Auf der Jagd nach Aufwind
Gleitschirmflieger nutzt die warme Abluft der Schelklinger Industrie für Höhenritt
- Herrlicher Sonnenschein, Temperaturen im angenehmen Bereich und ein doch beständiger Wind aus dem (Nord)Osten: Während sich der Sommer dann doch so langsam zeigt, ist die aktuelle Witterung aus Sicht der Gleitschirmflieger aktuell mit einem Wort beschreibbar: bitter. So formuliert es Ralf Straub, Vorsitzender der Gleitschirmflieger Urenschwang in Hütten. Denn gerade der Wind macht den Sportlern zu schaffen. Auf der Suche nach passendem Aufwind wird der ein oder andere kreativ, wie ein Instagram-Video beweist.
Allein der Blick von oben ist spektakulär. Im wahrsten Sinne überschaubar präsentiert sich Schelklingen aus der Vogelperspektive. Dann beschleunigt der Gleitschirmf lieger: Es geht hinunter vom Teilort Hausen ob Urspring kommend, von der Hochf läche runter ins Tal. Das Ziel der Aufnahme ist, bedingt durch die Suche nach Thermik, das Schelklinger Industriegebiet Leimgrube/Breitlen, genauer gesagt die große Industrieanlage des örtlichen Zementwerks. Über den Schlund des Kamins hinweg geht der Flug, die warme aufsteigende Abluft sorgt für den doch so wichtigen Aufwind. Das Video findet genau in diesem Moment seinen Höhepunkt. Eine spektakuläre Szene – insbesondere für das ungeschulte Auge, für den Laien. Für Michael Dreher sind es Momente wie diese, die ihn bef lügeln.
Der Mann aus Sonnenbühl (Landkreis Reutlingen) hegt eine Vorliebe für alles, was mit Adrenalin zu tun hat: Klettern, Kitesurfen und vor allem auch Gleitschirmfliegen. Auf Instagram ist er als „thermikdreher“unterwegs, hat allein auf dieser Plattform nahezu 23.000 Follower. Neulich war er auf besagter Strecke erst Richtung Schelklingen, dann über die Stadt hinweg unterwegs. Seine lokalen Fluggebiete seien die Wanne, die Hochfläche oberhalb von Pfullingen (Landkreis Reutlingen), sowie der Neuffen (Landkreis Esslingen). „Der besondere Reiz für mich ist,
dass ich in 20 bis 45 Minuten im Fluggebiet bin und dort mit gerade mal 200 bis 300 Meter Höhendifferenz durch Thermik in Höhen von teils 3000 Meter aufsteigen kann“, erklärt er.
Die Thermik lässt sich allgemein beschreiben als aufsteigende Luft, die wärmer ist als die Umgebungsluft und so dem Gleitschirmflieger Aufwind beschert. „Ohne Antrieb getragen von aufsteigender Luft“, wie es Dreher sagt. Der Clou: „Bei mir sind bisher Strecken von 150 Kilometer möglich gewesen. So steht man
abends gerne mal plötzlich am Bodensee, im Allgäu oder auch mal an der deutsch-französischen Grenze.“
Dass das Fliegen im Flachland besonders anspruchsvoll sei, zeigt sich auch in besagtem Video. Man habe schlichtweg keine klaren Hänge und die Thermik sei entsprechend schwierig zu finden. „Da nimmt man im Zweifel auch mal die Abluft des Zementwerks“, erklärt der Experte. Tatsächlich habe er dieses in jenem Fall gezielt angesteuert, „auch wenn es eher eine Verzweif lungsaktion war“. So wirklich gut getragen habe ihn die warme Abluft nämlich nicht, aber immerhin habe dieser „Heber“gereicht, um in eine bessere Thermik zu wechseln. So sei er dann wieder zur Wolkendecke aufgestiegen und doch noch bis südlich von Ulm geflogen. „Von dort ging es dann mit einer netten Anwohnerin direkt nach Ulm und mit einem weiteren Autostopp war ich wieder am Neuffen und bin dann nochmal Richtung Sonnenbühl gestartet. Fast hat es gereicht“, so der „thermikdreher“.
Mal über das Industriegebiet in Schelklingen zu fliegen, das sei keine exotische Ausnahme, weiß
Ralf Straub von den Hüttener Gleitschirmfliegern. Er habe von Fliegerkollegen schon ein paar Mal gehört, dass man über die Schornsteine geflogen sei. Eben, weil es in diesem Bereich sonst mau aussehe, was die Thermik angeht. Die Gleitschirmf lieger müssen sich an gewisse Regeln halten. Beispielsweise ist eine Sicherheitsmindesthöhe von 150 Meter über Grund einzuhalten. Mit einer Ausnahme: Bei der Thermiksuche gibt es Sonderrechte. Wenn es also notwendig ist, dann dürfe man wie beim Flug über das Zementwerk davon Gebrauch machen. Sowohl Dreher als auch Straub betonen, dass Vorund Rücksicht stets wichtig seien. Es gebe etwa Flüge über Kühltürme von Atomkraftwerken, so Straub, „aber so was muss natürlich nicht sein“.
Straub kennt Dreher, beschreibt ihn als guten Piloten, der sehenswerte Videos produziert. Auch er selbst habe in der Vergangenheit immer wieder Videos gemacht und geschnitten. Auf der Homepage der Gleitschirmf lieger Urenschwang sind mehrere davon verlinkt. Unter anderem auch, wie die Thermik in Hütten
fürs „Aufdrehen“genutzt wird, sprich Straub sich bis auf eine Höhe von 1130 Meter hochschraubt, um dann abzufliegen.
Das würden die Gleitschirmf lieger in Hütten am liebsten jetzt schon tun. Doch aktuell stört der Wind eher, als dass er von Nutzen ist. Die Zeit nutzen die Vereinsmitglieder dennoch. Sie betreiben aktiven Naturschutz, indem sie die Grasf lächen in Absprache mit Schäfern und Verantwortlichen im Landratsamt mähen. Doch am liebsten würden sie die Fläche aus einem anderen Blickwinkel betrachten: von weit oben. Bis dahin müssen Videos herhalten – denn die allein schon machen Lust, wieder abzuheben.
Videos der Gleitschirmflieger Urenschwang in Hütten sind auf deren Homepage ebenso zu sehen wie es Berichte etwa von der Hauptversammlung zu lesen gibt: gleitschirmflieger-urenschwang.de. Wer sich für Videos von Michael Dreher interessiert, wird vor allem auf seinem Instagramprofil fündig, dort ist auch der Flug über Schelklingen zu sehen: instagram.com/ thermikdreher (kou)