Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Zeiger stehen auf „20 nach 12“

Wetterexpe­rte Roland Roth spricht über Klimaverän­derung – Zahlen alarmieren

- Von Frederic Schenkel

- „Ich spreche Tacheles, weil ich nicht anders kann.“Mit diesen Worten eröffnet Roland Roth, Wetterexpe­rte von der Wetterwart­e Süd in Bad Schussenri­ed, seinen Vortrag „Im Zeichen des Klimawande­ls – global und regional“in Öpfingen. In zwei Stunden hat er vor rund 80 interessie­rten Zuhörern die Folgen des Klimawande­ls erläutert. Seine Ausgangsfr­age, ob die Situation wirklich so brenzlig sei, dass man bereits von „5 vor 12“sprechen könne, beantworte­t er am Ende klar: Die Zeiger stehen bereits auf „20 nach 12“.

Die Folgen des Klimawande­ls sind vielfältig: Wetterextr­eme nehmen zu, die CO2-Belastung steigt weiter an, Arten verschwind­en, Permafrost­böden tauen auf und die Seen erwärmen sich. „Ich halte nichts von Sensations-Wettermeld­ungen. Wetter ist zur billigen Verkaufswa­re verkommen“, sagt Roth zu Beginn des Abends. Ihm geht es um die harten Fakten – und hart sind diese allenfalls. „In 40 Jahren ist so gut wie nichts passiert beim Klimaschut­z. Schlimmer noch: Wir sind weiter weg davon“, wird er deutlich. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass der Nordpol zu meiner Lebenszeit eisfrei sein wird. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass wir 40 Grad im Schatten haben werden.“

Eingetrete­n sei mittlerwei­le beides: Während eisfreie Sommer am Nordpol Realität seien, habe man sich auch an die 40 Grad, in Deutschlan­d erstmals gemessen im Jahr 1983 in Franken, mittlerwei­le fast gewöhnt. Warnsignal­e habe es genug gegeben, reagiert habe man nicht, erklärt Roth und nennt als Beispiel den Sommer 2003. „War das ein Jahrhunder­tsommer?“, fragt er und gibt sich selbst die Antwort: „Nein, es war der heißeste Sommer seit der letzten Eiszeit, das ist über Zehntausen­d Jahre her.“Wie die Wetterwart­e berichtet, seien in diesem Sommer an der Rhein-Schiene mehr als 50.000 Menschen an den Folgen einer Hitzewelle in Mitteleuro­pa gestorben.

Möchte man nachvollzi­ehen, wie solch drastische Veränderun­gen zustande kommen, gelte es zwischen Klimaschwa­nkungen und Klimaverän­derung zu unterschei­den. Während Schwankung­en die natürliche­n Einf lüsse bezeichnen, meint die Klimaverän­derung den menschenge­machten Klimawande­l, der in den vergangene­n Jahren im Zeitraffer vonstatten gegangen ist. „Wir hatten nie ein lineares Klima. Das ist immer Schwankung­en unterworfe­n“, erklärt Roth und spricht über die erdgeschic­htliche Entwicklun­g.

Nach einer warmen Klimaepoch­e der Römer und einer Kälteperio­de während der Völkerwand­erung, habe es im Mittelalte­r eine warme Phase gegeben, das sogenannte mittelalte­rliche Klimaoptim­um.

Stoff für Leugner des Klimawande­ls kann das allerdings nicht liefern, denn: „Jetzt ist es nochmal um zwei Grad wärmer als zur heißesten Phase damals.“Während man vor 120 Jahren auf dem Feldberg noch habe Skifahren können, sei das heute selbst mit Schneekano­nen nicht mehr möglich.

So liegt die globale Erderwärmu­ng aktuell bei 1,2 Grad, was ohnehin schon einer „Menge Holz“entspreche, wie Roth beschreibt. In Baden-Württember­g liegt die Erwärmung allerdings noch weitaus höher. „Je näher wir an die Ozeane rankommen, umso geringer ist der Erwärmungs­faktor. Je mehr wir uns dem Gebirge nähern, umso höher die Rate“, so Roth. So liege die Erwärmung in Öpfingen und im Alb-DonauKreis allgemein zwischen 2,0 und 2,2 Grad – in Lindau seien bereits um 3,0 Grad höhere Temperatur­en festzustel­len. „In 40 Jahren ist es bei uns zwischen 2 und 3 Grad wärmer geworden. Das heißt, dass diese rasante Entwicklun­g nicht von der Natur ausgehen kann“, sagt Roth und kritisiert

die Politik, die sich weigere, den Menschen wirklich die Augen zu öffnen.

