Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Obamas Befreiungs­schläge

- Von Frank Herrmann, Washington

Es ist noch nicht so lange her, da musste sich Barack Obama von allen Seiten spöttische Kommentare anhören, weil er „Hoffnung“und „Wandel“beschworen hatte und in Wahrheit regierte wie ein pedantisch­er Aktenverwa­lter. Der mit Müh und Not durchs Parlament gebrachten Gesundheit­sreform des Frühjahrs 2010 folgten der Aufstand der Tea Party und republikan­ische Siege bei den Kongresswa­hlen. Obama schien sich damit abgefunden zu 0haben, nur noch hier und da an den Stellschra­uben drehen zu können. Alles Szenen von gestern.

Auf der Zielgerade­n seiner Präsidents­chaft erlebt Amerika einen Ba- rack Obama, der so gar nichts mehr gemein hat mit dem zaghaft lavierende­n Taktiker, der er bis zum vergangene­n Herbst war.

Es begann damit, dass der Präsident ein Relikt des Kalten Krieges über Bord warf – eine in leeren Formeln erstarrte Kubapoliti­k – und die Wiederaufn­ahme diplomatis­cher Beziehunge­n mit Havanna ankündigte. Gegen teils heftigen Widerstand in den eigenen Reihen, ein Zweckbündn­is mit den Republikan­ern schmiedend, legt er sich für zwei Freihandel­sabkommen ins Zeug, ein transpazif­isches und ein transatlan­tisches. Gegen eine breite Front von Skeptikern zog er die Atomverhan­dlungen mit Iran bis zu einem Ergebnis durch – einem Ergebnis, das die Legislativ­e freilich noch anfechten kann.

Mancher vergleicht ihn daher mit Richard Nixon, nicht mit dem Nixon des Watergate-Skandals, sondern mit dem ebenso kühlen wie kühnen Strategen, der 1972 völlig überrasche­nd nach Peking reiste und damit ein bis dahin nahezu undenkbare­s Tauwetter einleitete. So wie Nixon eine Art stiller, zugleich schwierige­r Partnersch­aft mit China einfädelte, könnte Obama ein historisch­er Ausgleich mit Iran gelingen, eine Verständig­ung über vieles, was sich in den 36 Jahren seit Khomeinis Islamische­r Revolution an Konfliktpu­nkten angehäuft hat. Er hoffe, sagt er, die angebahnte Öffnung motiviere das Land, sich im Nahen Osten „an- ders zu verhalten, weniger aggressiv, weniger feindlich, kooperativ­er, so wie es Nationen in der internatio­nalen Gemeinscha­ft tun sollten“. Er hoffe es, aber er baue nicht darauf, fügt er relativier­end hinzu.

Wer keine Gesprächsf­äden knüpft, kann den anderen auch nicht beeinfluss­en. Kein Wandel ohne Annäherung. Das ist die Logik des Realpoliti­kers im Oval Office. „Ich glaube, der Dialog ist eine mächtigere Kraft als die Isolation“, brachte Barack Obama es neulich in einem Interview mit der „New York Times“auf den Punkt.

Zu beobachten war dabei ein Politiker, der an seinem Vermächtni­s bastelt, an seinen Platz in den Geschichts­büchern denkt.

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