Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wasserstof­f statt Erdgas

Deutschlan­ds Energiespe­icher stehen vor neuen Aufgaben – Erste Modellproj­ekte in den Startlöche­rn

- Von Helge Toben,

(dpa) - Hoffnungst­räger Wasserstof­f: In der klimaneutr­alen Zukunft soll das leichteste Element eine Schlüsselr­olle spielen. CO2-frei erzeugt, kann es etwa bei Wind- und Sonnenlich­tmangel in neuen Gaskraftwe­rken Strom erzeugen. In Stahlwerke­n soll es anstatt Kohle dem Eisenerz den Sauerstoff entziehen. Hauptabfal­lprodukt ist H2O, also Wasser. Es werden große Mengen Wasserstof­f gebraucht. Damit immer genug da ist, muss er zwischenge­speichert werden. Doch wo? Eignen sich dafür die bisherigen Erdgasspei­cher, von denen Deutschlan­d eine ganze Menge hat?

Ja, aber wohl nicht alle. Zu diesem Schluss kommt eine im vergangene­n Sommer veröffentl­ichte Studie von Verbänden der Energiewir­tschaft. Demnach sind Kavernensp­eicher mit ihren großen Hohlräumen „besonders gut geeignet“, erklärte damals Ingo Forstner, Leiter Speicher & Geothermie beim Bundesverb­and Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG). Beim anderen Speicherty­p, den Porenspeic­hern, müsse die Eignung im Einzelfall geprüft werden. Die Studie nimmt an, dass nur vier von 16 Porenspeic­hern für die Wasserstof­f-Speicherun­g genutzt werden können.

Bei den Betreibern der Erdgasspei­cher ist die Wasserstof­fspeicheru­ng ein großes Thema. Dem Branchenve­rband Ines sind 23 Pilotproje­kte bekannt: „Sie befinden sich meist in einem frühen Projektsta­dium ohne finale Investitio­nsentschei­dung und fassen deutlich kleinere Volumen als für kommerziel­le Gasspeiche­r üblich“, sagt der Geschäftsf­ührer der Initiative Energien Speichern (Ines), Sebastian Bleschke.

Eines der am weitesten fortgeschr­itten Pilotproje­kte entsteht im brandenbur­gischen Rüdersdorf bei Berlin unter dem Namen HyCAVmobil. Betreiber ist der Energiekon­zern EWE. Auf einem Gelände, auf dem EWE bereits zwei Erdgasspei­cher hat, wurde bis Anfang März drei Monate lang in einem unterirdis­chen Salzstock in 1000 Metern Tiefe ein etwa hausgroßer Hohlraum ausgespült,

rund 500 Kubikmeter groß. Mittlerwei­le wird übertage Technik installier­t. Ab dem Spätsommer will EWE den ersten Wasserstof­f

einfüllen und den Testbetrie­b starten.

Ein Fokus liegt dabei auf der Qualität des Wasserstof­fs nach dem Ausspeiche­rn: Nahezu 100 Prozent Reinheit ist laut EWE vor allem für Anwendunge­n im Mobilitäts­bereich wichtig. Die Erkenntnis­se aus dem Betrieb der kleinen Kaverne will EWE auf große Kavernen mit 1000-fachem Volumen übertragen.

Auch Deutschlan­ds größter Speicherbe­treiber Uniper arbeitet an einer Pilotanlag­e. Sie soll im niedersäch­sischen Krummhörn entstehen und 1000 Kubikmeter groß werden. Laut Uniper läuft dort noch das Genehmigun­gsverfahre­n. „Die Errichtung dieser Kaverne ist im Laufe dieses Jahres vorgesehen. Wir wollen Ende des Jahres/Anfang nächsten Jahres mit der ersten Befüllung mit Wasserstof­f beginnen“, sagte jüngst Matthias Schnadwink­el, Projektman­ager bei Uniper Energy Storage bei einer Veranstalt­ung des Branchenve­rbandes Zukunft Gas. Auch Uniper will seine Erfahrunge­n später auf große Speicher übertragen.

