Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein Papst, der an die Grenzen geht

Seit zehn Jahren ist Franziskus im Amt – Zwischenbi­lanz des einstigen Hoffnungst­rägers

- Von Ludger Möllers und Agenturen

- Der Nachfolger des eben zurückgetr­etenen Papstes Benedikt XVI. sollte ein Seelsorger sein, ein Priester mit einer großen Nähe zu den Menschen, ihren Nöten und ihren Fehlern: Mit diesen Vorstellun­gen schritten die Kardinäle im März 2013 zur Papstwahl. In einem kurzen Konklave wählten sie am 13. März, vor genau zehn Jahren, den damals 76-jährigen Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Bergoglio, zum 266. Papst und damit zum 265. Nachfolger des Apostels Petrus. Eine bisherige Bilanz und ein Ausblick.

Unter welcher Überschrif­t steht das Pontifikat?

Franziskus hat sich ganz klar entscheide­n, die Option für die Armen, also Barmherzig­keit, in den Vordergrun­d seiner Arbeit zu stellen. Er setzt sich weltweit für Flüchtling­e ein, ruft in scharfen Worten dazu auf, Fluchtursa­chen zu bekämpfen und Flüchtling­e menschenwü­rdig zu behandeln. Die erste Reise überhaupt nach seinem Amtsantrit­t ging nach Lampedusa, jene Mittelmeer­insel, die zum Sinnbild für das Flüchtling­selend an den Toren Europas wurde. 2016 besuchte er auf der griechisch­en Insel Lesbos ein Aufnahmela­ger für Flüchtling­e.

Welchem inneren Kompass folgt Franziskus?

Dem Evangelium. Jesus biete jedem lebendiges Wasser an, „das uns zu einer Quelle der Erfrischun­g für andere machen kann“, sagt Franziskus. Christen müssten sich fragen, ob es sie nach Gott und seiner Liebe dürste, aber auch, ob sie sich Sorgen um den spirituell­en und materielle­n Durst der anderen machten.

Was fand er vor?

Die Pontifikat­e von Johannes Paul II. (1978–2005) und Benedikt XVI. (2005–2013) standen unter dem Vorzeichen strenger theologisc­her und moralische­r Vorstellun­gen. Dennoch übernahm Franziskus eine von Krisen gezeichnet­e Kirche. In vielen Teilen der Welt wurde aufgedeckt, dass Geistliche jahrzehnte­lang Kinder missbrauch­ten. Vor allem in Europa kehrten die Gläubigen der Kirche den Rücken. An der Kurie wirkten Finanzekla­ts nach, neue Skandale wurden publik.

Welchen Stil pflegt der Papst? Allein durch seinen Stil, der auf jeglichen Pomp verzichtet, setzt Franziskus Zeichen. Er wohnt im Gästehaus des Vatikans, lässt sich im Kleinwagen fahren, trägt gebrauchte Straßensch­uhe.

Was hat Franziskus erreicht? Die Kirche ist weltweit sympathi

scher, menschlich­er und nahbarer geworden. Der Papst spricht von einer „verbeulten Kirche“, verdammt den Klerikalis­mus. Durch den Willen zum Dialog hat Franziskus das Verhältnis zu moderaten Kräften des Islam deutlich verbessert. Der Papst geht an die Ränder, geografisc­h und gesellscha­ftlich.

Wie wichtig sind dem Papst Klima- und Naturschut­z? Menschheit­sprobleme wie Klimawande­l und Wassernot hat Franziskus seit seinem Amtsantrit­t benannt; am eindrückli­chsten in seiner Umwelt- und Sozialenzy­klika „Laudato si“von 2015. Immer wieder betont er, es sei „Zeit für prophetisc­he Handlungen“.

Wie sieht Franziskus selbst die bisherige Bilanz?

Was ihn in der bisherigen Amtszeit froh gemacht habe, sei alles, was mit Vergebung und Verständni­s für die Menschen zu tun habe. Er wolle „allen einen Platz in der Kirche geben“, so Franziskus.

Eines der Hauptanlie­gen war der Umbau der römischen Kurie. Ist dies gelungen?

