Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wolfgang Schäuble kokettiert mit Rücktritt
Differenzen mit Kanzlerin Merkel über den richtigen Weg in der Griechenlandkrise
- Rücktritt? Denkt er daran, hinzuschmeißen? „Nein, wie kommen Sie denn darauf“, weist Wolfgang Schäuble die Frage zurück. So, als habe er nicht unmittelbar zuvor selbst laut darüber nachgedacht. Niemand könne ihn zwingen, seine Meinung beim Thema Griechenland zu ändern. „Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen, und um meine Entlassung bitten“, sagt der Bundesfinanzminister in einem Spiegel-Interview, und es klingt wie eine Drohung. Er bestreitet nicht, dass es zuletzt Differenzen zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihm über den richtigen Weg in der Eurokrise gegeben habe. Doch wüssten beide, „dass wir uns aufeinander verlassen können“. Sein Spiel mit der Möglichkeit des Rücktritts wirkt wie ein Signal: Bis hierhin und nicht weiter. Der CDU-Politiker zweifelt zwar, dass das dritte Hilfspaket Griechenland aus der Krise führen wird. Doch warb er im Bundestag dafür und wird auch mit der Athener Regierung über die Umsetzung der Reform- und Sparpläne verhandeln. Schäubles harter Kurs, seine Drohung mit dem „Grexit“, dem vorübergehenden Euroaus- tritt Griechenlands, kommt bei den Deutschen offenbar gut an. 69 Prozent der Deutschen sind laut jüngsten Umfragen zufrieden mit seiner Arbeit. Platz eins der Regierungsmitglieder noch vor der Kanzlerin. Griechenland ganz unten, der deutsche Finanzminister obenauf.
Einen Regierungschef Schäuble wünscht sich die große Mehrheit der Bundesbürger allerdings nicht, hält ihn zwar für einen guten Finanzminister, nicht aber für einen besseren Kanzler. Klarheit und Härte in der Eurokrise, mit denen der Finanzminister in der Wählergunst punktet. Mag es vor allem im Internet auch massive Anfeindungen und Hasskarikaturen gegen ihn geben, so gibt sich Schäuble gelassen, verweist auf eine Flut von E-Mails mit Zustimmung, Dank und Unterstützung für seinen Griechenland-Kurs.
Liebling der Deutschen, Buhmann und Reizfigur für die Oppositi- on, die Griechen und auch den Koalitionspartner SPD. Während hierzulande sein Krisenmanagement, das strikte Pochen auf die Einhaltung des Reform- und Sparkurses in Athen gut ankommt, sieht die griechische Regierung in dem CDU-Mann den Hardliner unter den Euro-Partnern. Schäuble selbst war zuletzt mit Tsipras & Co. hart ins Gericht gegangen. Die Regierung in Athen sei „ein Partner, der sich an nichts hält, was vereinbart wurde“und „ohne Sinn und Verstand“handele. Trotz aller Dementis war zuletzt ein Riss zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Bundesfinanzminister zu erkennen. Anders als Merkel ging Schäuble zuletzt offen auf Konfrontationskurs zur griechischen Regierung.
Die Kanzlerin braucht ihn
Der „letzte Preuße Berlins“, ein „badischer Preuße“, wie Schäuble anerkennend genannt wird, gehört seit 43 Jahren dem Bundestag an. Als erstem Bundesfinanzminister seit 1969 gelang ihm ein Haushalt ohne Neuverschuldung, die Schwarze Null im Etat. Schäuble, der Griechenbändiger und Schattenkanzler oder der unbarmherzige EuroSchreck? Mal zynisch, mal charmant, aber immer scharfsinnig, stets ungeduldig, wird Schäuble nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch von Koalitionspartner und Parteifreunden gefürchtet. Sowohl das Amt des Kanzlers als auch des Bundespräsidenten blieben ihm verwehrt, obwohl er beide nur allzu gern ausgeübt hätte.
Rücktritt? Wie ernst ist dieses Szenario wirklich? Gerade jetzt, da in der Bundestagsfraktion die Zahl der Rebellen gegen Merkels Griechenland-Kurs wächst, braucht die Kanzlerin ihn mehr denn je. Gerade jetzt, da er als Finanzminister auf dem Höhepunkt sei, werde Schäuble nicht abtreten, heißt es. Ein Leben ohne Politik sei für ihn nur schwer vorstellbar, sagen die, die ihn gut kennen. 2010, als er sich in der Finanzkrise wegen gesundheitlicher Probleme eine Auszeit nehmen musste, hatte es bereits Spekulationen über seinen Rücktritt gegeben.
Doch Schäuble kehrte zurück. Nächtelange Krisenverhandlungen zur Eurorettung, Ringen um den Sparkurs und die Schwarze Null – Schäuble gilt als Meister der Selbstdisziplin. Damals wie heute. Kanzlerin Merkel hält an ihm fest. Wenn jemand wie er, der Kanzleramtsminister, zweimal Bundesinnenminister, Partei- und Fraktionschef war und jetzt Finanzminister ist, über Jahrzehnte solche Leistungen für das Land erbracht habe, sei es nur recht und billig, ihm Zeit zu geben, um wieder gesund zu werden, sagte Merkel seinerzeit und lobte: „Wir haben nicht viele wie ihn.“