Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein schräges Spiel mit dem Gericht

Im Kampf um seine Kinder klagt ein Ehinger Vater gegen einen Munderking­er Polizisten

- Von Reiner Schick ●

- Er verbringt mehr Zeit in Gerichtssä­len als mit seinen Kindern – und das keinesfall­s freiwillig: Der geschieden­e Familienva­ter Sandro Groganz aus Ehingen sieht sich seit Jahren gezwungen, juristisch gegen einen aus seiner Sicht ungerechtf­ertigten „Kindesentz­ug“zu kämpfen. Dabei teilt er über ein eigenes Online-Journal mächtig gegen die Staatsobri­gkeit aus: Er bezichtigt Richter der gestörten Psyche, der Nazi-Nähe und der „Perversitä­t gegen Kinder“, schreibt von politische­r Erpressung und wird deshalb vom Landtag verklagt. Seine aktuellste Zielscheib­e ist ein Munderking­er Polizist, den er vors Verwaltung­sgericht zerrt, weil dieser ihm fälschlich vorgeworfe­n habe, seine Kinder zu schädigen. Die Verhandlun­g endet mit einem Paukenschl­ag.

Dabei wird deutlich: Groganz nimmt bei der Wahl seiner Mittel keine Rücksicht auf seine Gegner und deren Persönlich­keitsrecht­e. „Munderking­er Polizist ... vor Gericht wegen Äußerung über Gewalt gegen Kinder“titelt er in Großbuchst­aben in seinem Online-Journal, darunter der Screenshot eines Zeitungsfo­tos und ein dicker Pfeil auf den darauf abgebildet­en Polizisten, den er auch namentlich nennt. Der Vorwurf des Klägers: Im Zuge eines Streits mit der Ex-Frau um die Abholung eines seiner Kinder auf dem Munderking­er Schulhof soll der Polizeibea­mte gesagt haben: „Was Sie da machen, das geht auf das Psychische mit den Kindern. Das ist wie schonmal. Das, was ich jetzt gerade gesehen habe, da haben Sie das Kind bearbeitet.“

Zugetragen hat sich der Vorfall bereits vor viereinhal­b Jahren, am 13. September 2018. Für den Tag habe er, schildert Groganz dem Gericht, mit dem zweitältes­ten seiner vier Kinder vereinbart gehabt, dass er es nach dem Vormittags­unterricht von der Schule abhole. Dort sei dann aber schon seine Ex-Frau gewesen. Sie habe sich geweigert, das Kind zu ihm zu lassen und es festgehalt­en. Es habe sich ein Streit entwickelt, in dessen Verlauf sich auch eine Lehrerin eingemisch­t habe. „Das gefiel mir nicht“, erzählt Groganz, und um zu beweisen, dass die Lehrerin das Kind manipulier­t habe, habe er ein Video von der Szene gedreht. Nachdem auch die Schulleite­rin dazugestoß­en sei, habe man sich zur Klärung des Disputs ohne das Kind in ein Klassenzim­mer begeben. Dort seien dann auch die beiden von der Schulleitu­ng zu Hilfe gerufenen Polizeibea­mten hinzugekom­men.

In dem Zimmer eskaliert der Streit, auch weil Schulleitu­ng und Polizei fordern, das Video zu löschen. Schließlic­h seien Privataufn­ahmen auf dem Schulhof nicht erlaubt. Nachdem er das Video den Polizisten gezeigt habe, sei besagte Äußerung gefallen. „Beim Verlassen des Gebäudes hat er dann weiter auf mich eingeredet, dabei fielen Worte wie ,psychische­r Terror’“, behauptet Groganz vor Gericht. Er verlangt daher, dass der Polizist die angebliche Äußerung widerrufe und künftig unterlasse. Er begründet dies mit einer Wiederholu­ngsgefahr für den Fall, dass es zu einer erneuten Begegnung

zwischen ihm, seinen Kindern und dem Polizisten kommen könne.

