Mittelalter-Weizen keimt nach Jahrhunderten
Die Spreu diente als Wärmedämmung für 500 Jahre altes Gebäude in Ulm
- Diese Getreidekörner waren Jahrhunderte lang im Gebälk eines historischen Hauses am Ulmer Galgenberg versteckt. Seinerzeit dienten sie wie üblich als natürliche Wärmedämmung. Jetzt wird es aber kurios: Denn ein paar der vermeintlichen MittelalterKörner scheinen 500 Jahre später trotz ihres stattlichen Alters tatsächlich zu keimen. Entdeckt wurde die alte Spreu bei der Sanierung des denkmalgeschützen Fürstenegger Hofs. Reicht die Ernte bald für ein wahres Mittelalter-Weizenbier?
Johannes Völks Immobilienunternehmen hatte den alten Hof vor mehr als 25 Jahren auf Vordermann gebracht. Schon damals hatte das Gebäude laut Völk gut ein halbes Jahrtausend auf dem Buckel gehabt. „Die erste urkundliche Erwähnung des Fürstenegger Hofs war im Jahr 1497“, hebt er die bewegte Historie des Gebäudes hervor. Nach der Sanierung hatte er sich intensiv in die Geschichte des Hofs eingelesen. „Zwischen den Sparren haben wir die alte Spreu gefunden“, erklärt er und berührt dabei die antiken Holzbalken im Treppenhaus des historischen Hofs.
Der Geschäftsführer fackelte seinerzeit nicht lange und nahm kurzerhand einen Teil des als Dämmmaterial genutzten Dreschabfalls mit nach Hause. Ob man etwas damit anfangen könnte? Unklar. Aber die Spreu einfach wegzuwerfen, wäre zu schade gewesen. Dem stimmt auch seine Ehefrau Sabine Völk zu. „Wir haben zu Hause einen Bereich mit kleinen Schätzen“, erklärt sie. Dort, in ihrem Haus in Elchingen (Kreis Neu-Ulm) schlummerte die Spreu unberührt weitere 20 Jahre.
2018 sei Sabine Völk dann aus Neugier auf die Idee gekommen, einen Versuch zu wagen. Könnte aus den Körnern noch etwas sprießen? „Ganz arglos“habe sie ein paar Getreidekörner im Garten ausgesät. Dass daraus wirklich noch etwas wachsen könnte, daran habe sie selbst nicht so wirklich geglaubt. „Doch tatsächlich sind zwei Halme gekommen“, erinnert sie sich.
„Das ist ein wahrer Schatz“, freut sich auch Sabine Völk über die unerwartete – wenn auch sehr kleine – Ernte, die sie in den Folgejahren immer weiter kultivierte. „Im Jahr danach kam dann schon ein bisschen mehr“, erklärt sie und deutet auf den getrockneten Getreidebüschel, den sie inzwischen mit beiden Händen umgreifen muss. „Ich glaube
auch, dass das unterschiedliche Getreidearten sind. Manche sind etwas kleiner als die anderen“, sagt Sabine Völk. Den Fortschritt hat sie ganz genau dokumentiert und die gewachsenen Ähren aus jedem Jahr beschriftet. Die bislang letzte Ernte stammt aus dem Jahr 2023 – heuer hat Sabine Völk bereits neue Getreidekörner gesät. „Ob auch dieses Mal etwas
kommt, wird man sehen“, sagt sie optimistisch.
Wann die alten Dreschabfälle letztendlich im Fürstenegger Hof eingebracht wurden, müsse wissenschaftlich untersucht werden, betont Johannes Völk. So viel ist klar: Sie müssen in dieser Zeit trocken gelagert worden sein. Dass die Körnchen alt sein müssen, ist ihm zufolge deshalb unbestritten. Denn die Geschichte des Hofes ist zweifelsohne lang. Im Mittelalter war er laut historischen Quellen eine von vielen Ziegeleien in der Stadt. Hier wurden Steine gebrannt, die in etlichen Bauten in Ulm verwendet wurden, erklärt Johannes Völk. Darunter auch die Stadtmauer. Später diente der Fürstenegger Hof als Gastwirtschaft;
heute befinden sich Wohnungen im alten Gebäude.
Inzwischen sind sogar schon Universitätslabore auf das vermeintliche Mittelalter-Getreide aufmerksam geworden, berichtet Johannes Völk. Dort soll zunächst das wahre Alter der Körnchen bestimmt und gentechnisch untersucht werden.
Und was planen die Völks mit ihrer möglicherweise immer größer werdenden Ernte? Johannes Völk will sich da noch nicht in die Karten blicken lassen. „Lassen Sie sich überraschen“, sagt er. „Wir haben schon Kontakte geknüpft und ganz viele Ideen damit.“Gibt es bald ein original Fürstenegger Weizenbier oder vielleicht doch ein MittelalterBrot? Es bleibt spannend.