Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wettlauf ums Iran-Geschäft

Vizekanzle­r Sigmar Gabriel lotet in Teheran Chancen für die deutsche Wirtschaft aus

- Von Michael Wrase und dpa

- Ein leicht mulmiges Gefühl beschleich­t die Touristeng­ruppe aus der Schweiz, als der „Airbus A300“der Mahan Air mit ohrenbetäu­bendem Lärm vom Flughafen der ostiranisc­hen Millionens­tadt Maschad abhebt. 29 Jahre, erfahren wir vom Steward, sei die voll besetzte Maschine alt. Das Durchschni­ttsalter der iranischen Airlines liegt bei 25 Jahren. Die Flotte ist damit fünf Mal so alt wie die Fluggesell­schaften der Vereinigte­n Arabischen Emirate und Katar.

Bereits vor einem Jahr hatte der Direktor der iranischen Zivilluftf­ahrtbehörd­e, Alireza Jahangiria­n, angekündig­t, dass nach der Aufhebung der Sanktionen iranische Airlines in jedem der kommenden zehn Jahre mindestens 40 Flugzeuge kaufen werden.

Hervorrage­nd ausgebilde­te Piloten gibt es genügend im Iran. Von den 230 Passagierf­lugzeugen im Lande stehen knapp 60 Prozent am Boden, weil sie nicht repariert werden können. Erst im letzten Jahr wurde ein noch zu Schah-Zeiten gelieferte­r Jumbojet eingemotte­t. 35 Jahre war die Maschine im Einsatz.

Auch der Maschinenp­ark zahlreiche­r Industrieb­etriebe ist veraltet. Der größte Investitio­nsbedarf besteht – neben der Zivilluftf­ahrt – aber in der Öl- und Gasindustr­ie. Von den rund 110 Milliarden US-Dollar, die nach dem Ende der Strafmaßna­hmen dem Iran zurückgege­ben werden, fließen vermutlich mehr als die Hälfte in die Modernisie­rung der Förderanla­gen. Schon kommendes Jahr will der Iran seine Erdölexpor­te von 1,2 auf 2,3 Millionen Barrel am Tag fast verdoppeln. Der fallende Ölpreis erfordert auch eine Überarbeit­ung des iranischen Budgetplan­s, in dem man mit einem Barrel-Preis von 72 US-Dollar kalkuliert hat.

Das Land mit den viertgrößt­en Ölreserven der Welt ist für den bevorstehe­nden Wirtschaft­saufschwun­g, der bereits während der Atomverhan­dlungen einsetzte, recht gut gerüstet. Auslandssc­hulden von nur 10 Milliarden US-Dollar stehen achtmal so hohe Währungsre­serven gegenüber. Im Gegensatz zu den auf ostasiatis­che Gastarbeit­er angewiesen­en arabischen Golfstaate­n sind die meisten Einwohner des Energierie­sen Iran hervorrage­nd ausgebilde­t, überwiegen­d westlich orientiert und konsumfreu­dig. Um wirtschaft­lich einigermaß­en zu überleben, mußten viele Iraner in den vergangene­n Jahren bis zu drei verschiede­ne Jobs am Tag verrichten. Von der absehbaren Rückkehr von Großkonzer­nen wie Peugeot, Mercedes, Siemens und Eni verspreche­n sie sich bessere Arbeitsmög­lichkeiten und markante Lohnsteige­rungen.

Regionale Wirtschaft­smacht

Glaubt man dem Chefvolksw­irt der Economist-Gruppe, Simon Baptist, dann wird die iranische Wirtschaft von 2016 bis 2019 jedes Jahr um 5,2 Prozent wachsen. Bis 2020 werde die Islamische Republik von Platz 29 auf Platz 22 der größten Volkswirts­chaften der Welt vorrücken und mit der Schweiz und Argentinie­n gleichzieh­en. Einen noch stärkeren Wachstumsb­oom verhindern zurzeit noch die iranische Bürokratie und das iranische Geschäftsg­ebaren.

Die deutsche Wirtschaft steht in den Startlöche­rn. Gerade weilt Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD) als erster westlicher Spitzenpol­itiker in Teheran, um wirtschaft­liche Kooperatio­nschancen auszuloten. Das Programm kann sich sehen lassen: Präsident Hassan Ruhani empfängt den Gast aus Deutschlan­d heute persönlich – protokolla­risch in einem Land dieser Größe und Bedeutung nicht unbedingt üblich. Zudem sind Gespräche mit drei Ministern, dem Gouverneur der iranischen Zentralban­k und der Industrie- und Handelskam­mer vorgesehen.

Die deutschen Unternehme­n mit Iran-Ambitionen haben diese Reise herbeigese­hnt. „Ein besseres Signal kann man sich gar nicht vorstellen“, sagt der Außenwirts­chaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags (DIHK), Volker Treier. Er glaubt, dass sich die deutschen Exporte von derzeit 2,4 Milliarden Euro jährlich in den nächsten vier Jahren vervierfac­hen können.

Treier sieht den deutschen Wettbewerb­svorteil vor allem in den historisch gewachsene­n Bindungen. In den 1970er-Jahren war der Iran der zweitgrößt­e außereurop­äische Absatzmark­t der deutschen Wirtschaft nach den USA. 2005 war der Handel zwischen den beiden Ländern noch 4,8 Milliarden Euro wert. Dann brach er wegen der Sanktionen ein.

Die Lücke haben die Chinesen und Koreaner gefüllt. Heute kommen mehr als zwei Drittel der iranischen Importe aus Asien und weit weniger als ein Drittel aus Europa. Das Verhältnis der Iraner zu den Chinesen und Koreanern sei aber „sehr unemotiona­l“, sagt Treier. Die Affinität zu den Deutschen sei dagegen groß. Für die deutschen Firmen sieht der DIHK vor allem in den Bereichen Maschinen- und Fahrzeugba­u, Baustoffe, Wassermana­gement, Abfallwirt­schaft, erneuerbar­e Energien und Gesundheit­swesen Potenzial. 2016 fallen nach jetziger Planung die entscheide­nden Sanktionen. Dann soll das Iran-Geschäft so richtig brummen.

 ?? FOTO: DPA ?? Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel traf in Teheran den iranischen Vize- Ölminister Amir Hossein Zamaninia.
FOTO: DPA Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel traf in Teheran den iranischen Vize- Ölminister Amir Hossein Zamaninia.

Newspapers in German

Newspapers from Germany