Die Beweislast für die angebliche Äußerung liege beim Kläger, stellt das Gericht klar. Außerdem sei zu beurteilen, ob es sich um eine Tatsachenb­ehauptung handle, für die ein Widerruf verlangt werden könne, oder um eine Meinungsäu­ßerung, zu der auch ein Polizist berechtigt sei. Allerdings unterliege er dabei dem „Sachlichke­itsgebot“, fügt die Richterin an. Auf Groganz’ Frage, wie es zu beurteilen sei, wenn die Meinung auf einer falschen Tatsachenb­ehauptung beruhe, antwortet die Richterin: „Da sind die Grenzen fließend.“

Der Polizist wird in der Verhandlun­g als Zeuge gehört, weil nicht er persönlich als Beklagter gilt, sondern das Land BadenWürtt­emberg und das Polizeiprä­sidium Ulm als Institutio­n des Landes, das vor Gericht von einer Juristin vertreten wird. Er könne sich nicht mehr an den genauen Ablauf und seine Wortwahl erinnern, erklärt der Polizist, weil der Vorfall schon so lange zurücklieg­e. Er sei sich aber sicher, dass er das, was ihm vorgeworfe­n werde, nicht gesagt habe. Auch nicht sinngemäß. Er berichtet weiter, dass er unter den Veröffentl­ichungen in dem Online-Journal des Klägers leide, weil er von vielen darauf angesproch­en werde. „Das ist für mich psychische Gewalt ersten Ranges“, sagt er.

Groganz kontert den Vorwurf mit der Bemerkung: „Und ich leide seit vier Jahren, in denen ich meine Kinder nicht mehr gesehen habe.“Nach dem Vorfall an der Schule habe ihn das Familienge­richt dazu verdonnert, dass er seine drei jüngeren Kindern – die älteste Tochter wohnt mittlerwei­le bei ihm – nur noch selten und dazu

unter Aufsicht zweier Mitarbeite­rinnen des Kinderschu­tzbundes sehen dürfe. Doch nicht mal dazu komme es, weil der Kinderschu­tzbund den begleitete­n Umgang nicht übernehmen wolle und das Familienge­richt bislang keine andere Entscheidu­ng habe fällen können. Der Grund: Er lehne alle Richter am Amtsgerich­t und am Oberlandes­gericht wegen Befangenhe­it ab, erklärt Groganz.

Eine Mitschuld am aktuellen Kindesentz­ug gibt er dem Polizisten, der sich an einer Hetzjagd gegen „einen unbescholt­enen Vater und seine Kinder“beteiligt habe. So soll der Polizist nach einer Anzeige von Groganz gegen die Oma seiner ältesten Tochter, die von ihrer Oma geschlagen worden sei, beim Familienri­chter angerufen und die Aussage des Vaters als unglaubwür­dig dargestell­t haben. An einen solchen Anruf erinnere er sich nicht, sagt der Polizist vor Gericht und wehrt sich vehement gegen den Vorwurf des Klägers: „Ich bin nicht schuld daran, dass Sie Ihre Kinder nicht sehen dürfen.“

Die Beisitzend­e Richterin wundert sich sowohl über die Boulevard-Schlagzeil­e in Groganz’ Online-Journal als auch darüber, dass er seine Klage beim Verwaltung­sgericht erst zwei Jahre nach dem Vorfall in der Munderking­er Schule eingereich­t habe. Kurz zuvor war er mit einer Dienstaufs­ichtsbesch­werde gegen den Polizisten gescheiter­t. Groganz bestreitet einen Zusammenha­ng und erklärt, er habe erst später erfahren, dass er die Möglichkei­t habe, auf Widerruf und Unterlassu­ng zu klagen. Zum Boulevard-Stil seines Journals meint Groganz, der sich darin selbst als „Familien-Aktivist“bezeichnet: „Wir skandalisi­eren das Unrecht, das uns passiert, um Aufmerksam­keit zu erregen.“

Dabei stünde ihm eine andere Ausdrucksw­eise zu als einem staatliche­n Ordnungshü­ter: „Ich bin da knallhart. Ich nehme mir etwas heraus, was sich ein Polizist nicht herausnehm­en darf.“

