Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Entsetzen nach Brand in Flüchtlingsheim
Enzkreis: Brandstiftung in geplanter Unterkunft vermutet – „Schande für Baden-Württemberg“
(lsw/sz) - Landesund Bundespolitiker unterschiedlicher Parteien haben mit Entsetzen und Wut auf den Brand einer geplanten Flüchtlingsunterkunft in Remchingen (Enzkreis) im Nordschwarzwald reagiert. In der Nacht zum Samstag war dort ein leerstehendes früheres Vereinsheim in Flammen aufgegangen, in das im Jahr 2016 Flüchtlinge einziehen sollten. Die Polizei geht von Brandstiftung aus.
Im Zusammenhang mit der jüngsten Serie von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte vermutet auch Baden-Württembergs Ministerpräsi- dent Winfried Kretschmann (Grüne) einen fremdenfeindlichen Hintergrund des Brands in Remchingen. „Wir werden alles daransetzen, den niederträchtigen Brandanschlag (…) aufzuklären. Bei uns ist kein Platz für Hass und Ausgrenzung“, sagte Kretschmann. Vizeregierungschef Nils Schmid (SPD) nannte den Brand von Remchingen beim Kurznachrichtendienst Twitter „eine Schande für Deutschland und BadenWürttemberg“.
CDU-Landeschef Thomas Strobl und Landtagsfraktionschef Guido Wolf betonten, dass Baden-Würt- temberg weiterhin eine Zuflucht für Flüchtlinge bleiben müsse, deren Leib und Leben bedroht sind. „Wenn sich Gewalt gegen Asylbewerberheime richtet, ist das unerträglich. Es ist ein Zeichen von Fremdenhass und von Dummheit“, hieß es in einer Mitteilung der Unionsspitze.
Polizei und Staatsanwaltschaft wollten heute nähere Informationen zum Hintergrund des Feuers bekannt geben, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag. Die „Ermittlungsgruppe Meilwiese“analysiert unter anderem den Brandschutt nach möglichen Brandbeschleunigern, nach- dem ein Polizeisprecher bereits am Samstag von einer „enormen Hitzeentwicklung“gesprochen hatte.
Unter dem Eindruck des anhaltenden Flüchtlingsstroms nach Europa hat SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann unterdessen seine Forderung nach einem bundesdeutschen Einwanderungsgesetz bekräftigt, bei dem alle Einwanderer schnell Klarheit haben, ob sie bleiben können oder nicht. Kinder, die in der Schule perfekt Deutsch gelernt hätten, sollten nicht mehr weggeschickt werden, forderte der Sozialdemokrat weiter.
- Heiko Maas zeigte sich entsetzt: „Jeder Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft ist ein Anschlag auf unsere Gesellschaft“, so der Bundesjustizminister gestern in Berlin. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) stimmte dem SPD-Politiker zu, sprach von „niederträchtigen Brandanschlägen“. Am Wochenende kam es in Flüchtlingsunterkünften in Remchingen in Baden-Württemberg und im unterfränkischen Waldaschaff zu Bränden. Die Polizei ermittelt, schließt in beiden Fällen einen fremdenfeindlichen Hintergrund nicht aus. Die Politik ist schockiert. Doch wie soll Deutschland auf die immer stärker ansteigende Zahl Schutzsuchender reagieren? Ist das Land überfordert?
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) weist das entschieden zurück. Allerdings: Die Stimmung in der Bevölkerung sei aufgeladen. De Maizière will vor allem den Zustrom von Flüchtlingen aus den Balkanstaaten verringern. Es sei eine „Schande für Europa“, dass 40 Prozent aller Asylbewerber in Deutschland aus dieser Region kämen. In der Bevölkerung sorge diese hohe Zahl für Unverständnis, zumal weniger als ein Prozent der Balkanflüchtlinge anerkannt werden. „Das Wichtigste ist, deren Anzahl drastisch zu reduzieren“, sagt der CDU-Politiker. Dafür müssten die Anreize verändert werden. De Maizière stellt die Barleistungen zur Disposition, die Asylbewerber hierzulande bekommen. Es geht um 143 Euro im Monat – auf dem Balkan eine Menge Geld. „Ohne Scheuklappen“wolle er es überprüfen.
Auch CSU-Chef Horst Seehofer setzt auf Abschreckung. Bayern solle künftig nur noch Mindeststandards erfüllen und möglichst unattraktiv wirken, um keine falschen Anreize zu schaffen, so der CSU-Chef. Dass Zehntausende vom Balkan nach Deutschland kämen sei „massenhafter Missbrauch“, erklärte der bayerische Ministerpräsident. „Wir müssen rigorose Maßnahmen ergreifen, das werden wir am Montag tun“, sagte er mit Blick auf die Klausur des bayerischen Kabinetts in St. Quirin am Tegernsee, die von der Diskussion über Asylkosten dominiert werden dürfte. Vor einem Jahr war das bayerische Finanzministerium noch von Kosten unter 500 Millionen Euro ausgegangen. Wegen des starken Anstiegs der Flüchtlingszahlen wird nun mit einem Anstieg auf etwa 2,3 Milliarden Euro kalkuliert.
Grünen-Chefin Simone Peter kritisiert die Aussagen des CSU-Chefs: „Im verbalen Wettstreit mit der AfD zieht Horst Seehofer immer neue Register der Rücksichtslosigkeit“, so Peter im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Mit „gehässigem Gepolter gegen Asylbewerber vom Balkan“wolle Seehofer von den Defiziten seiner eigenen Flüchtlingspolitik ablenken. „Statt sich immer neue Schikanen auszudenken, die Flücht- lingen das Leben schwer machen, sollte die CSU lieber dafür sorgen, dass genügend Personal für eine schnelle Bearbeitung von Asylanträgen vorhanden ist und dass die Bundesregierung Ländern und Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme stärker unter die Arme greift“, so die Grünen-Chefin weiter.
Die SPD schlägt einen anderen Ton an, will den Flüchtlingen hierzulande eine Perspektive geben. „Es läuft etwas grundfalsch in Deutschland, wenn wir einerseits mehr Nachwuchs brauchen und andererseits junge, gut integrierte Flüchtlinge von der Abschiebung bedroht sind“, so Fraktionschef Thomas Oppermann. Ein Einwanderungsgesetz müsse her, bei dem alle Einwanderer schnell Klarheit hätten, ob sie bleiben können oder nicht. „Junge, leistungsbereite Menschen, die sich integrieren wollen, müssen wir willkommen heißen und dürfen sie nicht abschrecken“, so Oppermann weiter.
Der Arbeitgeberverband BDA schloss sich seiner Forderung an und kritisierte die Zugangsbeschränkungen für Asylbewerber zum Arbeitsmarkt. „Es ist in unser aller Interesse, wenn Asylbewerber ihren Lebensunterhalt so schnell wie möglich selbst verdienen können“, so ein Sprecher.