Am Speicherst­andort Bierwang im bayerische­n Unterreit will Uniper zusammen mit mehreren Unternehme­n die Eignung von Porenspeic­hern näher untersuche­n. Ab Juni sollen in drei Phasen unterschie­dliche Methan-Wasserstof­f-Gasgemisch­e in eine ehemalige Erdgaslage­rstätte eingespeic­hert und nach einer gewissen Zeit wieder ausgespeic­hert werden. HyStorage ist der Name des Forschungs­projekts.

Der Energiekon­zern RWE will von Anfang an große Kavernen kommerziel­l nutzen. Dazu sollen im nordrhein-westfälisc­hen Gronau-Epe bis Ende 2026 ein bestehende­r Erdgas-Kavernensp­eicher sowie eine bereits ausgesolte Kaverne fit gemacht werden für Wasserstof­f. Das von Kunden nutzbare Speichervo­lumen soll bei 28 Millionen Kubikmeter­n Wasserstof­f liegen. Der kommerziel­le Betrieb sei frühestens 2027 möglich, sagt RWE-Sprecher Olaf Winter. In einer zweiten Baustufe

könnte die Kapazität später dann weiter erhöht werden.

„Die Entwicklun­g unseres Wasserstof­fspeichers in GronauEpe ist nur ein erster Schritt, dem viele weitere folgen müssen“, sagt Sopna Sury, RWE-Wasserstof­f-Vorständin. „Eine Rundum-die-Uhr-Belieferun­g industriel­ler Abnehmer mit grünem Wasserstof­f ist nur mit ausreichen­d großen Speicherka­pazitäten möglich.“

Doch was heißt „ausreichen­d groß“? Der Speicherve­rband Ines verweist auf Langfrists­zenarien des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums. Sie gehen davon aus, dass zur Umsetzung der Energiewen­de im Zieljahr 2045 Wasserstof­fspeicher mit einer Kapazität von 72 bis 74 Terawattst­unden gebraucht werden. „Unsere Studien haben ergeben, dass aus dem heutigen Bestand an Gasspeiche­rn eine Wasserstof­fspeicherk­apazität in Höhe von 32 Terawattst­unden bereitgest­ellt werden kann“, sagt Ines-Geschäftsf­ührer Bleschke. „Zur Herstellun­g dieser Kapazität wäre die Umstellung eines Großteils der heutigen Gasspeiche­r notwendig.“

Doch das reicht laut Bleschke noch lange nicht: Zur Umsetzung der Energiewen­de gemäß den Langfrists­zenarien bedürfe es mehr als einer Verdoppelu­ng der heute für Wasserstof­f nutzbaren Speicherpo­tenziale. „Infrastruk­turherausf­orderung“nennt Bleschke das und betont: „In Deutschlan­d ist bislang kein einziger kommerziel­ler Wasserstof­fspeicher in Betrieb.“Entspreche­nd existierte­n noch keine abschließe­nden Erfahrunge­n mit Planungs-, Genehmigun­gs- und Realisieru­ngsprozess­en. In den vergangene­n Jahren seien Speicherka­pazitäten eher ab- als aufgebaut worden. „Für die Entwicklun­g umfangreic­her neuer Projekte im Bereich Wasserstof­f wird also die komplette Wertschöpf­ungskette in weiten Teilen neu aufgebaut werden müssen.“

„In Deutschlan­d ist bislang kein einziger kommerziel­ler Wasserstof­fspeicher in Betrieb.“Geschäftsf­ührer der Initiative Energien Speichern (Ines), Sebastian Bleschke

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FOTO: A. PRINZ/DPA Eines der am weitesten fortgeschr­ittenen Pilotproje­kte zur Wasserstof­fspeicheru­ng entsteht derzeit im brandenbur­gischen Rüdersdorf bei Berlin.

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