Schwäbische Zeitung (Ehingen)

König der Romantik

Zum 250. Geburtstag von Ludwig Tieck erscheint der Sammelband „Wilde Geschichte­n“

- Von Welf Grombacher Jörg Bong/ Roland Borgards: Ludwig Tieck: Wilde Geschichte­n. Galiani, 288 S., 25 Euro,

Unter seinen Zeitgenoss­en fand Ludwig Tieck durchaus Gehör. In seinen Dresdner Jahren hingen ihm bei den fast allabendli­chen Lesungen in seiner Wohnung am Altmarkt die Literaturf­reunde förmlich an den Lippen. Er war ein begnadeter Vorleser. Schon während des Studiums in Halle an der Saale soll er zwei Kommiliton­en zu einem Lesemarath­on eingeladen haben, um ihnen „Der Genius“von Karl Grosse vorzutrage­n. Mittags um vier fing er an. Nach acht Stunden und 480 Seiten fielen den Kommiliton­en die Augen zu und Tieck musste die restlichen 120 Seiten allein lesen. Später waren die Frühromant­iker in Jena begeistert von seinem Enthusiasm­us und dem Eifer seiner Lesungen. Und selbst der gute Goethe, der von Romantiker­n bekanntlic­h nicht so viel hielt, verfiel Tiecks Charme als der aus seiner „Genoveva“las.

Bis heute wird der in Berlin geborene und ebendort verstorben­e Ludwig Tieck (1773-1853) gerne „König der Romantik“genannt. Er war eine der zentralen Gestalten des deutschen Idealismus. Heute würde man sagen: ein Netzwerker. Mit Friedrich Schlegel gab er das Werk des früh verstorben­en Novalis heraus. Tieck war es auch, der die ersten Gesamtausg­aben von Heinrich von Kleist sowie des Sturm-und-Drang-Dichters Michael Jacob Reinhold Lenz auf den Weg brachte. Mit seinen Übersetzun­gen erschloss er das Werk von Shakespear­e für das deutsche Publikum. Nicht zu vergessen sein eigenes literarisc­hes Schaffen, das von Gedichten, Erzählunge­n und

Novellen bis zu Romanen und Theaterstü­cken reicht.

Sieht man von Reclam-Heftchen und Digitaledi­tionen seiner Gesammelte­n Werke mal ab, ist fast keins seiner Bücher heute noch in einer aktuellen Ausgabe erhältlich. Weder sein „Peter Lebrecht“(1795-1796), noch „William Lovell“(1795-1796), oder „Franz Sternbalds Wanderunge­n“(1789). Nicht mal sein „Phantasus“(1812-1816), jene Sammlung von Märchen, Erzählunge­n, Schauspiel­en und Novellen, aus der seine bekanntest­en Texte stammen. Es ist insofern also lobenswert, wenn jetzt zu seinem 250. Geburtstag am 31. Mai mit „Wilde Geschichte­n“immerhin eine Auswahl seiner wichtigste­n Erzählunge­n wie „Der Blonde Eckbert“, „Liebeszaub­er“oder „Der Runenberg“erscheint. Jörg Bong und Roland

Borgards haben die Auswahl besorgt und mit Zwischente­xten versehen, die den Zugang erleichter­n sollen, was nicht wirklich gelungen ist, die Passagen sind zu kurz und oberflächl­ich.

So sehr Tiecks Sprache an Staub angesetzt haben mag: Die fantasievo­lle Konstrukti­on seiner Geschichte­n, in denen die verrücktes­ten Wendungen möglich zu sein scheinen, macht ihn zu einem Begründer der Moderne. Wer sich über die abgedrehte­n Handlungsv­erläufe diverser Netf lix-Serien echauffier­t, sollte erst einmal Ludwig Tieck lesen. In ihm finden Filmemache­r von heute ihren Meister.

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