Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Unter Volldampf
In der Großküche der Uni-Mensa Ulm werden täglich 3500 Mahlzeiten zubereitet – Aktuelle Ernährungstrends sind auch dabei
- Produzieren. Dokumentieren. Ausgeben. Der Tagesablauf in der Uni-Mensa Ulm ist eng getaktet. Am laufenden Band stellen die Mitarbeiter der Großküche Mahlzeiten her. Stillstand? Undenkbar. Bis zu 3500 Gerichte werden hier täglich produziert. Davon liefert die Hochschulgastronomie mehr als 1000 Mahlzeiten an ihre fünf Außenstellen – 2500 verzehren die Studenten direkt in der Universität auf dem Eselsberg. Für die Köche und Küchenhilfen bedeutet das: schnippeln, brutzeln und backen. Im Akkord und unter Volldampf. Der knapp bemessene Zeitplan treibt vielen von ihnen Schweißperlen auf die Stirn. Hektik und Stress gehören zum Tagesgeschäft. Genauso wie körperliche Belastung. Was für den einen ein Knochenjob ist, ist für den anderen eine Passion. Denn auch in der Großküche ist Kreativität gefragt. Neben Schnitzel und Pommes schaffen es immer öfter aktuelle Food-Trends auf den Speiseplan.
Für die Frühschicht beginnt der Dienst um sieben Uhr. Dann schlüpfen die Mitarbeiter in ihre Uniform: schwarze Hose, weißes Hemd und Kopfbedeckung. Das charakteristi-
„Jeder macht alles bei uns.“Chefkoch Reiner Thumm
sche Haarnetz sieht man nur selten. Die Arbeitsschuhe sind bequem. Nicht ganz unwichtig, wenn man bis zu acht Stunden auf den Beinen stehen muss. Bevor es an die Töpfe geht, geht es an das Waschbecken. Vor Arbeitsbeginn müssen die Hände desinfiziert werden. Nagellack ist tabu. Wer mit Lebensmitteln zu tun hat, braucht außerdem eine Belehrung vom Gesundheitsamt. Hygiene wird in der Mensa großgeschrieben. Lebensmittelskandale und Undercover-Reportagen haben dem Ruf vieler Großküchen geschadet.
120 Kilogramm Rinderhack
Dann geht es an die Arbeit. Team Salat oder doch Team Schnitzel? In der durchorganisierten Großküche muss sich das keiner fragen. Denn die Arbeitsabläufe sind klar von Chefkoch Reiner Thumm definiert, der seit 20 Jahren die Küche leitet. „Jeder macht alles bei uns – die 45 Küchenhilfen rotieren aus Gerechtigkeitsgründen zwischen den verschiedenen Stationen, denn wie es im Leben nun mal ist, gibt es Arbeiten, die macht man gerne, und andere wieder nicht“, sagt der 55-Jährige. Im Regelfall sorgen mit dem Chefkoch vier weitere Köche für die Umsetzung des wöchentlichen Speiseplans, der alle vier Wochen pro Semester wiederholt wird. Heute steht neben Erbseneintopf, Kartoffelgratin und Hähnchenschnitzel auch ein beliebter Kantinen-Klassiker auf der Tageskarte: Spaghetti Bolognese. Dafür werden circa 120 Kilogramm Rinderhack angebraten, kiloweise Spaghetti gekocht und für die Tomatensauce 20 Kilogramm Tomaten- mark verarbeitet. Die verwendete Masse an Lebensmitteln wirkt befremdlich, doch der Duft der Kreation ist ein bekannter. Beim Vermengen der Zutaten ist voller Körpereinsatz gefragt. Und manchmal auch Geduld. „Stundenlang nur ein Gericht zu kochen, kann auf Dauer ganz schön zäh sein“, sagt Alexander Wiker, der seit eineinhalb Jahren Tausende Studenten mit Essen versorgt.
Davor hat der gelernte Koch in einer Kleingastronomie gearbeitet. Der größte Unterschied? „Die Arbeitszeiten in der Mensa sind für Gastroverhältnisse unschlagbar – am Wochenende und an Feiertagen frei“, erklärt Wiker.
Während die Köche sich eher um die warmen Posten kümmern, richten die Küchenhilfen Salate und Desserts in kleinen, weißen und stapelbaren Porzellan-Schälchen an. Katharina Edit ist eine davon. Sie arbeitet seit elf Jahren in der Großküche. „Es gibt grobe Vorgaben, wie die Salate aussehen sollten. Doch genauso wichtig ist es auch, einen Blick ins Lager zu werfen, um zu prüfen, ob Lebensmittel wegmüssen. Bei der Kombination der Zutaten muss man manchmal kreativ sein“, sagt sie und lacht.
Spülen ist unbeliebt
Sobald die Küchenhilfe ihre Quote für den heutigen Tag erfüllt hat, wechselt sie zu einer anderen Station. Als Nächstes wartet der mit Abstand unbeliebteste Job in der Küche auf sie: Überdimensional große Töpfe und Wannen spülen, in denen literweise Müsli gemischt oder Soßen gekocht wurden – mit der Hand versteht sich. Beim Schrubben der Gefäße ist viel Kraft nötig. Anschließend kann man sich aber den Gang ins Fitnessstudio sparen. „Da muss jeder von uns mal durch“, sagt die schlanke Katharina Edit.