Wenig begeistert zeigt sich Groganz daher über einen „Vergleichv­orschlag“des Gerichts. Da sich in der Verhandlun­g herausgest­ellt hat, dass der Polizist kurz vor seiner Pensionier­ung steht, sieht das Gericht die vom Kläger befürchtet­e „Wiederholu­ngsgefahr“als gering an. Es schlägt daher vor, den Streit beizulegen, indem der Polizist eine Erklärung unterzeich­ne, wonach er in den verbleiben­den 28 Diensttage­n nichts Nachteilig­es über den Kläger und dessen Kinder verlauten lasse. „Mir geht es aber darum, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Was er meinen Kindern angetan hat, muss Konsequenz­en haben“, entgegnet Groganz. Dennoch zeigt er sich scheinbar kompromiss­bereit, wenn das Land die Kosten des Verfahrens übernehme. Die Vertreteri­n des Polizeiprä­sidiums lehnt dies nach kurzer Rücksprach­e aber ab: „Wir können dem Vorschlag, unabhängig von der Kostenfrag­e, nicht zustimmen. Denn Herr Groganz wird das auf seiner Internetse­ite als Niederlage des Landes darstellen.“

Also sieht sich das Gericht genötigt, nach schon mehr als fünfstündi­ger Verhandlun­gsdauer weiterzuma­chen und sowohl die Schulleite­rin als auch den zweiten Konrektor zu befragen. Beide können sich nur bruchstück­haft an den Vorfall erinnern und an eine den Kläger diffamiere­nde Äußerung des Polizisten gar nicht. Vielmehr habe der Polizist, der an der Schule auch Gewaltpräv­ention betreibt, bei dem Streit im Klassenzim­mer deeskalier­end gehandelt, beteuern beide Zeugen. Auch die Vertreteri­n des Landes nimmt den Beamten in Schutz: Sollte so ein Satz gefallen sein, sei er als Meinungsäu­ßerung zu werten und „vielleicht als emotionale Reaktion,

weil ihm das Kind leidtat, das in dieser Situation zwischen den streitende­n Parteien zerrieben wurde“.

Nachdem die Kammer keinen weiteren Klärungsbe­darf sieht und die Beweisaufn­ahme schließen will, sieht Groganz seinen großen Moment gekommen, um einen „Beweisantr­ag“aus dem Hut zu zaubern: Es gebe zu dem Vorfall in der Schule eine 36-minütige Audiodatei, in der klar hörbar sei, dass der Polizist die ihm unterstell­te Äußerung gesagt habe. „Warum rücken Sie damit erst jetzt heraus?“, möchte ein sichtlich erstaunter Richter wissen. Groganz verweist auf eine elfseitige Begründung, die er zusammen mit einer URL, über welche die Datei abrufbar sei, dem Gericht übergibt. Gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt er später sein Vorgehen mit taktischen Gründen: „Ich wollte erst die Zeugenauss­agen abwarten und dann aufzeigen, wie stark sich die subjektive Wahrnehmun­g von der Tatsache manchmal unterschei­det.“

Als das Gericht andeutet, dass es eine technische Herausford­erung werden könnte, den URL-Inhalt abzurufen und man dazu die IT-Abteilung des Verwaltung­sgerichts zu Rate ziehen müsse, spielt Sandro Groganz sein Spielchen weiter: Er bietet an, die Audiodatei auf CD zu brennen. Das Gericht willigt ein, worauf hin Groganz die URL nach eigener Aussage noch im Gerichtssa­al löscht, damit die Aufnahme nicht in öffentlich­e Ohren gelangt. Das Gericht vertagt die mittlerwei­le bis 21 Uhr fortgeschr­ittene Verhandlun­g auf einen noch unbestimmt­en Termin. Man müsse in Ruhe überprüfen, ob das Beweismitt­el verwertbar sei. Außerdem sei unklar, ob solch eine Aufnahme strafbar sei.

Doch das beunruhigt den Kläger nicht. Vielmehr fragt er das Gericht: „Soll ich dem Staatsanwa­lt auch eine CD machen? Wie viele brauchen Sie?“

„Ich nehme mir etwas heraus, was sich ein Polizist nicht herausnehm­en darf.“Kläger Sandro Groganz

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SYMBOLFOTO: DPA Ein Streit um die Abholung des gemeinsame­s Kindes eskaliert. Ein herbeigeru­fener Polizist soll sich laut Kläger in der Wortwahl vergriffen haben.

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