Eine Landebahn für den „Storch“
Im Justinger Gewann „Langer Schachen“befand sich einst ein ganz spezieller Flugplatz, der im Zweiten Weltkrieg fast zum Geheimdepot wurde
- Dass im Justinger Gewann „Langer Schachen“bis 1928 der Schachenhof mit Wohngebäude, mehreren Stadeln und Stallungen stand, ist bei einigen Älblern noch im Gedächtnis. Dass sich auf der später eingeebneten Fläche während des Zweiten Weltkrieges ein Feldf lugplatz befand, ist nur noch wenigen bekannt. Beinahe wäre nicht weit davon entfernt Ende der 1950er-Jahre noch ein großes Munitionslager der Bundeswehr gebaut worden.
Aber alles der Reihe nach. Wir haben uns auf Spurensuche gemacht. Alten Aufzeichnungen zufolge nutzen von 1943 an die Nationalsozialisten das abseits der Landesstraße 232 zwischen Ingstetten und Ennabeuren liegende ebenerdige Wiesengrundstück als Feldf lugplatz.
Auf dem 600 Meter langen und 380 Meter breiten Gelände starten und landen in der Ost-WestAchse Flugzeuge des Typs „Fieseler Fi 156 Storch“. Die Konstruktion des „Storchs“ermöglichte der Maschine eine geringe Mindestf luggeschwindigkeit von unter 50 km/h, somit verringerte sich die Start- und Landestrecke. Sobald die Flugzeuge gelandet waren, verstecken sie die Piloten unter den Buchen im Waldstück Oberes Engenbuch, wo es zwischen den Bäumen Schneisen gab. Diese Schneisen sind, wenn man genau hinschaut, heute noch erkennbar.
Bei den Piloten handelte es sich um junge Flugschüler, die der Flugzeugführerschule in Göppingen angehörten. Obwohl ein paar Monate vor Kriegsende die Schulung eingestellt wurde, starteten und landeten im Gewann „Langer Schachen“nach wie vor Flugzeuge aus Göppingen. Nämlich dann, wenn Fliegeralarm war. Sobald alliierte Luftstreitkräfte Richtung Württemberg f logen, brachten die Piloten ihre Flugzeuge vom Typ Messerschmid Me 109 in die Luft und steuerten ihre einmotorigen Jagdf lugzeuge ins rund 40 Kilometer entfernte Justingen,
wo sie ihre Maschinen unter den Bäumen verstecken.
An manchen Tagen standen dort bis zu 20 Maschinen im Wald. Es ist überliefert, dass kurz vor Kriegende am 19. und 20. April 1945 möglicherweise sechs Maschinen der „3. Panzerfauststaffel Bü 181 West“Justingen als Ausweichplatz für die ersten scharfen Einsätze gegen alliierte Bodentruppen im Raum Tübingen nutzten. Der Feldflugplatz wurde deshalb provisorisch mit Stalllaternen markiert, sodass die Piloten in der Nacht die Ausmaße der Start- und Landebahn erkennen konnten.
Drei Tage später rückten USTruppen Richtung Justingen vor und entdecken den Feldf lugplatz. Den nutzten sie wenig später für ihre eigenen Beobachtungsf lugzeuge. Im Herbst 1945 waren die
GIs bereits wieder weg. Von nun an hatte dort die französische Armee das Sagen. Zwischen Blaubeuren und Schelklingen verlief die Zonengrenze der alliierten Besatzungsmächte
Frankreich und der Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Franzosen waren Hausherr des Truppenübungsplatzes und des Alten Lagers in Münsingen.
Sie nutzen ebenfalls die Wiesen im Gewann „Langer Schachen“für ihre einmotorigen Flugzeuge als Start- und Landeplatz. Kinder und Jugendliche aus den umliegenden Dörfern bekamen die Möglichkeit, sich die Maschinen aus der Nähe anzusehen. Ab und zu durften sie sogar mitf liegen.
Anfang 1951 weihten die Militärs in knapp drei Kilometer Entfernung den neuen Feldf lugplatz (Terrain d’ Aviation) zwischen Ingstetten und Magolsheim ein, sodass sie den in Justingen nicht mehr benötigten und aufgaben.
Der 12. November 1955 war die Geburtsstunde der Bundeswehr. Da die deutschen Streitkräfte ihre scharfe Munition lagern mussten, kam die 182 Hektar große und im Herbst 1940 ihrer Bestimmung übergebene Heeresmunitionsanstalt im bayerischen Urlau im Allgäu
ins Gespräch. Am 18. Oktober 1956 schrieb die „Schwäbische Zeitung“, dass das Bundesministerium für Verteidigung von den ursprünglich angedachten Plänen, auf dem Gelände der Muna erneut eine Munitionsanlage zu erreichten, Abstand genommen habe.
Deshalb wurde die Wehrbereichsverwaltung V in Stuttgart damit beauftragt, unter strenger Geheimhaltung in Südwesten nach einem neuen Standort für ein Bundeswehrdepot Ausschau zu halten. Die Militärs wurden fündig, zwei Gelände waren im Gespräch: im Landkreis Reutlingen in Ödenwaldstetten im Gewann „Maßhalderbuch“und in Justingen (Alb-Donau-Kreis) im Gewann „Behwinde“, das sich nicht weit vom ehemaligen Feldflugplatz in nordöstlicher Richtung befand.
Letztendlich verschwanden die Pläne wieder in der Schublade. Die Wehrbereichsverwaltung V teilte 1958 nach eingehender Prüfung mit, dass sowohl Ödenwaldstetten als auch Justingen nicht infrage kommen. Die Begründung, weshalb das Gewann „Behwinde“nicht zum Zuge kam, lautete: „Da es sich dort um gewachsene Weißjura-Epsylonfels handelt, kann eine Kostenschätzung nicht angegeben werden. Die straßenmäßige Erschließung des Geländes lässt sich nach Ansicht des Innenministeriums, Hauptabteilung Verkehr, auf dem Gelände selbst kaum möglich machen, da durch das abschüssige Gelände und Mulden Höhenunterschiede über 250 Meter innerhalb des Geländes zu überwinden wären. Eine Kostenangabe für den laufenden Meter Straße pro Kilometer ist nicht möglich.“
Außerdem sei der Bahnhof in Hütten, der nur über eine kurvenreiche Straße erreichbar ist, rund vier Kilometer entfernt. „Zur Erreichung der Geländehöhe von 780 Meter bei einer Talhöhe von 516 Meter ist die Anlage von Tunnelund Kehrtunnelanlagen erforderlich“, gab die Wehrbereichsverwaltung V seinerzeit zu bedenken und legte die Pläne ad acta.