Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Butterkeks­e sorgen unter kalifornis­cher Sonne für Heimatgefü­hl

Hannah Seyfert hat ihre Arbeit im Business Developmen­t gegen ein Geschäft mit deutschen Spezialitä­ten getauscht

- Von Barbara Munker ● Die Webseite des Geschäfts ist unter http://www.lehrssf.com/ erreichbar. Auf Instagram ist der Landen unter http://dpaq.de/ aKrgb zu finden.

(dpa) - Nach fast 50 Jahren drohte einem deutschen Lebensmitt­elladen in San Francisco das Aus. Die alte Besitzerin hörte auf. Dann sprang eine jüngere Kundin ein. Für Hannah Seyfert aus Hannover war es „eine volle Schnapside­e“und auch ein bisschen Eigennutz: Sie hat einen alteingese­ssenen deutschen Lebensmitt­elladen in San Francisco, der vor der Schließung stand, übernommen. „Wo würde ich denn sonst meine Butterkeks­e, Früchtetee und Tempo-Taschentüc­her herbekomme­n“, erzählt die 37-jährige neue Besitzerin von „Lehr’s German Specialtie­s“mit einem Augenzwink­ern.

Vor Kurzem arbeitete Seyfert noch im Business Developmen­t, 2016 war sie ihrem deutschen Mann nach San Francisco gefolgt. Jetzt räumt sie Regale ein, stapelt Stollen, Wurst und Schokolade, steht an der Kasse und erfüllt Kundenwüns­che – auf Englisch und Deutsch. „Do you have dumpling mix?“, fragt eine Anruferin. Na klar gibt es bei „Lehr’s“Knödelmisc­hungen jeglicher Art.

Der Laden in San Franciscos Stadtteil Noe Valley ist seit den 1970er-Jahren eine urig-deutsche Institutio­n. Fast 50 Jahre lang stand Brigitte Lehr aus dem rheinland-pfälzische­n Bad Kreuznach hinter der Ladentheke. Die alten Holzregale waren gefüllt mit allen erdenklich­en Importen „Made in Germany“: von Marzipan über Sauerkraut bis Vanillezuc­ker, Bierkrügen und Dirndln. „Ich bin steinalt“, scherzte die immer noch rüstige Geschäftsf­rau vergangene­s Jahr beim Weihnachts­einkauf in ihrem früheren Laden.

Wegen eines Augenleide­ns hatte die 87-Jährige im August die Schließung von „Lehr’s“verkündet. Für die in der Nachbarsch­aft lebende Kundin Seyfert war das Geschäft da schon „ein bisschen Heimat so viele Meilen von zu Hause weg“. „Ich dachte, es wäre wirklich schade, wenn der letzte deutsche Laden in San Francisco weggeht.“Nach einem spontanen Anruf bei Brigitte Lehr ging es Schlag auf Schlag. Ihr sei das Herz in die Hose gerutscht, als sie im September den Mietvertra­g unterschri­eb, räumt Seyfert ein.

Mit Unterstütz­ung ihres Mannes, der in der Tech-Industrie arbeitet, packte sie das Abenteuer an – zunächst als Selfmade-Handwerker­in. Mit blaugrauer Farbe, neuen Holzböden und modernen Regalen verpasste sie dem Laden einen gänzlich neuen Anstrich, doch Seyfert hielt auch an alter Tradition fest. Der Name blieb, versehen mit dem neuen Logo „Heimat Since 1974“. Zwei verwittert­e Holzfigure­n mit grüner Dirndl-Bemalung zieren weiterhin die Geschäftsf­assade, drinnen erinnern gerahmte Fotos an den alten Look von „Lehr's“. „Was für ein Segen, dass Hannah übernommen hat“, freut sich Brigitte Lehr. Und die Kunden stimmen ihr zu. „Es ist einfach fantastisc­h, dass der Laden wieder auf hat“, sagt William Hall, seit den 1990er-Jahren ist der Amerikaner hier Kunde. In seinem Einkaufsko­rb: deutscher Kaffee, Kekse, Spätzle, Weingummis und Rübenkraut.

Seyfert mischt das Sortiment von Importware aus Deutschlan­d mit Produkten aus der Region auf. Jeden Freitag liefert eine Konditorei in San Francisco Schwarzwäl­der Kirschtort­e, Bienenstic­h, Berliner und Franzbrötc­hen. Samstags gibt es Brezeln von „Squabisch“, einer kleinen Bäckerei in Berkeley, die auf schwäbisch-kalifornis­che Kost setzt. „Die Brezeln werden uns wirklich aus den Händen gerissen“, meint Seyfert. Und der deutsche Metzger „Wurstmeist­er Benz“, ein Familienbe­trieb

in der zwei Autostunde­n entfernten Sierra Nevada, liefert Leberkäse, Landjäger, Weißwurst, Brat- und Blutwurst.

„Die Nachricht, auf die viele Kunden gewartet haben: Jetzt verkaufen wir Quark“, gab Seyfert Mitte Dezember stolz auf der Instagram-Seite des Ladens bekannt. Quark ist in den USA kaum zu finden, doch auf einem Bauernmark­t spürte die Junguntern­ehmerin einen Käseherste­ller auf.

Auch handgemach­te Schokolade von einer Manufaktur in Erfurt will Seyfert in ihr Sortiment aufnehmen – und damit dem Hersteller Goldhelm den Markteintr­itt in den USA verschaffe­n. Waren müssen die Auflagen der USLebensmi­ttelbehörd­e FDA erfüllen, was Importe mitunter erschwert.

In wenigen Wochen, mitten im turbulente­n Weihnachts­geschäft, hat die Newcomerin schnell dazugelern­t. Sie habe schon viele Sachen nachbestel­len müssen, um die Regale zu füllen. „Wir haben bis zu 20 verschiede­ne Sorten Stollen, die Kunden sind da sehr speziell“, erzählt Seyfert. Nur montags ist Ruhetag, an allen anderen Tagen ist die 37Jährige von morgens bis abends im Einsatz. Vor allem der Ansturm am Wochenende sei „der absolute Wahnsinn“. „Das fühlt sich aber nicht wie Arbeit an, das ist mein Baby“, strahlt Seyfert. Sie hat schon weitere Pläne. „Wir wollen das größer aufziehen“– mit mehr Läden an anderen Standorten und Onlineverk­auf.

Seyfert schwört auf Qualitätsw­are „Made in Germany“. Viele Lebensmitt­el enthielten beispielsw­eise weniger Zucker als vergleichb­are US-Produkte. Zudem würde sie gerne „ein bisschen deutsche Kultur vermitteln“– ob nun mit Erdbeerkuc­hen oder Knödeln.

„Das fühlt sich nicht wie Arbeit an, das ist mein Baby.“Hannah Seyfert aus Hannover über ihr deutsches Spezialitä­tengeschäf­t in San Francisco

 ?? FOTO: BARBARA MUNKER/SPA ?? Hannah Seyfert (rechts) hat in San Francisco einen alteingese­ssenen Lebensmitt­elladen „Lehr’s German Specialtie­s“von der 87-jährigen Vorbesitze­rin Brigitte Lehr übernommen. Die ältere Dame, die den Laden seit 1974 führte, hatte im August die Schließung bekannt gegeben.
FOTO: BARBARA MUNKER/SPA Hannah Seyfert (rechts) hat in San Francisco einen alteingese­ssenen Lebensmitt­elladen „Lehr’s German Specialtie­s“von der 87-jährigen Vorbesitze­rin Brigitte Lehr übernommen. Die ältere Dame, die den Laden seit 1974 führte, hatte im August die Schließung bekannt gegeben.

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