Steine klopfen für die Wissenschaft
Im Blaubeurer Urmu zeigen Experten die Herstellung von steinzeitlichen Werkzeugen
- Tausende von Jahren hat der Mensch auf Werkzeuge und Waffen aus Stein gebaut. Erst seit vergleichsweise kurzer Zeit verwenden wir Metall oder weiterentwickelte Werkstoffe. Aber wie haben die Menschen damals diese Steinwerkzeuge hergestellt – und welche? Solchen Antworten nähern sich die Expertinnen und Experten beim 15. Flintknapping Symposium im Blaubeurer Urgeschichtlichen Museum (Urmu). Auch Besucher können teils mitmachen und vor allem Fragen stellen. Wir haben schon mal reingeschaut.
Vor Tausenden von Jahren begannen die Vorfahren der heutigen Menschen Werkzeuge zu benutzen, um Vorteile zu erlangen: Steine spielen in der Forschung deswegen eine so große Rolle, weil sie anders als Holz, Leder, Sehnen oder Pflanzenfasern die Jahrtausende weitgehend unbeschadet überdauern. Was die Forschung interessiert, sind vor allem bearbeitete Steine. Und da kommen die „Flintknapper“oder „Feuersteinschläger“ins Spiel. Sie erforschen, wie Werkzeuge hergestellt wurden und versuchen sich experimentell selbst darin.
Feuerstein oder Flint zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er, wenn er zerschlagen wird, vergleichsweise dünne und scharf kantige Scherben bildet. Diese haben Menschen und ihre Vorfahren als oder in ihren Werkzeugen eingesetzt. Allerdings bringt das bloße Zertrümmern eines Flints noch lange keine Pfeilspitze hervor, wie jeder, der das mal beispielsweise an der Ostsee versucht hat, bestätigen wird. Um ein komplexeres, funktionierendes Werkzeug aus einem Stein zu schaffen, bedarf es einer gewissen Meisterschaft.
Wie solche Steinwerkzeuge geschaffen wurden und werden, weiß Jan Scheide. Der 25-Jährige studiert Geologie an der Uni Göttingen und ist Organisator des Flintknapping Symposiums in Blaubeuren. Er sagt von sich, dass er wirklich viele Steine hat. Er erklärt, wo der wissenschaftliche Gedanke des Treffens liegt: Es gehe darum, den Nutzen archäologischer Fundstücke zu finden und diese dann nachzubauen. Denn nur dann könne man sehen, wie die vorhistorischen Menschen
tickten: „Indem wir heute versuchen, die Werkzeuge nachzubauen, bekommen wie eine Idee der kognitiven Fähigkeiten der Menschen von damals. Für die allermeisten Werkzeuge war ein planendes Vorgehen zwingend notwendig. Und es brauchte viel Vorbereitung und auch viel Erfahrung, um diese Stücke herzustellen.“
„Anhand von prähistorischen Fundstellen können wir belegen, dass das Steineschlagen schon vor 20.000 Jahren gezielt von Experten an Schüler weitergeben wurde“, sagt er. Und auch heute sei das in gewisser Hinsicht so. Zwar gibt es Literatur und Anleitungen zur Steinwerkzeugherstellung. Aber den Austausch der Menschen unter realen Bedingungen, die sich damit beschäftigen, könne nichts ersetzten.
Nicholas Conrad, Leiter der Älteren Urgeschichte der Uni Tübingen und Wissenschaftlicher Direktor des Urmu, sagt über das FlintknappingSymposium: „Es ist eine wissenschaftliche Veranstaltung und bietet einen Austausch auf hoher Ebene. Klar kann jeder
für sich alleine forschen. Aber im Austausch entwickelt man das Wissen weiter, es geht nicht verloren und es wird auch neues Wissen generiert.“Die Geschäftsführende Direktorin Stefanie Kölbl erklärt: „Wir sind ja auch eine Forschungsstätte. Und da ist es toll, dass sich bei uns über 40 Menschen aus neun Nationen treffen, um gemeinsam zu forschen.“
Scheide erklärt, dass der Mensch über 90 Prozent seiner bisherigen Geschichte Werkzeuge aus Stein verwendete, also viel länger als welche aus Metall. „Eines der ersten Werkzeuge, das der Mensch nutzte, ist der sogenannte Chopper“, sagt er. Dabei handelt es sich um einen etwa faustgroßen Kiesel, von dem ein Teil abgeschlagen wird, sodass eine scharfe Kante entsteht.
