Die Zeiger stehen auf „20 nach 12“
Wetterexperte Roland Roth spricht über Klimaveränderung – Zahlen alarmieren
- „Ich spreche Tacheles, weil ich nicht anders kann.“Mit diesen Worten eröffnet Roland Roth, Wetterexperte von der Wetterwarte Süd in Bad Schussenried, seinen Vortrag „Im Zeichen des Klimawandels – global und regional“in Öpfingen. In zwei Stunden hat er vor rund 80 interessierten Zuhörern die Folgen des Klimawandels erläutert. Seine Ausgangsfrage, ob die Situation wirklich so brenzlig sei, dass man bereits von „5 vor 12“sprechen könne, beantwortet er am Ende klar: Die Zeiger stehen bereits auf „20 nach 12“.
Die Folgen des Klimawandels sind vielfältig: Wetterextreme nehmen zu, die CO2-Belastung steigt weiter an, Arten verschwinden, Permafrostböden tauen auf und die Seen erwärmen sich. „Ich halte nichts von Sensations-Wettermeldungen. Wetter ist zur billigen Verkaufsware verkommen“, sagt Roth zu Beginn des Abends. Ihm geht es um die harten Fakten – und hart sind diese allenfalls. „In 40 Jahren ist so gut wie nichts passiert beim Klimaschutz. Schlimmer noch: Wir sind weiter weg davon“, wird er deutlich. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass der Nordpol zu meiner Lebenszeit eisfrei sein wird. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass wir 40 Grad im Schatten haben werden.“
Eingetreten sei mittlerweile beides: Während eisfreie Sommer am Nordpol Realität seien, habe man sich auch an die 40 Grad, in Deutschland erstmals gemessen im Jahr 1983 in Franken, mittlerweile fast gewöhnt. Warnsignale habe es genug gegeben, reagiert habe man nicht, erklärt Roth und nennt als Beispiel den Sommer 2003. „War das ein Jahrhundertsommer?“, fragt er und gibt sich selbst die Antwort: „Nein, es war der heißeste Sommer seit der letzten Eiszeit, das ist über Zehntausend Jahre her.“Wie die Wetterwarte berichtet, seien in diesem Sommer an der Rhein-Schiene mehr als 50.000 Menschen an den Folgen einer Hitzewelle in Mitteleuropa gestorben.
Möchte man nachvollziehen, wie solch drastische Veränderungen zustande kommen, gelte es zwischen Klimaschwankungen und Klimaveränderung zu unterscheiden. Während Schwankungen die natürlichen Einf lüsse bezeichnen, meint die Klimaveränderung den menschengemachten Klimawandel, der in den vergangenen Jahren im Zeitraffer vonstatten gegangen ist. „Wir hatten nie ein lineares Klima. Das ist immer Schwankungen unterworfen“, erklärt Roth und spricht über die erdgeschichtliche Entwicklung.
Nach einer warmen Klimaepoche der Römer und einer Kälteperiode während der Völkerwanderung, habe es im Mittelalter eine warme Phase gegeben, das sogenannte mittelalterliche Klimaoptimum.
Stoff für Leugner des Klimawandels kann das allerdings nicht liefern, denn: „Jetzt ist es nochmal um zwei Grad wärmer als zur heißesten Phase damals.“Während man vor 120 Jahren auf dem Feldberg noch habe Skifahren können, sei das heute selbst mit Schneekanonen nicht mehr möglich.
So liegt die globale Erderwärmung aktuell bei 1,2 Grad, was ohnehin schon einer „Menge Holz“entspreche, wie Roth beschreibt. In Baden-Württemberg liegt die Erwärmung allerdings noch weitaus höher. „Je näher wir an die Ozeane rankommen, umso geringer ist der Erwärmungsfaktor. Je mehr wir uns dem Gebirge nähern, umso höher die Rate“, so Roth. So liege die Erwärmung in Öpfingen und im Alb-DonauKreis allgemein zwischen 2,0 und 2,2 Grad – in Lindau seien bereits um 3,0 Grad höhere Temperaturen festzustellen. „In 40 Jahren ist es bei uns zwischen 2 und 3 Grad wärmer geworden. Das heißt, dass diese rasante Entwicklung nicht von der Natur ausgehen kann“, sagt Roth und kritisiert
die Politik, die sich weigere, den Menschen wirklich die Augen zu öffnen.
Roth möchte den Zuhörern nichts vorenthalten: „Das politische Maximalziel von 1,5 Grad ist längst überschritten. In Münsingen auf der Alb herrscht ein Klima wie vor 30 Jahren in Ulm, dort wie vor 30 Jahren in Ravensburg und dort wie damals in Freiburg. Im Breisgau nähern sie sich norditalienischen Verhältnissen.“
Einige Zustände beim Klimaschutz ließen sich bereits jetzt nicht mehr rückgängig machen. Als zentrales Beispiel gelte der Jetstream, der „Motor“des Wettergeschehens. Die Abnahme des Temperaturunterschieds habe zur Folge, dass die Hoch- und Tiefdruckgebiete mittlerweile deutlich länger anhalten würden. Die Folge: Ein endlos trockener Sommer wie 2018 oder stetiger Regen wie vor zwei Jahren. „Die Trockenperioden
werden immer länger, ebenso wie die Regenzeiten“, sagt Roth und prognostiziert: „ Es handelt sich um eine komplette Veränderung der Klimaverhältnisse.“
Und auch im Eis in Grönland oder am Südpol sind die Auswirkungen zu spüren. Er sei sich sicher gewesen, dass es keine Rolle spielen würde, ob die Temperaturen nun bei Minus 35 oder Minus 30 lägen, sagt Roth. Doch er habe einsehen müssen, dass dies sehr wohl einen Unterschied mache, denn: Die Eisberge driften nach Süden und tauen dort noch schneller auf. Dort, wo einmal Eis war, bildet sich dunkles Gestein, das die Wärme besser aufnimmt. Der Prozess verstärke sich zusätzlich. An anderen Stellen bliebe noch etwas Zeit, aber auch hier schreite die Entwicklung rasch voran. So seien die Ozeane bereits gesättigt und könnten irgendwann kein CO2 mehr aufnehmen. Auch
die Permafrostböden tauen massiv auf, sagt Roth.
Die Wetterereignisse der vergangenen Jahre mit heißen Sommern, Hochwasser, Stürmen oder Jahren ohne Schnee, sollten Signal genug sein, bei Verkehr- und Mobilität, dem Konsumverhalten, Ernährung oder Flächenverbrauch genauer hinzuschauen, so Roth. Für die Zukunft prognostiziert er eine globale weitere Erwärmung um 3,0 bis 5,0 Grad sowie den Meeresspiegelanstieg noch in diesem Jahrhundert.
Deutschland müsse sich auf zunehmend schwere Stürme, Dürreperioden und Überschwemmungen einstellen. „Wer noch 20 oder 30 Jahre vor sich hat, wird massive Veränderungen erleben“, sagt Roth. „Natürlich kann Klima nur weltweit geschützt werden, aber trotzdem stoßen wir pro Kopf mehr CO2 aus als die Chinesen. Wir fahren gedankenlos Auto, produzieren Müll und karren Lebensmittel um den Planeten.“Sein Appell: „Weg vom ökologischen Denken, hin zum ökologischen Handeln.“Denn die Zeiger stünden bereits jetzt auf „20 nach 12“.
„Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass wir 40 Grad im Schatten haben werden.“Roland Roth