Behörden werben für das Biosphärengebiet
Die Gemeinde Rechtenstein will sich bald über einen Beitritt entscheiden
- Welche Vor- und Nachteile bringt ein Beitritt zum Biosphärengebiet Schwäbische Alb? Welche Ziele verfolgt das Biosphärengebiet? Was sind die Voraussetzungen für einen Beitritt? Diese Fragen haben am Donnerstag Vertreter des Biosphärengebiets, vom Regierungspräsidium Tübingen und vom Landratsamt Alb-Donau-Kreis im Rahmen einer gut zweistündigen Informationsveranstaltung im Gemeindehaus beantwortet. Bürgermeisterin Romy Wurm kündigte eine baldige Entscheidung des Gemeinderats an. Aus den Reihen einiger Dutzend Interessierter kamen auf ihre Nachfrage hin keine ausdrücklichen Bedenken gegen einen Beitritt.
Bezüglich der aktuellen Beitrittsrunde zum Biosphärengebiet ist auch die Gemeinde Rechtenstein mit ihren 309 Einwohnern eingeladen, sich über ihr Interesse zu äußern. Bürgermeisterin Romy Wurm informierte darüber, dass sich die Gemeinde bei der Einrichtung des Gebiets gegen einen Beitritt entschieden habe. Auf die Jetztzeit bezogen sagte sie, „Rechtenstein würde sehr gut zur Abrundung des Biosphärengebiets passen“. Als Argumente führte sie die zwölf täglichen Zughalte an, die Internetversorgung, ebenso die Felsen, und mit einem Augenzwinkern die steinigen Äcker und kargen Landschaften.
Tobias Brammer vom Regierungspräsidium, stellvertretender Leiter des Biosphärengebiets, sagte: „Es geht um Ökologie, Ökonomie, Soziales und insbesondere
darum, diese Themen im Biosphärengebiet zu verknüpfen. Rund 740 von der UNESCO anerkannte Biosphärengebiete seien weltweit eingerichtet, Zentral Amazonien, die Hawaiianischen Inseln oder in Deutschland Südost-Rügen. „Die Schwäbische Alb braucht sich nicht zu verstecken“, so der Referent. Er machte klar, dass ein Biosphärengebiet nicht bedeutet, dass eine Käseglocke über die Landschaft gelegt wird. Vielmehr gehe es um die Gestaltung der Kulturlandschaft, die durch menschliche Nutzung entstanden ist.
Das Biosphärengebiet Schwäbische Alb umfasst Teile des Alb-Donau-Kreises sowie der Landkreise Reutlingen und Esslingen. 29 Kommunen sind beteiligt. 146.000 Einwohner versuchen im Biosphärengebiet Schwäbische Alb, Mensch und Natur in Einklang zu bringen. Durch die UNESCO-Zertifizierung sind innerhalb eines Biosphärengebiets
drei Zonen zu unterscheiden. In der Entwicklungszone, die 55 Prozent der Fläche umfasst, werden Äcker, Wiesen und Weiden ohne Einschränkung bewirtschaftet. Auch Wohnungsbau und Gewerbe unterliegen keiner Reglementierung. Anders sieht es in der Kernzone aus, die drei Prozent der Fläche umfasst. „Hier soll der Urwald von morgen entstehen“, fasste Tobias Brammer zusammen. Ideal seien Buchenwälder im Eigentum von Bund, Land oder Kommune. Hier findet keine Holznutzung statt, auch Jagdund Wegerecht können in Absprache mit den Gemeinden eingeschränkt werden. Aktuell sind 85.000 Hektar Kernzone ausgewiesen. Als Ausgleich winken wertvolle Ökopunkte.
Zwischen diesen beiden Extremen liegt die Pf legezone. Vorhandene Vogelschutzgebiete, Naturschutzgebiete oder FFH-Schutzgebiete werden zu Pflegezonen, in
denen es Streuobstwiesen, Wacholderheide oder Schluchtenwälder gibt, ohne die Verwendung von Bioziden oder Pf lanzenschutzmitteln auf extensiv genutzten Flächen. In privaten Gärten gibt es keine chemischsynthetischen Mittel, intensive Landwirtschaft erfolgt nach den Vorgaben des integrierten Pf lanzenschutzes. „Wir unterstützen hier die bisherige Nutzung“, erklärte Brammer. Sofern eine Gemeinde bis 27. März einen Antrag stellt, werde das Biosphärengebiet gemeinsam mit der Gemeindeverwaltung abklären, welche Flächen in welche Zonen eingebracht werden können.
