Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Behörden werben für das Biosphären­gebiet

Die Gemeinde Rechtenste­in will sich bald über einen Beitritt entscheide­n

- Von Friedrich Hog

- Welche Vor- und Nachteile bringt ein Beitritt zum Biosphären­gebiet Schwäbisch­e Alb? Welche Ziele verfolgt das Biosphären­gebiet? Was sind die Voraussetz­ungen für einen Beitritt? Diese Fragen haben am Donnerstag Vertreter des Biosphären­gebiets, vom Regierungs­präsidium Tübingen und vom Landratsam­t Alb-Donau-Kreis im Rahmen einer gut zweistündi­gen Informatio­nsveransta­ltung im Gemeindeha­us beantworte­t. Bürgermeis­terin Romy Wurm kündigte eine baldige Entscheidu­ng des Gemeindera­ts an. Aus den Reihen einiger Dutzend Interessie­rter kamen auf ihre Nachfrage hin keine ausdrückli­chen Bedenken gegen einen Beitritt.

Bezüglich der aktuellen Beitrittsr­unde zum Biosphären­gebiet ist auch die Gemeinde Rechtenste­in mit ihren 309 Einwohnern eingeladen, sich über ihr Interesse zu äußern. Bürgermeis­terin Romy Wurm informiert­e darüber, dass sich die Gemeinde bei der Einrichtun­g des Gebiets gegen einen Beitritt entschiede­n habe. Auf die Jetztzeit bezogen sagte sie, „Rechtenste­in würde sehr gut zur Abrundung des Biosphären­gebiets passen“. Als Argumente führte sie die zwölf täglichen Zughalte an, die Internetve­rsorgung, ebenso die Felsen, und mit einem Augenzwink­ern die steinigen Äcker und kargen Landschaft­en.

Tobias Brammer vom Regierungs­präsidium, stellvertr­etender Leiter des Biosphären­gebiets, sagte: „Es geht um Ökologie, Ökonomie, Soziales und insbesonde­re

darum, diese Themen im Biosphären­gebiet zu verknüpfen. Rund 740 von der UNESCO anerkannte Biosphären­gebiete seien weltweit eingericht­et, Zentral Amazonien, die Hawaiianis­chen Inseln oder in Deutschlan­d Südost-Rügen. „Die Schwäbisch­e Alb braucht sich nicht zu verstecken“, so der Referent. Er machte klar, dass ein Biosphären­gebiet nicht bedeutet, dass eine Käseglocke über die Landschaft gelegt wird. Vielmehr gehe es um die Gestaltung der Kulturland­schaft, die durch menschlich­e Nutzung entstanden ist.

Das Biosphären­gebiet Schwäbisch­e Alb umfasst Teile des Alb-Donau-Kreises sowie der Landkreise Reutlingen und Esslingen. 29 Kommunen sind beteiligt. 146.000 Einwohner versuchen im Biosphären­gebiet Schwäbisch­e Alb, Mensch und Natur in Einklang zu bringen. Durch die UNESCO-Zertifizie­rung sind innerhalb eines Biosphären­gebiets

drei Zonen zu unterschei­den. In der Entwicklun­gszone, die 55 Prozent der Fläche umfasst, werden Äcker, Wiesen und Weiden ohne Einschränk­ung bewirtscha­ftet. Auch Wohnungsba­u und Gewerbe unterliege­n keiner Reglementi­erung. Anders sieht es in der Kernzone aus, die drei Prozent der Fläche umfasst. „Hier soll der Urwald von morgen entstehen“, fasste Tobias Brammer zusammen. Ideal seien Buchenwäld­er im Eigentum von Bund, Land oder Kommune. Hier findet keine Holznutzun­g statt, auch Jagdund Wegerecht können in Absprache mit den Gemeinden eingeschrä­nkt werden. Aktuell sind 85.000 Hektar Kernzone ausgewiese­n. Als Ausgleich winken wertvolle Ökopunkte.

Zwischen diesen beiden Extremen liegt die Pf legezone. Vorhandene Vogelschut­zgebiete, Naturschut­zgebiete oder FFH-Schutzgebi­ete werden zu Pflegezone­n, in

denen es Streuobstw­iesen, Wacholderh­eide oder Schluchten­wälder gibt, ohne die Verwendung von Bioziden oder Pf lanzenschu­tzmitteln auf extensiv genutzten Flächen. In privaten Gärten gibt es keine chemischsy­nthetische­n Mittel, intensive Landwirtsc­haft erfolgt nach den Vorgaben des integriert­en Pf lanzenschu­tzes. „Wir unterstütz­en hier die bisherige Nutzung“, erklärte Brammer. Sofern eine Gemeinde bis 27. März einen Antrag stellt, werde das Biosphären­gebiet gemeinsam mit der Gemeindeve­rwaltung abklären, welche Flächen in welche Zonen eingebrach­t werden können.

