Kirchener wehren sich gegen Filialschließung
Zum 1. Juli kann man im Dorf kein Geld mehr abheben – Raiba begründet das mit fehlender Wirtschaftlichkeit
- Im Ehinger Teilort Kirchen ist man sauer: sauer auf die VR-Bank Alb-Blau-Donau, die dort zum 1. Juli ihre Servicestelle und den Geldautomaten schließen will. Man ist sauer, weil die Kundinnen und Kunden das zuerst aus der Zeitung erfahren haben. Auf Verständnis stößt die Schließung im Dorf nicht.
Etwa 50 Kirchener und Kirchenerinnen sind am Mittwochabend vor der Raiba-Filiale zusammengekommen, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Organisiert hat die Kundgebung Roland Hess, Ortsvorsteher der 1200-Einwohner-Gemeinde. Im Grunde sei es die Bank der Kundinnen und Kunden, sind sie hier überzeugt. „Genossenschaft heißt, dass man jedem hilft und niemanden fallen lässt“, sagt Hess. Die Raiba sei schließlich einmal die Bank für die armen Leute gewesen. „Ich hoffe, dass unser Anliegen ein Ohr findet bei den Ehinger hohen Herren.“
Am 2. Mai habe der Vorstand der Raiba, Martin Traub, ihn besucht und ihm erklärt, dass die Filiale schließen werde, sagt Hess. Traub habe aber um Stillschweigen über die Angelegenheit gebeten, man wolle das zuerst über die Presse verkünden. Dann veröffentlichte die Bank am 23. Mai ihre Bilanz und die Bilanzsumme von 1,04 Milliarden Euro. Am gleichen Tag gab sie aber auch die Schließung der Servicestellen in Kirchen und Griesingen bekannt. Die Kirchener fühlen sich hintergangen: „Wo ist der große Gewinn her?“, fragt Hess. „Der ist doch von uns.“
Es gehe auch um die Infrastruktur im Ort: „Mit jedem Stück, das wegfällt, bricht auch die Infrastruktur mehr ein.“Wer in Zukunft Geld abheben will, muss nach Ehingen fahren. Mindestens zehn Minuten ist man vom Ortskern in Kirchen bis an die Bank in der Bahnhofstraße unterwegs. „Und dann findet man vor der Tür keinen Parkplatz“, sagt Hess. Er habe das in der vergangenen Woche extra ausprobiert. Nach Munderkingen hingegen sei er nur fünf Minuten unterwegs gewesen und habe einen Parkplatz sowohl vor der Donau-Iller Bank als auch vor der Sparkasse am Marktplatz bekommen. Da müsse man sich als Kirchener Raiba-Kunde schon überlegen, ob man nicht die Bank wechseln wolle, sagt Hess.
Ortschaftsrätin Christiane Nörpel sieht das ähnlich: „Was ist der Mehrwert für uns? Wo geht die Dienstleistung jetzt hin?“Für sie ist es unverständlich, dass sie zwar Kontoführungsgebühren zahle, aber nicht mehr in ihrem Ort Geld abheben könne. Stattdessen werde von ihr verlangt, nach Ehingen zu fahren. Vor allem
für Ältere sei das eine zu lange Strecke. „Mit den Älteren ist die Raiba groß geworden und jetzt lässt man die fallen“, sagt Roland Hess. „Die Senioren möchten ja auch selbständig sein.“
Wenn die Servicestelle wegfalle, gehe auch ein Stück weit das Menschliche verloren. Wer bisher zum Geldabheben kam, habe noch ein Schwätzchen gehalten, erzählt Ortschaftsrat Alfred Schrode. „Die denken, wenn sie ein Callcenter haben, dann ist allen geholfen“, sagt auch Hess.
Der Automat und die Servicestelle rechnen sich einfach nicht mehr, sagen hingegen sowohl Martin Traub als auch Klaus Hofmann, die Vorstände der Raiba. Ab etwa 25.000 Abhebungen pro Jahr lohne sich ein Geldautomat für eine Bank – in Kirchen sind es
jedoch nur etwas mehr als 8000. Bei weniger als 10.000 Abhebungen koste jedes einzelne Geldabheben etwa zwei Euro. Denn die Fixkosten wie Befüllung, Wartung, Strom und Leitungskosten hat die Bank, ob der Automat genutzt wird oder nicht. Hinzu kommt, dass für den Geldautomaten in Kirchen ein neuer Kabelanschluss verlegt werden müsste. Der aktuelle werde vom Rechenzentrum nicht mehr lange unterstützt. „Ein Geldautomat ist für eine Bank nie ein Ertragsmodell“, sagt Traub. Aber zu hohe Kosten dürfe er nicht verursachen. Auch gestiegene Sicherheitsvorkehrungen wegen der zunehmenden Zahl an Automatensprengungen würden die Kosten in die Höhe treiben, sagt Hofmann.