Punkt 10.30 Uhr sollten alle Speisen fertig sein. Dann kommen sie in Wärmewagen und in die verschiedenen Auslagestationen in der Mensa. 500 Sitzplätze hat das Uni-Restaurant. Bis zu fünfmal täglich werden sie besetzt. Doch bevor die Studenten das Büffet stürmen, heißt es zunächst: Mittagspause für die Mitarbeiter. Um halb elf? „Da wir bis 14 Uhr das Essen rausgeben und nach- produzieren müssen, ist das die einzige Gelegenheit, sich mal kurz auszuruhen“, erklärt Reiner Thumm. Während die Mitarbeiter ihre Verschnaufpause haben, arbeiten die Küchengeräte weiter. Sie braten, garen und kochen pausenlos. Personal- kosten müssen auch in der Großküche gespart werden. Und das nicht erst seit Einführung des Mindestlohns. „Unsere Küchenhilfen bekommen 9,40 Euro brutto die Stunde, somit hatte die Lohnverordnung keine Auswirkungen auf uns“, sagt Thumm. In vielen kleineren Gaststätten würden die Mitarbeiter trotz schlechterer Arbeitszeiten deutlich weniger verdienen. „Es wird immer schwieriger, Personal zu finden: Die miese Bezahlung hat vielen jungen Leuten die Liebe zur Gastronomie genommen“, berichtet der Chefkoch.
Regionale Produkte im Trend
In der Mensa werden jährlich rund 40 Tonnen Pommes, 43 100 Eier, 231 000 Brötchen und 150 000 Schokoriegel verbraucht. Für Otto Normalverbraucher sind das unvorstellbare Dimensionen. Doch auch in der Großküche wird nur mit Wasser gekocht. Sehr viel Wasser. Pro Jahr werden nämlich auch 8500 Kilogramm Teigwaren zubereitet. Natürlich nur Bio-Ware. Hier legen Chefkoch Reiner Thumm und Abteilungsleiter Günter Mayer vom Studierendenwerk viel Wert auf regionale und nachhaltige Produkte.
Aber auch die Studenten verlangen immer öfter nach Essen mit Sinn. Denn die Ernährung ist für viele längst Teil der Selbstverwirklichung, Selbstdarstellung und Weltverbesserung geworden. Immer mehr Studenten beziehen mit fleischloser oder sogar veganer Ernährung politisch Stellung in der Gesellschaft. „Auch die Großküche kann sich vor den modernen Ernährungstrends nicht verschließen. Das erfordert vor allem die starke Wettbewerbssituation, in der sich viele Hochschulgastronomien dank sprießender Billigrestaurants befinden“, erklärt Daniel Ohl vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) BadenWürttemberg in Stuttgart.
Hohe Ansprüche
Immer mehr Betriebsrestaurants würden sich laut dem Experten umorientieren. Die Zeiten, in denen Kantinen als geflieste Abfütterungsstationen betrachtet wurden, seien längst vorbei. „Bereits vor zehn Jahren, während der Bio-Trendwende, haben viele Betriebe angefangen umzudenken und ihre Konzepte geändert“, sagt Ohl. Kulinarische Tristesse könnten sich die Massenverpfleger nicht mehr leisten. Der Student geht so lange zur Mensa, bis er bricht – Reiner Thumm kann sich an dieses alte Sprichwort noch sehr gut erinnern. Der Anspruch an das Kantinenessen hätte sich seitdem radikal verändert. Auch in Ulm. Burger-Station mit Hanf-Burger sowie Pizza und Pasta im Uni-Bistro gehören hier zum täglichen Standard.
Für jeden etwas
Es ist 11.30 Uhr. Mahlzeit! Die Essenausgabe beginnt. Diesen Dienst übernimmt die zweite Schicht. Wer sich selbst etwas zusammenstellen will, hat die Wahl zwischen verschiedenen Büffets. Neben dem profanen Salatbüffet sind auch ausgefallenere Alternativen geboten wie Steakhouse- oder Fischbüffet.
Denn ob Pescetarier, Vegetarier oder Flexitarier: Jede Ernährungseinstellung will ja schließlich bedient werden. Wer trotz der großen Auswahl nichts findet, kann sich in den bunten Kioskregalen der Hochschule bedienen. „Der To-go-Markt wächst, und da gehen wir mit“, sagt Reiner Thumm. 5500 Studenten besuchen täglich die Hochschulgastronomie. Mehr als jeder zweite also. Das bedeutet zwar immer noch keinen Gewinn für die Mensa, doch die Großküche finanziert sich zu 60 Prozent selbst. Tendenz steigend.
Bald ein Klimateller
Damit sind die Betreiber zufrieden. „In Zukunft wollen wir noch nachhaltiger werden, mit einem Klimateller, der nur aus Zutaten besteht, die nicht mehr als 50 Kilometer bis zur Uni zurückgelegt haben“, erzählt Günter Mayer.
Außerdem soll eine Studentenumfrage klären, welche Essgewohnheiten in Zukunft noch stärker bedient werden sollten. Der Trend geht auch weiterhin in Richtung Individualität. Individualität auch in der Massenverpflegung.