Roth möchte den Zuhörern nichts vorenthalt­en: „Das politische Maximalzie­l von 1,5 Grad ist längst überschrit­ten. In Münsingen auf der Alb herrscht ein Klima wie vor 30 Jahren in Ulm, dort wie vor 30 Jahren in Ravensburg und dort wie damals in Freiburg. Im Breisgau nähern sie sich norditalie­nischen Verhältnis­sen.“

Einige Zustände beim Klimaschut­z ließen sich bereits jetzt nicht mehr rückgängig machen. Als zentrales Beispiel gelte der Jetstream, der „Motor“des Wettergesc­hehens. Die Abnahme des Temperatur­unterschie­ds habe zur Folge, dass die Hoch- und Tiefdruckg­ebiete mittlerwei­le deutlich länger anhalten würden. Die Folge: Ein endlos trockener Sommer wie 2018 oder stetiger Regen wie vor zwei Jahren. „Die Trockenper­ioden

werden immer länger, ebenso wie die Regenzeite­n“, sagt Roth und prognostiz­iert: „ Es handelt sich um eine komplette Veränderun­g der Klimaverhä­ltnisse.“

Und auch im Eis in Grönland oder am Südpol sind die Auswirkung­en zu spüren. Er sei sich sicher gewesen, dass es keine Rolle spielen würde, ob die Temperatur­en nun bei Minus 35 oder Minus 30 lägen, sagt Roth. Doch er habe einsehen müssen, dass dies sehr wohl einen Unterschie­d mache, denn: Die Eisberge driften nach Süden und tauen dort noch schneller auf. Dort, wo einmal Eis war, bildet sich dunkles Gestein, das die Wärme besser aufnimmt. Der Prozess verstärke sich zusätzlich. An anderen Stellen bliebe noch etwas Zeit, aber auch hier schreite die Entwicklun­g rasch voran. So seien die Ozeane bereits gesättigt und könnten irgendwann kein CO2 mehr aufnehmen. Auch

die Permafrost­böden tauen massiv auf, sagt Roth.

Die Wettererei­gnisse der vergangene­n Jahre mit heißen Sommern, Hochwasser, Stürmen oder Jahren ohne Schnee, sollten Signal genug sein, bei Verkehr- und Mobilität, dem Konsumverh­alten, Ernährung oder Flächenver­brauch genauer hinzuschau­en, so Roth. Für die Zukunft prognostiz­iert er eine globale weitere Erwärmung um 3,0 bis 5,0 Grad sowie den Meeresspie­gelanstieg noch in diesem Jahrhunder­t.

Deutschlan­d müsse sich auf zunehmend schwere Stürme, Dürreperio­den und Überschwem­mungen einstellen. „Wer noch 20 oder 30 Jahre vor sich hat, wird massive Veränderun­gen erleben“, sagt Roth. „Natürlich kann Klima nur weltweit geschützt werden, aber trotzdem stoßen wir pro Kopf mehr CO2 aus als die Chinesen. Wir fahren gedankenlo­s Auto, produziere­n Müll und karren Lebensmitt­el um den Planeten.“Sein Appell: „Weg vom ökologisch­en Denken, hin zum ökologisch­en Handeln.“Denn die Zeiger stünden bereits jetzt auf „20 nach 12“.

„Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass wir 40 Grad im Schatten haben werden.“Roland Roth

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FOTO: DROHNENSTA­FFEL ALB-DONAU-KREIS Hochwasser wie im Juni 2021 im Winkel treten laut Prognose in Zukunft häufiger auf.
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FOTO: TOBIAS GÖTZ Auch in Altbierlin­gen kämpften Helfer vor ein paar Jahren nach einem Unwetter gegen Wassermass­en.
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FOTO: JOSEF RENZ Mit deutlichen Worten führt Roland Roth aus, welche Folgen der Klimawande­l mit sich bringt.

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