Bezüglich der Inhalte sagte Tobias Brammer, es gehe um die Vermarktung regionaler Produkte und Förderung nachhaltigen Tourismus. Auch Bildung für nachhaltige Entwicklung werde vom Biosphärengebiet gefördert, etwa in Schulen und Kitas. Hinzu komme Öffentlichkeitsarbeit, etwa auf der CMT oder durch Broschüren, wo die Urlaubsdestination Schwäbische Alb beworben werde. „Es geht um die Erhöhung der ökologischen Vielfalt und den Erhalt von Kulturdenkmälern aus der Zeit der Kelten und Alemannen“, konkretisierte der Experte. Die Geschäftsstelle des Biosphärengebiets in Münsingen sei eine Serviceeinheit des Regierungspräsidiums.
Empfohlen hat Brammer, dass die Motivation für die Ziele des Biosphärengebiets aus den teilnehmenden Gemeinden kommen sollte. Der von Regierungspräsident Klaus Tappeser geführte Lenkungskreis sei als höchstes Gremium des Biosphärengebiets für die Unterstützung bei der Umsetzung zuständig. Mitglieder im eingetragenen Verein Biosphärengebiet seien neben den Gemeinden auch natürliche Personen und Vereine. Ziel des Vereins sei die Umsetzung nachhaltiger Projekte in der Region. Aktuell stellt ein Förderprogramm dafür jährlich 200.000 Euro zur Verfügung, mit der Erweiterung des Biosphärengebiets wird die Summe steigen. Bis zu 90 Prozent Förderung könne es pro Projekt geben. 3,5 Millionen Euro seien so in die Region geflossen. Als Beispiel nannte er die Vermarktung von Eiern, Milch, Mehl, Fleisch oder Apfelsaft unter dem Label „Albgemacht“. Die teilnehmenden Landwirte profitieren von der Werbung des Labels, „G’scheides aus dem Biosphärengebiet Schwäbische Alb“. Sie müssen hierfür auf den Produktionsflächen Naturschutz nachweisen, etwa Trockenmauern in Weinbergen.
In über 40 REWE-Märkten seien diese Produkte vertreten, drei kommen in Stuttgart hinzu.
Bei einer Untersuchung der Universität Würzburg im Jahr 2020 hätten 16 Prozent der Befragten angegeben, auf der Schwäbischen Alb Urlaub zu machen, weil sie das Biosphärengebiet kennenlernen wollten. Für Gemeinden und ihre Unternehmen bedeute das Gebiet einen Imagegewinn sowie die Vernetzung unterschiedlicher Interessengruppen wie Landwirtschaft und Naturschutz. Es habe sich eine regionale Identität entwickelt, „ich bin Biosphärengebietsbewohner“.
Das Beitrittsverfahren hat Volker Häring vom Biosphärengebiet vorgestellt. Von den Mitgliedsbeiträgen bezahle 70 Prozent das Land, 15 Prozent der Alb-DonauKreis und 15 Prozent die Gemeinde. Für Rechtenstein liege der Jahresbeitrag bei rund 1500 Euro, im Falle von zu wenig Kernzone etwas höher. Die neuen Bewerber sind aufgerufen, 3,5 Prozent ihrer Fläche als Kernzone einzubringen. Im Oktober 2024 folgt die Entscheidung des Lenkungskreises über die Aufnahmen neuer Gemeinden.
Stefan Tluczykont vom Landratsamt unterstrich, dass Rechtenstein für einen Beitritt prädestiniert sei, weshalb der Kreis eine Bewerbung unterstütze. Bisher seien aus dem Kreis vier Gemeinden Mitglied im Biosphärengebiet. Nach einer Fragerunde fasste Bürgermeisterin Romy Wurm zusammen: „Wir wurden gut und umfassend informiert und passen mit unseren Felsen und unserer Landschaft gut dazu.“