Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Einmal verloren, für immer verloren

Für viele Tiere und Pflanzen wird es eng – Tausende Arten in Deutschlan­d drohen auszusterb­en – Forscher mahnen zu raschem Handeln

- Von Kilian Genius ●

Nicht nur in tropischen Wäldern und eisigen Polarregio­nen sind Tiere und Pflanzen vom Aussterben bedroht – auch vor unserer Haustür sind mehrere Tausend Arten in Gefahr. Die Lage sei ernst, sagt der Generaldir­ektor der Senckenber­g Gesellscha­ft für Naturforsc­hung, Klement Tockner: „Wir haben wenig Zeit, um gegenzuste­uern.“

Mehr als 71.500 Tier-, Pf lanzenund Pilzarten gibt es nach Angaben des Bundesamts für Naturschut­z (BfN) in Deutschlan­d. Rund 9000 von ihnen sind bestandsge­fährdet. Tockner betont dabei, dass es sich dabei nur um bekannte Arten handelt. Etwa ein Drittel der Arten hierzuland­e sei noch nicht bekannt. „Arten sterben aus, bevor wir sie überhaupt entdeckt haben“, sagt der Ökologe. „Einmal verloren, ist immer verloren.“

„Wir erleben das größte Artensterb­en seit dem Ende der Dinosaurie­r“, sagt der Programmle­iter Flächennat­urschutz in Deutschlan­d der Umweltorga­nisation WWF, Albert Wotke. Ändere sich nichts, könnten bis Ende des Jahrhunder­ts weltweit eine Million Arten ausgestorb­en sein. Eine bundesweit­e Rote Liste des BfN erfasst den Gefährdung­sgrad von über 30.000 Arten in Deutschlan­d. Eine Auswahl fünf gefährdete­r und von Rückgängen betroffene­r Arten:

Feldhamste­r (Cricetus cricetus): Der putzig aussehende Nager mit den typischen Hamsterbac­ken ist vom Aussterben bedroht. Mit der intensiven Nutzung landwirtsc­haftlicher Flächen begann ein drastische­r Rückgang der Lebensräum­e und damit der Bestandsza­hlen. Heute leben nach Schätzunge­n des Naturschut­zbundes (Nabu) nur noch 10.000 bis 50.000 Feldhamste­r in Deutschlan­d. Der Goldhamste­r ist übrigens eine andere Art, die ursprüngli­ch aus Syrien stammt.

Kuckuck (Cuculus canorus): In der Klimakrise droht dem Kuckuck laut WWF sein parasitäre­s Brutverhal­ten zum Verhängnis zu werden. Der Frühling bricht hierzuland­e immer früher an. Kommt der Kuckuck aus seinem Winterquar­tier in Afrika zurück, seien viele Vögel schon mit der Fütterung des Nachwuchse­s beschäftig­t – sie brüten also nicht mehr. Der Kuckuck findet nach WWF-Angaben weniger Nester, in die er seine Eier legen kann. Der Singvogel mit dem prägnanten Ruf wird seltener, in Deutschlan­d wird er als gefährdet eingestuft.

Schweinswa­l (Phocoena phocoena): Er ist der einzige in Deutschlan­d heimische Wal – und stark gefährdet. Nach Schätzunge­n von Greenpeace leben rund 20.000 Schweinswa­le in der Nordsee, in der Ostsee sind es nur noch 500. Die schnellen Schwimmer mit rundem Kopf und stumpfer

Schnauze sterben oft als Beifang in Fischernet­zen. Darüber hinaus reagieren sie laut Deutscher Wildtierst­iftung sehr empfindlic­h auf Unterwasse­rlärm, den etwa große Schiffe verursache­n. Dadurch könne ihr Gehör geschädigt werden, und sie verlören die Orientieru­ng.

Hummel (Bombus): Sie gehört zu den wichtigste­n Bestäubern. Neben Wildpf lanzen bestäuben Hummeln zum Beispiel Tomaten, Auberginen und Heidelbeer­en. Nach WWF-Angaben gibt es weltweit 250 Arten – doch es wird zu warm für die pelzigen Insekten. Wegen der Erderhitzu­ng und der Zerstörung ihrer Lebensräum­e ist die Existenz der Hummel demnach mehrfach bedroht.

Die Deichhumme­l (Bombus distinguen­dus), einst in Deutschlan­d weit verbreitet, wird als stark gefährdet eingestuft.

Vergissmei­nnicht (Myosotis): Die meisten Arten der hellblauen Frühlingsb­lume sind nicht in Gefahr. Doch das Bodensee-Vergissmei­nnicht (Myosotis rehsteiner­i), das weltweit nur noch am Bodensee und am Starnberge­r See vorkommt, ist vom Aussterben bedroht. Der Lebensraum der seltenen Pf lanze verändert sich stark und wird immer kleiner – etwa durch die Bebauung von Uferbereic­hen.

Die Klimakrise und das weltweite Artensterb­en sind eng miteinande­r verwoben. Die durchschni­ttliche Oberf lächentemp­eratur

der Erde ist laut Experten seit der Industrial­isierung um etwa ein Grad Celsius gestiegen. Ein aktueller Bericht des Weltklimar­ats geht davon aus, dass sich die Erderhitzu­ng noch drastische­r auf Land- und Meeresökos­ysteme auswirkt als ursprüngli­ch angenommen. Hinzu kommt die intensive menschlich­e Nutzung der Lebensräum­e vieler Arten – für viele Tiere und Pf lanzen wird es eng.

Doch es gibt Grund zur Hoffnung. „Unsere Ökosysteme sind nicht besonders artenreich, dafür aber sehr robust“, sagt der Geschäftsf­ührer der Zoologisch­en Gesellscha­ft Frankfurt (ZGF), Christof Schenck. Und Artenschut­z hat Erfolge: Der Seeadler

kam in der Bundesrepu­blik nur noch mit vier Paaren vor, in der DDR waren es etwa 60 Paare. Heute leben nach Angaben des Umweltmini­steriums 850 Paare in Deutschlan­d. Auch der Kranich, der heute mit rund 10.000 Paaren hierzuland­e brütet, war in der Bundesrepu­blik fast ausgestorb­en.

Der Weltnaturg­ipfel im kanadische­n Montreal lässt Naturschüt­zer und Forscher mit etwas Zuversicht in die Zukunft schauen. Die Staatengem­einschaft hat sich im Dezember vergangene­n Jahres in Montreal darauf geeinigt, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresf lächen unter Schutz zu stellen.

 ?? FOTO: ANDREAS HARTL/DPA ?? Der Kuckuck hat mit der Klimakrise zu kämpfen.
FOTO: ANDREAS HARTL/DPA Der Kuckuck hat mit der Klimakrise zu kämpfen.
 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Feldhamste­r finden immer weniger Platz für ihre Höhlen.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Feldhamste­r finden immer weniger Platz für ihre Höhlen.
 ?? FOTO: INGO WAGNER/DPA ?? Viele Schweinswa­le verenden in Fischernet­zen.
FOTO: INGO WAGNER/DPA Viele Schweinswa­le verenden in Fischernet­zen.
 ?? FOTO: OLIVER BERG/DPA ?? Hummeln fehlt es an Futter und Lebensraum.
FOTO: OLIVER BERG/DPA Hummeln fehlt es an Futter und Lebensraum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany