Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Obamas Befreiungsschläge
Es ist noch nicht so lange her, da musste sich Barack Obama von allen Seiten spöttische Kommentare anhören, weil er „Hoffnung“und „Wandel“beschworen hatte und in Wahrheit regierte wie ein pedantischer Aktenverwalter. Der mit Müh und Not durchs Parlament gebrachten Gesundheitsreform des Frühjahrs 2010 folgten der Aufstand der Tea Party und republikanische Siege bei den Kongresswahlen. Obama schien sich damit abgefunden zu 0haben, nur noch hier und da an den Stellschrauben drehen zu können. Alles Szenen von gestern.
Auf der Zielgeraden seiner Präsidentschaft erlebt Amerika einen Ba- rack Obama, der so gar nichts mehr gemein hat mit dem zaghaft lavierenden Taktiker, der er bis zum vergangenen Herbst war.
Es begann damit, dass der Präsident ein Relikt des Kalten Krieges über Bord warf – eine in leeren Formeln erstarrte Kubapolitik – und die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Havanna ankündigte. Gegen teils heftigen Widerstand in den eigenen Reihen, ein Zweckbündnis mit den Republikanern schmiedend, legt er sich für zwei Freihandelsabkommen ins Zeug, ein transpazifisches und ein transatlantisches. Gegen eine breite Front von Skeptikern zog er die Atomverhandlungen mit Iran bis zu einem Ergebnis durch – einem Ergebnis, das die Legislative freilich noch anfechten kann.
Mancher vergleicht ihn daher mit Richard Nixon, nicht mit dem Nixon des Watergate-Skandals, sondern mit dem ebenso kühlen wie kühnen Strategen, der 1972 völlig überraschend nach Peking reiste und damit ein bis dahin nahezu undenkbares Tauwetter einleitete. So wie Nixon eine Art stiller, zugleich schwieriger Partnerschaft mit China einfädelte, könnte Obama ein historischer Ausgleich mit Iran gelingen, eine Verständigung über vieles, was sich in den 36 Jahren seit Khomeinis Islamischer Revolution an Konfliktpunkten angehäuft hat. Er hoffe, sagt er, die angebahnte Öffnung motiviere das Land, sich im Nahen Osten „an- ders zu verhalten, weniger aggressiv, weniger feindlich, kooperativer, so wie es Nationen in der internationalen Gemeinschaft tun sollten“. Er hoffe es, aber er baue nicht darauf, fügt er relativierend hinzu.
Wer keine Gesprächsfäden knüpft, kann den anderen auch nicht beeinflussen. Kein Wandel ohne Annäherung. Das ist die Logik des Realpolitikers im Oval Office. „Ich glaube, der Dialog ist eine mächtigere Kraft als die Isolation“, brachte Barack Obama es neulich in einem Interview mit der „New York Times“auf den Punkt.
Zu beobachten war dabei ein Politiker, der an seinem Vermächtnis bastelt, an seinen Platz in den Geschichtsbüchern denkt.