Oettinger legt den Finger in die Wunden
Ehemaliger Ministerpräsident spricht im BED über die Probleme Europas und Deutschlands
- Der ehemalige CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger hat am Dienstagabend im Ehinger Businesspark zur Lage der Nation gesprochen. „Deutschland –bald nur noch zweite Liga?“war das Thema des ehemaligen EU-Kommissars und dabei nahm der Politiker kein Blatt vor den Mund.
Zehn Jahre Businesspark und das zehnte Ehinger Wirtschaftsforum waren für die Organisatoren rund um die BED-Geschäftsführer Simone Bayer und Professor Michael Gaßner Grund genug, einen Mann als Gastredner einzuladen, der zu polarisieren weiß. Ein Mann mit „Ecken und Kanten und scharfer Analytiker“, wie Ehingens OB Alexander Baumann sagte, der vor vielen Vertretern aus der Wirtschaft am Dienstagabend das Wirtschaftsforum eröffnete.
Und als Oettinger, der auf das gleiche Gymnasium wie Gaßner in der gleichen Jahrgangsstufe ging, ans Rednerpult trat, konnten sich die Zuhörer auf einen Reise durch die Probleme unserer Zeit gefasst machen. „Deutschland – bald nur noch zweite Liga?“, sagte Oettinger, um dann sofort hinterher zu schieben, dass es schön wäre, wenn der SSV Ulm wieder in der zweiten Liga Fußball spielen würde. Auch dass die TSG Ehingen in der Bezirksliga oben mitspielt, wusste Oettinger – gute Vorbereitung ist eben alles.
Doch dann legte der ehemalige baden-württembergische Landesvater los. Er erklärte, dass Deutschlands Wirtschaftswachstum laut aktuellster Prognose des IMF (Internationaler Währungsfonds) von 0,5 auf mickrige 0,2 Prozent reduziert wurde und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) längst noch nicht das Vor-CoronaNiveau erreicht habe. Dabei erinnerte Oettinger daran, dass Deutschland „schon mal der kranke Mann Europas“gewesen sei, nämlich im Jahr 2002. „Damals hat man das auch nicht wahrhaben wollen. Man hat es lange negiert, dann hat man aber agiert und vor allem reformiert. Und das unter Kanzler Schröder“, sagte Oettinger, der heute aber über den Alt-Kanzler der SPD sagt: „Nun hat er sich leider verrannt.“Damals jedoch sei die berühmte Agenda 2010 richtig gewesen, sie habe Prosperität und Produktivität gebracht. Dass die Politik damals unter Zugzwang stand, also gezwungen war, sofort und konsequent zu handeln, lag laut Oettinger an der enorm hohen Zahl an Arbeitslosen. „Mehr als fünf Millionen Arbeitslose zwingen zum Handeln. Jetzt haben wir aber eine andere Demografie. Wir haben einen Mangel an Arbeitskräften und scheinbar keinen Grund zum Handeln“, so der Politiker.
Dass aber aus Energie-Gründen eine Weltfirma wie Miele am Stammsitz Gütersloh Stellen abbaut und nach Polen verlagert oder die Firma Stihl aus Waiblingen nicht dort sondern in der Schweiz investiert, seien laut Oettinger mehr als nur Warnsignale aus der deutschen Wirtschaft. „Eigentlich sollte deswegen keiner von uns aktuell mehr richtig schlafen können“, warnte der CDU-Mann, der dann seinen Blick in Richtung USA schweifen ließ. Im Jahr 2010 sei das BIP Europas noch größer als das der USA gewesen. „Heute ist das BIP Europas um 30 Prozent zurückgegangen, während die USA wachsen und gedeihen“, so Oettinger. Während Deutschlands Wirtschaftswachstum eben jene verschwindend geringe 0,2 Prozent seien, habe die USA aktuell ein Wachstum von satten zwei Prozent – Tendenz steigend.