Elena Moos (24), Archäologiestudentin aus Tübingen, demonstriert sogleich die Herstellung eines solchen Choppers: Sie nimmt einen Kiesel, schlägt einige Male gezielt mit einem anderen Stein darauf und erhält nach wenigen Schlägen eine scharfe Kante. Ob mit einem solchen Werkzeug Knochen aufgebrochen wurden, um ans energiereiche Mark zu gelangen, ist möglich, aber welche Auswirkungen das auf den Menschen hatte, auch strittig in der Wissenschaft.
Später wurden die Steinwerkzeuge immer ausgefeilter und filigraner.
So seien als nächste Stufe beispielsweise Faustkeile aufgekommen und sogenannte Blattspitzen. Letztere wurden als Spitzen für Projektile verwendet und hatten eine ähnliche Form wie Lorbeerblätter. Friedrich Palmer aus Enigen bei Reutlingen hat solche „Lorbeerblätter“hergestellt. Er hat aber auch einen Flintblock mitgebracht, an dem er zeigt, wie man Scherben abschlägt, aus Teilen derer sich Klingenbausteine für steinzeitliche Handsensen herstellen lassen. Dazu werden die oft nur zentimeterlangen, scharfen Scherben mittels Birkenpech in aufwändig bearbeitete Geweihrahmen geklebt.
Immer ausgefeilter wurden die Steinwerkzeuge der Menschen, erklärt Jan Scheide. Die Kunst gipfelte in Skandinavien in der Herstellung von Schwertern und Dolchen, welche den inzwischen weiter südlich gegossenen Bronzewaffen teils sehr detailverliebt nachempfunden waren.
Den Hintergrund erklärt Archäologin Moos: „In Skandinavien gab es keine Rohstoffe für die Bronzeherstellung, aber es gab – auch heute noch – sehr große Steinvorkommen.“Somit stellten die Skandinavier eben Produkte her aus dem, was sie hatten – auf höchstem handwerklichem Niveau. Dass man ein Schwert oder einen Dolch aus Flint nicht wirklich benutzen konnte, war ihnen auch klar.
Aber sie stellten sie massenhaft her – einfach nur, weil sie es konnten, und man sich damit schmückte. Einen Nachbau des „Feuersteinschwerts von Åtte Bjerge“zeigt sie den Besuchern am Wochenende.
Am Samstag, 11. Mai, 11 bis 16 Uhr, geben die Experten unter dem Motto „zuschauen.beobachten.diskutieren.“Antworten auf alle Fragen zu urgeschichtlichen Werkzeugmaterialien und den unterschiedlichen Verarbeitungstechniken.
„Indem wir heute versuchen, die Werkzeuge nachzubauen, bekommen wie eine Idee der kognitiven Fähigkeiten der Menschen von damals.“Jan Scheide
Am Sonntag, 12. Mai, 11 bis 16 Uhr, lautet die Devise „fühlen.tasten.selbermachen.“: Bei dem Aktionstag haben Groß und Klein die Möglichkeit, selbst Hand anzulegen. So können mit Hilfe steinzeitlicher Werkzeuge Funken geschlagen werden, Steinzeitmesser aus Holz, Feuerstein und Harzkleber hergestellt werden oder aus natürlichen Materialien Schmuckketten gebastelt werden. Außerdem gibt es von 11 bis 14 Uhr den Workshop Speerschleuderbau: Erwachsene und Jugendliche ab 14 Jahren können dort eine Schleuder und einen Speer mit Befiederung fertigen und werden in die Wurftechnik der ältesten komplexen Fernwaffe der Welt eingeführt (Workshop-Kosten 45 Euro, Anmeldung unter empfang@urmu.de oder Telefon 07344/9669-916).