Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wettlauf ums Iran-Geschäft
Vizekanzler Sigmar Gabriel lotet in Teheran Chancen für die deutsche Wirtschaft aus
- Ein leicht mulmiges Gefühl beschleicht die Touristengruppe aus der Schweiz, als der „Airbus A300“der Mahan Air mit ohrenbetäubendem Lärm vom Flughafen der ostiranischen Millionenstadt Maschad abhebt. 29 Jahre, erfahren wir vom Steward, sei die voll besetzte Maschine alt. Das Durchschnittsalter der iranischen Airlines liegt bei 25 Jahren. Die Flotte ist damit fünf Mal so alt wie die Fluggesellschaften der Vereinigten Arabischen Emirate und Katar.
Bereits vor einem Jahr hatte der Direktor der iranischen Zivilluftfahrtbehörde, Alireza Jahangirian, angekündigt, dass nach der Aufhebung der Sanktionen iranische Airlines in jedem der kommenden zehn Jahre mindestens 40 Flugzeuge kaufen werden.
Hervorragend ausgebildete Piloten gibt es genügend im Iran. Von den 230 Passagierflugzeugen im Lande stehen knapp 60 Prozent am Boden, weil sie nicht repariert werden können. Erst im letzten Jahr wurde ein noch zu Schah-Zeiten gelieferter Jumbojet eingemottet. 35 Jahre war die Maschine im Einsatz.
Auch der Maschinenpark zahlreicher Industriebetriebe ist veraltet. Der größte Investitionsbedarf besteht – neben der Zivilluftfahrt – aber in der Öl- und Gasindustrie. Von den rund 110 Milliarden US-Dollar, die nach dem Ende der Strafmaßnahmen dem Iran zurückgegeben werden, fließen vermutlich mehr als die Hälfte in die Modernisierung der Förderanlagen. Schon kommendes Jahr will der Iran seine Erdölexporte von 1,2 auf 2,3 Millionen Barrel am Tag fast verdoppeln. Der fallende Ölpreis erfordert auch eine Überarbeitung des iranischen Budgetplans, in dem man mit einem Barrel-Preis von 72 US-Dollar kalkuliert hat.
Das Land mit den viertgrößten Ölreserven der Welt ist für den bevorstehenden Wirtschaftsaufschwung, der bereits während der Atomverhandlungen einsetzte, recht gut gerüstet. Auslandsschulden von nur 10 Milliarden US-Dollar stehen achtmal so hohe Währungsreserven gegenüber. Im Gegensatz zu den auf ostasiatische Gastarbeiter angewiesenen arabischen Golfstaaten sind die meisten Einwohner des Energieriesen Iran hervorragend ausgebildet, überwiegend westlich orientiert und konsumfreudig. Um wirtschaftlich einigermaßen zu überleben, mußten viele Iraner in den vergangenen Jahren bis zu drei verschiedene Jobs am Tag verrichten. Von der absehbaren Rückkehr von Großkonzernen wie Peugeot, Mercedes, Siemens und Eni versprechen sie sich bessere Arbeitsmöglichkeiten und markante Lohnsteigerungen.
Regionale Wirtschaftsmacht
Glaubt man dem Chefvolkswirt der Economist-Gruppe, Simon Baptist, dann wird die iranische Wirtschaft von 2016 bis 2019 jedes Jahr um 5,2 Prozent wachsen. Bis 2020 werde die Islamische Republik von Platz 29 auf Platz 22 der größten Volkswirtschaften der Welt vorrücken und mit der Schweiz und Argentinien gleichziehen. Einen noch stärkeren Wachstumsboom verhindern zurzeit noch die iranische Bürokratie und das iranische Geschäftsgebaren.
Die deutsche Wirtschaft steht in den Startlöchern. Gerade weilt Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) als erster westlicher Spitzenpolitiker in Teheran, um wirtschaftliche Kooperationschancen auszuloten. Das Programm kann sich sehen lassen: Präsident Hassan Ruhani empfängt den Gast aus Deutschland heute persönlich – protokollarisch in einem Land dieser Größe und Bedeutung nicht unbedingt üblich. Zudem sind Gespräche mit drei Ministern, dem Gouverneur der iranischen Zentralbank und der Industrie- und Handelskammer vorgesehen.
Die deutschen Unternehmen mit Iran-Ambitionen haben diese Reise herbeigesehnt. „Ein besseres Signal kann man sich gar nicht vorstellen“, sagt der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Volker Treier. Er glaubt, dass sich die deutschen Exporte von derzeit 2,4 Milliarden Euro jährlich in den nächsten vier Jahren vervierfachen können.
Treier sieht den deutschen Wettbewerbsvorteil vor allem in den historisch gewachsenen Bindungen. In den 1970er-Jahren war der Iran der zweitgrößte außereuropäische Absatzmarkt der deutschen Wirtschaft nach den USA. 2005 war der Handel zwischen den beiden Ländern noch 4,8 Milliarden Euro wert. Dann brach er wegen der Sanktionen ein.
Die Lücke haben die Chinesen und Koreaner gefüllt. Heute kommen mehr als zwei Drittel der iranischen Importe aus Asien und weit weniger als ein Drittel aus Europa. Das Verhältnis der Iraner zu den Chinesen und Koreanern sei aber „sehr unemotional“, sagt Treier. Die Affinität zu den Deutschen sei dagegen groß. Für die deutschen Firmen sieht der DIHK vor allem in den Bereichen Maschinen- und Fahrzeugbau, Baustoffe, Wassermanagement, Abfallwirtschaft, erneuerbare Energien und Gesundheitswesen Potenzial. 2016 fallen nach jetziger Planung die entscheidenden Sanktionen. Dann soll das Iran-Geschäft so richtig brummen.