„Europa befindet sich zudem im Kampf der Systeme zwischen Demokratie und Autokratie. Mehr Länder auf der Welt werden von Autokraten geführt als von Demokraten“, betonte Oettinger, der deutlich machte, dass es längst an der Zeit sei, endlich aufzuwachen, zu agieren. „Sonst werden die Autokraten die Welt von morgen bestimmen.“
Dass der hart erarbeitete Wohlstand Deutschlands längst auf dem Spiel steht, machte Oettinger nochmals deutlich. So habe er erfahren, dass von den rund zwölf Millionen Kunden der Deutschen Bank (inklusive Postbank) 60 Prozent kein Geld mehr ansparen können und dass 30 Prozent davon monatlich ihr Vermögen verringern, sei mehr als alarmierend.
„Wir haben einen klaren Wohlstandsverlust. Das macht mir Angst“, wurde Oettinger dann auch deutlich. Ebenso „Angst“mache ihm die „ungesteuerte Migration“. „Diese Migration wird von Verbrechern gesteuert. Wenn das so anhält, ist das ein gefundenes Fressen für alle Populisten von rechts und links und eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Von zehn Zuwanderern gehen acht in den Sozialstaat. Menschen, die arbeiten wollen, gehen woanders hin“, sagte Oettinger, der sich ebenso davor fürchtet, dass „der Pausenclown Donald Trump“am 5. November wieder US-Präsident wird. „Wir sind in keinster Form auf Trump vorbereitet“, so Oettinger, der dabei auf die äußere Sicherheit anspielte. „Die hat uns nicht interessiert. Wir haben zwar tolle Soldaten, unsere Geräte sind aber unter
aller Sau.“Ebenso „schwierig“ist für Oettinger der „aufgeblähte Staatsapparat. „Die Quote an Staat ist höher als je zuvor, die Steuern sind höher als je zuvor und trotzdem kriegen wir es einfach nicht hin. Ich mache mir große Sorgen um Europa im allgemeinen und Deutschland im Besonderen. Wir waren vorne, sind es aber immer weniger. Und Liebherr hier in Ehingen ist ein sehr besonderer Ausnahmefall.“Denn gerade auch die digitale Revolution würde an Deutschland vorbeigehen. Denn die Innovationen kommen aus dem Silicon Valley und die Produktion findet ebenfalls woanders statt. „Und von den zehn besten Unis der Welt sind acht in den USA und die beiden guten aus Europa, Oxford und Cambridge, sind nicht in der EU. Wir fallen hier in allen Bereichen immer stärker zurück und brauchen deshalb eine Agenda und den Mut der Politiker, den Menschen auch wieder etwas zuzumuten und abzuverlangen.“
Dass dabei eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich nicht weiterhelfen wird, stellte Oettinger ebenso klar wie die Tatsache, dass 70 Prozent der Berufe in Deutschland eben nicht Homeoffice-fähig seien. „Und wenn die erfahrenen Mitarbeiter nur noch daheim hocken, können sie den jüngeren nichts weitergeben“, ärgerte sich der ehemalige Landesvater, der auch der Rente mit 63 einen Riegel vorschieben will. „Die Besten gehen dann aus dem Arbeitsmarkt raus. Wir müssen dafür sorgen, dass Rentner beispielsweise 3000 Euro im Monat steuerfrei verdienen dürfen. Wir brauchen diese Leute.“
Dass man in diesem Land auch wieder mutige Entscheidungen treffen muss, machte Oettinger letztlich an einem Ehinger Beispiel deutlich, als er noch Ministerpräsident war. „Im Jahr 2007 ging es um die Erweiterung des Liebherr-Werks hier in Ehingen. Ich war damals involviert. Natürlich mussten wir in die Natur eingreifen, wir haben das aber so maßvoll wie möglich gemacht. Hätten wir damals auf die Nabus und andere gehört, wäre nichts weiterentwickelt worden und Ehingen würde anders dastehen“, so Oettinger, der fordert, dass nun endlich wieder ein Ruck durch das Land geht. „Und dabei ist es mir egal, wer regiert. Denn aus diesem Alter bin ich raus.“