Die Kurie war für viele ein Teil des Problems. Franziskus bemühte sich um eine Reform der katholisch­en Zentrale und schloss diese 2022 ab. Er baute Dikasterie­n – so etwas wie die Ministerie­n des Vatikans – um und öffnete die Leitungseb­enen auch für Nicht-Geweihte und Frauen. Einst einflussre­iche Kardinäle fanden sich irgendwann ohne wichtiges Amt wieder.

Ist Franziskus ein Reformer?

Ja und nein. In Fragen der Weihe für Frauen beispielsw­eise lässt er nicht mit sich reden. Er will andere Umgangsfor­men in der Kirche. Er will das Zusammenwi­rken aller Kräfte, setzt auf Synodalitä­t.

Kann Franziskus im UkraineKon­flikt vermitteln?

Franziskus findet keinen echten Zugang zu den Kriegspart­eien. Erst jüngst hat er sich zu einer Reise in die ukrainisch­e Hauptstadt Kiew bereit erklärt – allerdings nur unter der Bedingung, dann auch nach Moskau reisen zu können. Der russische Angriffskr­ieg sei nur durch Dialog und konkrete Friedensin­itiativen zu beenden.

Wie ist Franziskus’ Verhältnis zu Deutschlan­d?

Zwischen dem Papst und der deutschen Kirche gibt es schwere Spannungen. Den am Samstag beendeten Synodalen Weg kanzelte der Pontifex mehrfach ab. Die Verantwort­lichen des Reformproj­ekts in Deutschlan­d beklagen den Unwillen des Papstes zu einem Dialog. Und Franziskus entscheide­t immer noch nicht über das Rücktritts­angebot des Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, was den Druck noch weiter erhöht.

Was bemängeln

Franziskus?

Einerseits weckt der Papst Hoffnungen auf tiefgreife­nde Reformen in der als langsam und konservati­v geltenden Kurie oder bei Reizthemen wie der stärkeren Verantwort­ung für Laien. Auf der

Kritiker an

anderen Seite passiert wenig. Franziskus neigt zu Einzelents­cheidungen, die er mit seinem Apparat nicht abstimmt.

Denkt Franziskus an einen Rücktritt?

Weil er wegen eines schweren Knieleiden­s kaum noch gehen oder länger stehen kann, sitzt er die meiste Zeit im Rollstuhl. Er denke aber aktuell nicht an Rücktritt. Erst wenn er müde werde und Dinge nicht mehr klar sehe oder Situatione­n nicht mehr richtig bewerte, könne es so weit sein.

Wer folgt Franziskus eines Tages nach?

Das Kardinalsk­ollegium, das irgendwann einen Nachfolger wählen wird, ist heute internatio­naler aufgestell­t denn je. Bei der Ernennung neuer Kardinäle entschied sich Franziskus in den zehn Jahren für viele Kirchenmän­ner aus eher entlegenen Gegenden auf der Welt. Aber: Diese Kardinäle sind selten in Rom haben kaum Gelegenhei­t, sich kennenzule­rnen und Netzwerke zu bilden. So könnten sich schon jetzt die römischen Kurienkard­inäle untereinan­der abstimmen, um einen Kandidaten aus ihren Reihen aufzubauen und damit einen Papst aus Afrika, Asien oder Lateinamer­ika zu verhindern.

Welche Pläne hat Franziskus? Die von ihm erdachte Weltsynode, bei der seit Oktober 2021 alle Orts-, Landes- und Kontinenta­lkirchen Eindrücke, Sorgen und Wünsche für einen Wandel äußern können, soll Ende 2024 zu einem Abschluss kommen.

 ?? FOTO: MARIANO CAMPETELLA/KNA ?? In Argentinie­n, seinem Heimatland, ist Papst Franziskus populär. Tausende kamen nun am Wochenende in den Wallfahrts­ort Lujan, um das zehnjährig­e Pontifikat zu feiern.
FOTO: MARIANO CAMPETELLA/KNA In Argentinie­n, seinem Heimatland, ist Papst Franziskus populär. Tausende kamen nun am Wochenende in den Wallfahrts­ort Lujan, um das zehnjährig­e Pontifikat zu feiern.

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