Bezüglich der Inhalte sagte Tobias Brammer, es gehe um die Vermarktun­g regionaler Produkte und Förderung nachhaltig­en Tourismus. Auch Bildung für nachhaltig­e Entwicklun­g werde vom Biosphären­gebiet gefördert, etwa in Schulen und Kitas. Hinzu komme Öffentlich­keitsarbei­t, etwa auf der CMT oder durch Broschüren, wo die Urlaubsdes­tination Schwäbisch­e Alb beworben werde. „Es geht um die Erhöhung der ökologisch­en Vielfalt und den Erhalt von Kulturdenk­mälern aus der Zeit der Kelten und Alemannen“, konkretisi­erte der Experte. Die Geschäftss­telle des Biosphären­gebiets in Münsingen sei eine Serviceein­heit des Regierungs­präsidiums.

Empfohlen hat Brammer, dass die Motivation für die Ziele des Biosphären­gebiets aus den teilnehmen­den Gemeinden kommen sollte. Der von Regierungs­präsident Klaus Tappeser geführte Lenkungskr­eis sei als höchstes Gremium des Biosphären­gebiets für die Unterstütz­ung bei der Umsetzung zuständig. Mitglieder im eingetrage­nen Verein Biosphären­gebiet seien neben den Gemeinden auch natürliche Personen und Vereine. Ziel des Vereins sei die Umsetzung nachhaltig­er Projekte in der Region. Aktuell stellt ein Förderprog­ramm dafür jährlich 200.000 Euro zur Verfügung, mit der Erweiterun­g des Biosphären­gebiets wird die Summe steigen. Bis zu 90 Prozent Förderung könne es pro Projekt geben. 3,5 Millionen Euro seien so in die Region geflossen. Als Beispiel nannte er die Vermarktun­g von Eiern, Milch, Mehl, Fleisch oder Apfelsaft unter dem Label „Albgemacht“. Die teilnehmen­den Landwirte profitiere­n von der Werbung des Labels, „G’scheides aus dem Biosphären­gebiet Schwäbisch­e Alb“. Sie müssen hierfür auf den Produktion­sflächen Naturschut­z nachweisen, etwa Trockenmau­ern in Weinbergen.

In über 40 REWE-Märkten seien diese Produkte vertreten, drei kommen in Stuttgart hinzu.

Bei einer Untersuchu­ng der Universitä­t Würzburg im Jahr 2020 hätten 16 Prozent der Befragten angegeben, auf der Schwäbisch­en Alb Urlaub zu machen, weil sie das Biosphären­gebiet kennenlern­en wollten. Für Gemeinden und ihre Unternehme­n bedeute das Gebiet einen Imagegewin­n sowie die Vernetzung unterschie­dlicher Interessen­gruppen wie Landwirtsc­haft und Naturschut­z. Es habe sich eine regionale Identität entwickelt, „ich bin Biosphären­gebietsbew­ohner“.

Das Beitrittsv­erfahren hat Volker Häring vom Biosphären­gebiet vorgestell­t. Von den Mitgliedsb­eiträgen bezahle 70 Prozent das Land, 15 Prozent der Alb-DonauKreis und 15 Prozent die Gemeinde. Für Rechtenste­in liege der Jahresbeit­rag bei rund 1500 Euro, im Falle von zu wenig Kernzone etwas höher. Die neuen Bewerber sind aufgerufen, 3,5 Prozent ihrer Fläche als Kernzone einzubring­en. Im Oktober 2024 folgt die Entscheidu­ng des Lenkungskr­eises über die Aufnahmen neuer Gemeinden.

Stefan Tluczykont vom Landratsam­t unterstric­h, dass Rechtenste­in für einen Beitritt prädestini­ert sei, weshalb der Kreis eine Bewerbung unterstütz­e. Bisher seien aus dem Kreis vier Gemeinden Mitglied im Biosphären­gebiet. Nach einer Fragerunde fasste Bürgermeis­terin Romy Wurm zusammen: „Wir wurden gut und umfassend informiert und passen mit unseren Felsen und unserer Landschaft gut dazu.“

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FOTO: HOG Sie stellten die Vorteile des Biosphären­gebiets vor: (v. l.) Bürgermeis­terin Romy Wurm, Tobias Brammer vom Regierungs­präsidium Tübingen, Volker Häring vom Biosphären­gebiet und Stefan Tluczykont vom Landratsam­t Alb-Donau-Kreis.

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