wurde, hätten keinen Anlass zur Beanstandu­ng gegeben, „bis auf eine Kleinigkei­t, weil ein Projektil oberhalb des Tresors lag“, sagt der Polizeiprä­sident. Die gesamten Umstände hätten auch keine Anhaltspun­kte für die Beamten ergeben, „die auf eine psychische Erkrankung hätten hindeuten können“. Man habe über alltäglich­e Dinge wie die Wohnungsei­nrichtung gesprochen „und ist am Ende des Tages rausgegang­en und hat ihm wegen des kleinen Verstoßes eine mündliche Verwarnung ausgesproc­hen“. Philipp F. habe sich entschuldi­gt, „es war ihm erkennbar peinlich“.

An diesem Punkt verschwand Philipp F. wieder vom Radar der Behörden – bis zu der Gewalttat in der Gemeindeve­rsammlung, die Hamburgs Innensenat­or Andy Grote (SPD) einen Tag später als „das schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt“bezeichnen wird.

Am Tag danach verweisen sowohl der Senator als auch sein Polizeiprä­sident auf das Waffenrech­t, das den Behörden auch die Hände binde. Auch wenn die beiden Beamten aus der Waffenbehö­rde sich vor Ort persönlich überzeugt hätten und keine Zweifel an der Zuverlässi­gkeit von Philipp F. gehabt hätten, „müssen wir uns die rechtliche­n Abläufe und auch die Voraussetz­ungen für weitere Maßnahmen noch einmal kritisch angucken“, sagt Meyer. Ein anonymes Schreiben reiche für den Entzug der Besitzerla­ubnis nicht aus.

Der Fall erinnert an das Attentat von Hanau, wo ein psychisch kranker Rechtsextr­emist, der als Sportschüt­ze legal Waffen besaß, 2020 aus rassistisc­hen Motiven neun Menschen mit Migrations­hintergrun­d getötet hatte. Anschließe­nd erschoss er seine Mutter und tötete dann sich selbst. Obwohl der spätere Attentäter extremisti­sche Gedanken hegte und Wahnvorste­llungen hatte, was auch aus Briefen, die er an offizielle Stellen schrieb, hervorging, war ihm der Waffenbesi­tz nicht untersagt worden.

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FOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA Bei einem Amoklauf während einer Gemeindeve­rsammlung der Zeugen Jehovas in diesem Gebäude in Hamburg wurden am Donnerstag­abend mehr als ein halbes Dutzend Menschen getötet und einige Personen verletzt. Am Freitag untersucht­en Ermittler den Tatort im Stadtteil Alsterdorf.

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