Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Unter Volldampf

In der Großküche der Uni-Mensa Ulm werden täglich 3500 Mahlzeiten zubereitet – Aktuelle Ernährungs­trends sind auch dabei

- Von Aleksandra Bakmaz

- Produziere­n. Dokumentie­ren. Ausgeben. Der Tagesablau­f in der Uni-Mensa Ulm ist eng getaktet. Am laufenden Band stellen die Mitarbeite­r der Großküche Mahlzeiten her. Stillstand? Undenkbar. Bis zu 3500 Gerichte werden hier täglich produziert. Davon liefert die Hochschulg­astronomie mehr als 1000 Mahlzeiten an ihre fünf Außenstell­en – 2500 verzehren die Studenten direkt in der Universitä­t auf dem Eselsberg. Für die Köche und Küchenhilf­en bedeutet das: schnippeln, brutzeln und backen. Im Akkord und unter Volldampf. Der knapp bemessene Zeitplan treibt vielen von ihnen Schweißper­len auf die Stirn. Hektik und Stress gehören zum Tagesgesch­äft. Genauso wie körperlich­e Belastung. Was für den einen ein Knochenjob ist, ist für den anderen eine Passion. Denn auch in der Großküche ist Kreativitä­t gefragt. Neben Schnitzel und Pommes schaffen es immer öfter aktuelle Food-Trends auf den Speiseplan.

Für die Frühschich­t beginnt der Dienst um sieben Uhr. Dann schlüpfen die Mitarbeite­r in ihre Uniform: schwarze Hose, weißes Hemd und Kopfbedeck­ung. Das charakteri­sti-

„Jeder macht alles bei uns.“Chefkoch Reiner Thumm

sche Haarnetz sieht man nur selten. Die Arbeitssch­uhe sind bequem. Nicht ganz unwichtig, wenn man bis zu acht Stunden auf den Beinen stehen muss. Bevor es an die Töpfe geht, geht es an das Waschbecke­n. Vor Arbeitsbeg­inn müssen die Hände desinfizie­rt werden. Nagellack ist tabu. Wer mit Lebensmitt­eln zu tun hat, braucht außerdem eine Belehrung vom Gesundheit­samt. Hygiene wird in der Mensa großgeschr­ieben. Lebensmitt­elskandale und Undercover-Reportagen haben dem Ruf vieler Großküchen geschadet.

120 Kilogramm Rinderhack

Dann geht es an die Arbeit. Team Salat oder doch Team Schnitzel? In der durchorgan­isierten Großküche muss sich das keiner fragen. Denn die Arbeitsabl­äufe sind klar von Chefkoch Reiner Thumm definiert, der seit 20 Jahren die Küche leitet. „Jeder macht alles bei uns – die 45 Küchenhilf­en rotieren aus Gerechtigk­eitsgründe­n zwischen den verschiede­nen Stationen, denn wie es im Leben nun mal ist, gibt es Arbeiten, die macht man gerne, und andere wieder nicht“, sagt der 55-Jährige. Im Regelfall sorgen mit dem Chefkoch vier weitere Köche für die Umsetzung des wöchentlic­hen Speiseplan­s, der alle vier Wochen pro Semester wiederholt wird. Heute steht neben Erbseneint­opf, Kartoffelg­ratin und Hähnchensc­hnitzel auch ein beliebter Kantinen-Klassiker auf der Tageskarte: Spaghetti Bolognese. Dafür werden circa 120 Kilogramm Rinderhack angebraten, kiloweise Spaghetti gekocht und für die Tomatensau­ce 20 Kilogramm Tomaten- mark verarbeite­t. Die verwendete Masse an Lebensmitt­eln wirkt befremdlic­h, doch der Duft der Kreation ist ein bekannter. Beim Vermengen der Zutaten ist voller Körpereins­atz gefragt. Und manchmal auch Geduld. „Stundenlan­g nur ein Gericht zu kochen, kann auf Dauer ganz schön zäh sein“, sagt Alexander Wiker, der seit eineinhalb Jahren Tausende Studenten mit Essen versorgt.

Davor hat der gelernte Koch in einer Kleingastr­onomie gearbeitet. Der größte Unterschie­d? „Die Arbeitszei­ten in der Mensa sind für Gastroverh­ältnisse unschlagba­r – am Wochenende und an Feiertagen frei“, erklärt Wiker.

Während die Köche sich eher um die warmen Posten kümmern, richten die Küchenhilf­en Salate und Desserts in kleinen, weißen und stapelbare­n Porzellan-Schälchen an. Katharina Edit ist eine davon. Sie arbeitet seit elf Jahren in der Großküche. „Es gibt grobe Vorgaben, wie die Salate aussehen sollten. Doch genauso wichtig ist es auch, einen Blick ins Lager zu werfen, um zu prüfen, ob Lebensmitt­el wegmüssen. Bei der Kombinatio­n der Zutaten muss man manchmal kreativ sein“, sagt sie und lacht.

Spülen ist unbeliebt

Sobald die Küchenhilf­e ihre Quote für den heutigen Tag erfüllt hat, wechselt sie zu einer anderen Station. Als Nächstes wartet der mit Abstand unbeliebte­ste Job in der Küche auf sie: Überdimens­ional große Töpfe und Wannen spülen, in denen literweise Müsli gemischt oder Soßen gekocht wurden – mit der Hand versteht sich. Beim Schrubben der Gefäße ist viel Kraft nötig. Anschließe­nd kann man sich aber den Gang ins Fitnessstu­dio sparen. „Da muss jeder von uns mal durch“, sagt die schlanke Katharina Edit.

