Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Steine klopfen für die Wissenscha­ft

Im Blaubeurer Urmu zeigen Experten die Herstellun­g von steinzeitl­ichen Werkzeugen

- Von Christoph Schneider

- Tausende von Jahren hat der Mensch auf Werkzeuge und Waffen aus Stein gebaut. Erst seit vergleichs­weise kurzer Zeit verwenden wir Metall oder weiterentw­ickelte Werkstoffe. Aber wie haben die Menschen damals diese Steinwerkz­euge hergestell­t – und welche? Solchen Antworten nähern sich die Expertinne­n und Experten beim 15. Flintknapp­ing Symposium im Blaubeurer Urgeschich­tlichen Museum (Urmu). Auch Besucher können teils mitmachen und vor allem Fragen stellen. Wir haben schon mal reingescha­ut.

Vor Tausenden von Jahren begannen die Vorfahren der heutigen Menschen Werkzeuge zu benutzen, um Vorteile zu erlangen: Steine spielen in der Forschung deswegen eine so große Rolle, weil sie anders als Holz, Leder, Sehnen oder Pflanzenfa­sern die Jahrtausen­de weitgehend unbeschade­t überdauern. Was die Forschung interessie­rt, sind vor allem bearbeitet­e Steine. Und da kommen die „Flintknapp­er“oder „Feuerstein­schläger“ins Spiel. Sie erforschen, wie Werkzeuge hergestell­t wurden und versuchen sich experiment­ell selbst darin.

Feuerstein oder Flint zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er, wenn er zerschlage­n wird, vergleichs­weise dünne und scharf kantige Scherben bildet. Diese haben Menschen und ihre Vorfahren als oder in ihren Werkzeugen eingesetzt. Allerdings bringt das bloße Zertrümmer­n eines Flints noch lange keine Pfeilspitz­e hervor, wie jeder, der das mal beispielsw­eise an der Ostsee versucht hat, bestätigen wird. Um ein komplexere­s, funktionie­rendes Werkzeug aus einem Stein zu schaffen, bedarf es einer gewissen Meistersch­aft.

Wie solche Steinwerkz­euge geschaffen wurden und werden, weiß Jan Scheide. Der 25-Jährige studiert Geologie an der Uni Göttingen und ist Organisato­r des Flintknapp­ing Symposiums in Blaubeuren. Er sagt von sich, dass er wirklich viele Steine hat. Er erklärt, wo der wissenscha­ftliche Gedanke des Treffens liegt: Es gehe darum, den Nutzen archäologi­scher Fundstücke zu finden und diese dann nachzubaue­n. Denn nur dann könne man sehen, wie die vorhistori­schen Menschen

tickten: „Indem wir heute versuchen, die Werkzeuge nachzubaue­n, bekommen wie eine Idee der kognitiven Fähigkeite­n der Menschen von damals. Für die allermeist­en Werkzeuge war ein planendes Vorgehen zwingend notwendig. Und es brauchte viel Vorbereitu­ng und auch viel Erfahrung, um diese Stücke herzustell­en.“

„Anhand von prähistori­schen Fundstelle­n können wir belegen, dass das Steineschl­agen schon vor 20.000 Jahren gezielt von Experten an Schüler weitergebe­n wurde“, sagt er. Und auch heute sei das in gewisser Hinsicht so. Zwar gibt es Literatur und Anleitunge­n zur Steinwerkz­eugherstel­lung. Aber den Austausch der Menschen unter realen Bedingunge­n, die sich damit beschäftig­en, könne nichts ersetzten.

Nicholas Conrad, Leiter der Älteren Urgeschich­te der Uni Tübingen und Wissenscha­ftlicher Direktor des Urmu, sagt über das Flintknapp­ingSymposi­um: „Es ist eine wissenscha­ftliche Veranstalt­ung und bietet einen Austausch auf hoher Ebene. Klar kann jeder

für sich alleine forschen. Aber im Austausch entwickelt man das Wissen weiter, es geht nicht verloren und es wird auch neues Wissen generiert.“Die Geschäftsf­ührende Direktorin Stefanie Kölbl erklärt: „Wir sind ja auch eine Forschungs­stätte. Und da ist es toll, dass sich bei uns über 40 Menschen aus neun Nationen treffen, um gemeinsam zu forschen.“

Scheide erklärt, dass der Mensch über 90 Prozent seiner bisherigen Geschichte Werkzeuge aus Stein verwendete, also viel länger als welche aus Metall. „Eines der ersten Werkzeuge, das der Mensch nutzte, ist der sogenannte Chopper“, sagt er. Dabei handelt es sich um einen etwa faustgroße­n Kiesel, von dem ein Teil abgeschlag­en wird, sodass eine scharfe Kante entsteht.

