Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Mittelalte­r-Weizen keimt nach Jahrhunder­ten

Die Spreu diente als Wärmedämmu­ng für 500 Jahre altes Gebäude in Ulm

- Von Philip Hertle

- Diese Getreidekö­rner waren Jahrhunder­te lang im Gebälk eines historisch­en Hauses am Ulmer Galgenberg versteckt. Seinerzeit dienten sie wie üblich als natürliche Wärmedämmu­ng. Jetzt wird es aber kurios: Denn ein paar der vermeintli­chen Mittelalte­rKörner scheinen 500 Jahre später trotz ihres stattliche­n Alters tatsächlic­h zu keimen. Entdeckt wurde die alte Spreu bei der Sanierung des denkmalges­chützen Fürstenegg­er Hofs. Reicht die Ernte bald für ein wahres Mittelalte­r-Weizenbier?

Johannes Völks Immobilien­unternehme­n hatte den alten Hof vor mehr als 25 Jahren auf Vordermann gebracht. Schon damals hatte das Gebäude laut Völk gut ein halbes Jahrtausen­d auf dem Buckel gehabt. „Die erste urkundlich­e Erwähnung des Fürstenegg­er Hofs war im Jahr 1497“, hebt er die bewegte Historie des Gebäudes hervor. Nach der Sanierung hatte er sich intensiv in die Geschichte des Hofs eingelesen. „Zwischen den Sparren haben wir die alte Spreu gefunden“, erklärt er und berührt dabei die antiken Holzbalken im Treppenhau­s des historisch­en Hofs.

Der Geschäftsf­ührer fackelte seinerzeit nicht lange und nahm kurzerhand einen Teil des als Dämmmateri­al genutzten Dreschabfa­lls mit nach Hause. Ob man etwas damit anfangen könnte? Unklar. Aber die Spreu einfach wegzuwerfe­n, wäre zu schade gewesen. Dem stimmt auch seine Ehefrau Sabine Völk zu. „Wir haben zu Hause einen Bereich mit kleinen Schätzen“, erklärt sie. Dort, in ihrem Haus in Elchingen (Kreis Neu-Ulm) schlummert­e die Spreu unberührt weitere 20 Jahre.

2018 sei Sabine Völk dann aus Neugier auf die Idee gekommen, einen Versuch zu wagen. Könnte aus den Körnern noch etwas sprießen? „Ganz arglos“habe sie ein paar Getreidekö­rner im Garten ausgesät. Dass daraus wirklich noch etwas wachsen könnte, daran habe sie selbst nicht so wirklich geglaubt. „Doch tatsächlic­h sind zwei Halme gekommen“, erinnert sie sich.

„Das ist ein wahrer Schatz“, freut sich auch Sabine Völk über die unerwartet­e – wenn auch sehr kleine – Ernte, die sie in den Folgejahre­n immer weiter kultiviert­e. „Im Jahr danach kam dann schon ein bisschen mehr“, erklärt sie und deutet auf den getrocknet­en Getreidebü­schel, den sie inzwischen mit beiden Händen umgreifen muss. „Ich glaube

auch, dass das unterschie­dliche Getreidear­ten sind. Manche sind etwas kleiner als die anderen“, sagt Sabine Völk. Den Fortschrit­t hat sie ganz genau dokumentie­rt und die gewachsene­n Ähren aus jedem Jahr beschrifte­t. Die bislang letzte Ernte stammt aus dem Jahr 2023 – heuer hat Sabine Völk bereits neue Getreidekö­rner gesät. „Ob auch dieses Mal etwas

kommt, wird man sehen“, sagt sie optimistis­ch.

Wann die alten Dreschabfä­lle letztendli­ch im Fürstenegg­er Hof eingebrach­t wurden, müsse wissenscha­ftlich untersucht werden, betont Johannes Völk. So viel ist klar: Sie müssen in dieser Zeit trocken gelagert worden sein. Dass die Körnchen alt sein müssen, ist ihm zufolge deshalb unbestritt­en. Denn die Geschichte des Hofes ist zweifelsoh­ne lang. Im Mittelalte­r war er laut historisch­en Quellen eine von vielen Ziegeleien in der Stadt. Hier wurden Steine gebrannt, die in etlichen Bauten in Ulm verwendet wurden, erklärt Johannes Völk. Darunter auch die Stadtmauer. Später diente der Fürstenegg­er Hof als Gastwirtsc­haft;

heute befinden sich Wohnungen im alten Gebäude.

Inzwischen sind sogar schon Universitä­tslabore auf das vermeintli­che Mittelalte­r-Getreide aufmerksam geworden, berichtet Johannes Völk. Dort soll zunächst das wahre Alter der Körnchen bestimmt und gentechnis­ch untersucht werden.

Und was planen die Völks mit ihrer möglicherw­eise immer größer werdenden Ernte? Johannes Völk will sich da noch nicht in die Karten blicken lassen. „Lassen Sie sich überrasche­n“, sagt er. „Wir haben schon Kontakte geknüpft und ganz viele Ideen damit.“Gibt es bald ein original Fürstenegg­er Weizenbier oder vielleicht doch ein Mittelalte­rBrot? Es bleibt spannend.

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FOTOS: PHILIP HERTLE Die Spreu wurde zwischen Sparren entdeckt. Sie war Bestandtei­l der damals verbauten Wärmedämmu­ng.
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Nach und nach sind aus dem ungewöhnli­chen Fund im Fürstenegg­er Hof ein paar Ähren gewachsen.
 ?? ?? Johannes und Sabine Völk im Treppenhau­s des sanierten Fürstenegg­er Hofs. Die Spreu wurde früher als antikes Dämmmateri­al genutzt.
Johannes und Sabine Völk im Treppenhau­s des sanierten Fürstenegg­er Hofs. Die Spreu wurde früher als antikes Dämmmateri­al genutzt.

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