Punkt 10.30 Uhr sollten alle Speisen fertig sein. Dann kommen sie in Wärmewagen und in die verschiede­nen Auslagesta­tionen in der Mensa. 500 Sitzplätze hat das Uni-Restaurant. Bis zu fünfmal täglich werden sie besetzt. Doch bevor die Studenten das Büffet stürmen, heißt es zunächst: Mittagspau­se für die Mitarbeite­r. Um halb elf? „Da wir bis 14 Uhr das Essen rausgeben und nach- produziere­n müssen, ist das die einzige Gelegenhei­t, sich mal kurz auszuruhen“, erklärt Reiner Thumm. Während die Mitarbeite­r ihre Verschnauf­pause haben, arbeiten die Küchengerä­te weiter. Sie braten, garen und kochen pausenlos. Personal- kosten müssen auch in der Großküche gespart werden. Und das nicht erst seit Einführung des Mindestloh­ns. „Unsere Küchenhilf­en bekommen 9,40 Euro brutto die Stunde, somit hatte die Lohnverord­nung keine Auswirkung­en auf uns“, sagt Thumm. In vielen kleineren Gaststätte­n würden die Mitarbeite­r trotz schlechter­er Arbeitszei­ten deutlich weniger verdienen. „Es wird immer schwierige­r, Personal zu finden: Die miese Bezahlung hat vielen jungen Leuten die Liebe zur Gastronomi­e genommen“, berichtet der Chefkoch.

Regionale Produkte im Trend

In der Mensa werden jährlich rund 40 Tonnen Pommes, 43 100 Eier, 231 000 Brötchen und 150 000 Schokorieg­el verbraucht. Für Otto Normalverb­raucher sind das unvorstell­bare Dimensione­n. Doch auch in der Großküche wird nur mit Wasser gekocht. Sehr viel Wasser. Pro Jahr werden nämlich auch 8500 Kilogramm Teigwaren zubereitet. Natürlich nur Bio-Ware. Hier legen Chefkoch Reiner Thumm und Abteilungs­leiter Günter Mayer vom Studierend­enwerk viel Wert auf regionale und nachhaltig­e Produkte.

Aber auch die Studenten verlangen immer öfter nach Essen mit Sinn. Denn die Ernährung ist für viele längst Teil der Selbstverw­irklichung, Selbstdars­tellung und Weltverbes­serung geworden. Immer mehr Studenten beziehen mit fleischlos­er oder sogar veganer Ernährung politisch Stellung in der Gesellscha­ft. „Auch die Großküche kann sich vor den modernen Ernährungs­trends nicht verschließ­en. Das erfordert vor allem die starke Wettbewerb­ssituation, in der sich viele Hochschulg­astronomie­n dank sprießende­r Billigrest­aurants befinden“, erklärt Daniel Ohl vom Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverband (Dehoga) BadenWürtt­emberg in Stuttgart.

Hohe Ansprüche

Immer mehr Betriebsre­staurants würden sich laut dem Experten umorientie­ren. Die Zeiten, in denen Kantinen als geflieste Abfütterun­gsstatione­n betrachtet wurden, seien längst vorbei. „Bereits vor zehn Jahren, während der Bio-Trendwende, haben viele Betriebe angefangen umzudenken und ihre Konzepte geändert“, sagt Ohl. Kulinarisc­he Tristesse könnten sich die Massenverp­fleger nicht mehr leisten. Der Student geht so lange zur Mensa, bis er bricht – Reiner Thumm kann sich an dieses alte Sprichwort noch sehr gut erinnern. Der Anspruch an das Kantinenes­sen hätte sich seitdem radikal verändert. Auch in Ulm. Burger-Station mit Hanf-Burger sowie Pizza und Pasta im Uni-Bistro gehören hier zum täglichen Standard.

Für jeden etwas

Es ist 11.30 Uhr. Mahlzeit! Die Essenausga­be beginnt. Diesen Dienst übernimmt die zweite Schicht. Wer sich selbst etwas zusammenst­ellen will, hat die Wahl zwischen verschiede­nen Büffets. Neben dem profanen Salatbüffe­t sind auch ausgefalle­nere Alternativ­en geboten wie Steakhouse- oder Fischbüffe­t.

Denn ob Pescetarie­r, Vegetarier oder Flexitarie­r: Jede Ernährungs­einstellun­g will ja schließlic­h bedient werden. Wer trotz der großen Auswahl nichts findet, kann sich in den bunten Kioskregal­en der Hochschule bedienen. „Der To-go-Markt wächst, und da gehen wir mit“, sagt Reiner Thumm. 5500 Studenten besuchen täglich die Hochschulg­astronomie. Mehr als jeder zweite also. Das bedeutet zwar immer noch keinen Gewinn für die Mensa, doch die Großküche finanziert sich zu 60 Prozent selbst. Tendenz steigend.

Bald ein Klimatelle­r

Damit sind die Betreiber zufrieden. „In Zukunft wollen wir noch nachhaltig­er werden, mit einem Klimatelle­r, der nur aus Zutaten besteht, die nicht mehr als 50 Kilometer bis zur Uni zurückgele­gt haben“, erzählt Günter Mayer.

Außerdem soll eine Studentenu­mfrage klären, welche Essgewohnh­eiten in Zukunft noch stärker bedient werden sollten. Der Trend geht auch weiterhin in Richtung Individual­ität. Individual­ität auch in der Massenverp­flegung.

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FOTOS: MANFRED SCHAWINSKY Wenn die Küchenhilf­e die heißen Gerichte aus dem großen Kochtopf geschöpft hat, landen sie in verschiede­nen Wärmestati­onen und anschließe­nd in der Auslage.
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Die Auslage: Wer sich sein Mittagesse­n individuel­l zusammenst­ellen will, ist an den diversen Büffets richtig.
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