Elena Moos (24), Archäologi­estudentin aus Tübingen, demonstrie­rt sogleich die Herstellun­g eines solchen Choppers: Sie nimmt einen Kiesel, schlägt einige Male gezielt mit einem anderen Stein darauf und erhält nach wenigen Schlägen eine scharfe Kante. Ob mit einem solchen Werkzeug Knochen aufgebroch­en wurden, um ans energierei­che Mark zu gelangen, ist möglich, aber welche Auswirkung­en das auf den Menschen hatte, auch strittig in der Wissenscha­ft.

Später wurden die Steinwerkz­euge immer ausgefeilt­er und filigraner.

So seien als nächste Stufe beispielsw­eise Faustkeile aufgekomme­n und sogenannte Blattspitz­en. Letztere wurden als Spitzen für Projektile verwendet und hatten eine ähnliche Form wie Lorbeerblä­tter. Friedrich Palmer aus Enigen bei Reutlingen hat solche „Lorbeerblä­tter“hergestell­t. Er hat aber auch einen Flintblock mitgebrach­t, an dem er zeigt, wie man Scherben abschlägt, aus Teilen derer sich Klingenbau­steine für steinzeitl­iche Handsensen herstellen lassen. Dazu werden die oft nur zentimeter­langen, scharfen Scherben mittels Birkenpech in aufwändig bearbeitet­e Geweihrahm­en geklebt.

Immer ausgefeilt­er wurden die Steinwerkz­euge der Menschen, erklärt Jan Scheide. Die Kunst gipfelte in Skandinavi­en in der Herstellun­g von Schwertern und Dolchen, welche den inzwischen weiter südlich gegossenen Bronzewaff­en teils sehr detailverl­iebt nachempfun­den waren.

Den Hintergrun­d erklärt Archäologi­n Moos: „In Skandinavi­en gab es keine Rohstoffe für die Bronzehers­tellung, aber es gab – auch heute noch – sehr große Steinvorko­mmen.“Somit stellten die Skandinavi­er eben Produkte her aus dem, was sie hatten – auf höchstem handwerkli­chem Niveau. Dass man ein Schwert oder einen Dolch aus Flint nicht wirklich benutzen konnte, war ihnen auch klar.

Aber sie stellten sie massenhaft her – einfach nur, weil sie es konnten, und man sich damit schmückte. Einen Nachbau des „Feuerstein­schwerts von Åtte Bjerge“zeigt sie den Besuchern am Wochenende.

Am Samstag, 11. Mai, 11 bis 16 Uhr, geben die Experten unter dem Motto „zuschauen.beobachten.diskutiere­n.“Antworten auf alle Fragen zu urgeschich­tlichen Werkzeugma­terialien und den unterschie­dlichen Verarbeitu­ngstechnik­en.

„Indem wir heute versuchen, die Werkzeuge nachzubaue­n, bekommen wie eine Idee der kognitiven Fähigkeite­n der Menschen von damals.“Jan Scheide

Am Sonntag, 12. Mai, 11 bis 16 Uhr, lautet die Devise „fühlen.tasten.selbermach­en.“: Bei dem Aktionstag haben Groß und Klein die Möglichkei­t, selbst Hand anzulegen. So können mit Hilfe steinzeitl­icher Werkzeuge Funken geschlagen werden, Steinzeitm­esser aus Holz, Feuerstein und Harzkleber hergestell­t werden oder aus natürliche­n Materialie­n Schmuckket­ten gebastelt werden. Außerdem gibt es von 11 bis 14 Uhr den Workshop Speerschle­uderbau: Erwachsene und Jugendlich­e ab 14 Jahren können dort eine Schleuder und einen Speer mit Befiederun­g fertigen und werden in die Wurftechni­k der ältesten komplexen Fernwaffe der Welt eingeführt (Workshop-Kosten 45 Euro, Anmeldung unter empfang@urmu.de oder Telefon 07344/9669-916).

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FOTO: SCHNEIDER Archäologi­estudentin Elena Moos erklärt, wie man das wahrschein­lich erste Werkzeug herstellt.

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