„Es war ja keine Bauchentscheidung“, sagt Hofmann. Monatelang hätten sich die Verantwortlichen Gedanken gemacht und die Lage ausführlich analysiert. Nach Besprechungen in verschiedenen Gremien habe die Schließung in Kirchen festgestanden. Neben dem Kostenaufwand für den Betrieb des Geldautomaten und der Servicestelle kommt hinzu, dass die Zahl der Kartenzahlungen seit Jahren steigt. Bargeldabhebungen sind in Deutschland seit Jahren rückläufig. Das stellt auch die Raiba rund um Ehingen fest: „Die Frequenz auf den Servicestellen und am Geldautomaten ist rückläufig.“Mittlerweile würden mehr als 75 Prozent der Serviceleistungen über das Onlinebanking laufen.
Hofmann nennt ein anderes Szenario: „Nehmen wir an, ich lasse mir Bargeld in Kirchen raus. Wo kann ich das in Kirchen denn ausgeben, außer bei ein paar Gaststätten?“Zum Einkaufen müsse jeder nach Munderkingen oder Ehingen fahren – und könne da auch zur Bank. Kunden der VRBank Alb-Blau-Donau können auch bei der Donau-Iller Bank in Munderkingen kostenlos Geld abheben. Dazu kommt ein Automat in der Pfisterstraße in Ehingen bei dm. Mit den Geschäftsstellen in Obermarchtal und Dächingen hätten die Kunden aus Kirchen außerdem weitere Anlaufstellen, um Geld abzuheben oder den Service zu nutzen, sagt Traub.
„Das Bargeldproblem ist keines“, sagt Hofmann. „Die kleine Minderheit, die darauf angewiesen ist, für die lassen wir uns was einfallen“, sagt er und meint damit die Leute, die nicht mehr mobil sind, die mit einem Bringservice bedient werden könnten. Für Servicethemen gibt es bei der Bank auch andere Möglichkeiten der Beratung. Per Telefon ist es über das Kundenservice-Center möglich, Geld zu überweisen oder Daueraufträge aufzugeben. Beratungen zu Krediten, der Altersvorsorge und weiteren Themen bietet die Raiba unter der Woche von 8 bis 20 Uhr auch zu Hause an. Ein Versorgungsproblem sehen sie für Kirchen nicht.
Für Traub bedeutet der Begriff Genossenschaft zweierlei: „Wir sind unseren Mitgliedern verpf lichtet, aber auch der Genossenschaft gegenüber.“Deshalb müsse die Bank wirtschaftlich denken. „Das Verständnis von unserer Seite ist da“, sagt Traub. „Mit so einem Automaten wird ja auch ein Stück aus der Gemeinde rausgenommen.“Es sei immer ein Abwägen zwischen Kundennähe und der Wirtschaftlichkeit. „Am Ende des Tages müssen wir wirtschaftlich sinnvoll agieren“, sagt Traub.
In Kirchen teilt man die Meinung nicht. „Das ist ein Dienstleistungsunternehmen. Um die Kunden zu halten, muss man halt auch mal Geld investieren“, sagt Christiane Nörpel. Jetzt wollen sie versuchen, mit einer Unterschriftensammlung die Bank umzustimmen. Ab Dienstag wird eine Liste im Rathaus von Kirchen ausliegen. Christiane Nörpel bittet deshalb die Kirchener: „Seid proaktiv, erzählt das in den Vereinsgruppen weiter.“Und auch bei der Generalversammlung am 27. Juni in der Ehinger Lindenhalle wolle man Präsenz zeigen. „Vielleicht ist es ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt Roland Hess. „Aber wir wollen versuchen, wenigstens den Bankautomaten zu retten.“Auch ein Briefkasten für Überweisungen sei wichtig. Der Serviceschalter werde ab dem 1. Juli sehr wahrscheinlich der Vergangenheit angehören.